Polizeiruf Der neue "Polizeiruf 110" in Brandenburg wirkt auch nach der zweiten Folge "Zwei Brüder" ambitionslos wie 16 Jahre Bodensee: Nur Kommissarin Lenski ist guter Hoffnung
Es ist durchaus hilfreich, sich ab und zu daran zu erinnern, dass man das Fernsehen nicht mit der Wirklichkeit verwechseln sollte. Denn latürnich präsentierte Kiel letzte Woche eine Handlungsverkettung vom Schlage des alten Partyrätselklassikers "Loch an Loch und hält doch". It's not about Wahrscheinlichkeit, es geht um innere Werte, also die spezifische Wahrheit eines Kunstwerks, da sind wir ganz bei Big G (Johann Wolfgang Goethe), der seinerzeit (1798) das unnatürliche Gesinge in der Oper derart legitimierte (Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke).
Auf heute gewendet heißt das, dass das Unwahrscheinliche im Tatort: Borowski und der coole Hund schnurz ist, solange dabei eine Erzählung herausspringt, die es, eben, in sich hat. Das Gegenb
e Hund schnurz ist, solange dabei eine Erzählung herausspringt, die es, eben, in sich hat. Das Gegenbeispiel wäre der erste Polizeiruf der neuen Brandenburger Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) von vor der Sommerpause, in dem man vor lauter Löchern das Ganze nicht mehr sehen konnte.Gemessen daran hat sich Olga Lenski beim zweiten Einsatz in Zwei Brüder nun stabilisiert wie Micha Ballack derzeit in Vizekusen. Dass der Einsatz von Maria Simon aber immer noch mehr Versprechen ist als schiere Größe, hat seine Gründe. Zum einen ist das Leben konkret. Maria Simon ist schwanger, und also ist es Olga Lenski auch, und das schreibt dem Figurenprofil, aus dem wir damals schaudernd zitierten (New York und so), nun etwas ein, womit das Figurenprofil nicht rechnen konnte: ein upcoming Kind. Die Biologie ist ein unerbittlicher Drehbuchautor, es muss also ein Vater her, ein Felix (Andreas Pietschmann), von dem das Drehbuch aber noch nicht weiß, was es mit ihm anfangen soll, also serviert es ihn halbgar.Der SeitensprungapothekerEs herrscht wohl Uneinigkeit zwischen Mutter und Vater, worin sie besteht, erfährt man nicht, und dass es am Ende nicht recht zur Versöhnung kommt, lässt Luft für künftige Konflikte, macht die Sache aber leider flau. Immerhin fragt Krause (Horst Krause), die Gouvernante der Herzen, den schönen Satz: "Hat der junge Mann eine feste Arbeit?"Maria Simon selbst scheint uns von der ganzen Flauigkeit noch immer auch ergriffen. Sie hat zwar schöne Momente, wenn sie etwa am Ende auf die um Verständnis buhlenden Liebesrachegelüste des schwulen Seitensprungapothekers Alex Neuwald (zur Abwechslung mal nicht Arnd Klawitter, sondern: Anian Zollner) einfach und wohlerzogen-romantisch "Nee" sagt. Aber vieles an dieser Olga Lenski bleibt merkwürdig unentschieden und schlecht gelaunt, die Beweisaufnahme am Beginn schnurrt sie mit Krause runter, wo andere Amtsbezirke ein Heer an Gerichtsmedizinern und Sekretärinnen bemühen würden. Und wenn ihr schlecht ist von der Schwangerschaft, dann geht sie nicht nach Hause, sondern ist nur: schlecht drauf. Was das soll.Zum anderen ist Zwei Brüder bestenfalls durchschnittlich, weil Nils Willbrandt als Drehbuch-Ko-Autor (mit Stefan Kuhlmann) und Regisseur seine Finger im Spiel hat, und Nils-Willbrandt-Sonntagabendkrimis bislang immer eher so mittel, und da eher so south of mittel waren – es entwickelt sich keine rechte Stimmung, kein Rhythm, manches ist nicht uninteressant, interessiert einen dann aber doch nicht – wie dieses Reiterhofpatriarchat. Für so was könnten wir uns normalement durchaus erwärmen inklusive Pferdediebstahl (wir haben bei "Merkur" übrigens immer mal wieder "Mirko" verstanden, was eigentlich der viel passendere Name für so einen Rassegaul wäre). Aber das tighte Gefühlsmanagment von Papa Hartmann (Ein Sohn: „Mein Vater war immer ein fairer Geschäftsmann“) hat alle Beteiligten derart verheert, dass man mit denen einfach nichts zu tun haben will beziehungsweise denen noch nicht mal im Fernsehen zugucken will.Auf kleiner FlammeMutter Charlotte (Barbara Auer) macht auf nächste Eiszeit (warum ist dieser Reiterhof eigentlich nicht barrierefrei, wenn sie so derbe Rückenschmerzen hat?), die Söhne verleugnen ihre Liebe wie Markus (Florian Stetter) Lilli (Anne Kanis): "Ich hab meiner Mutter viel zu verdanken, jetzt kapier das mal endlich." Oder arbeiten mit einem extrem hohen Schnepfigkeitsfaktor wie Dennis (Franz Dinda), der allein in der Bar am See abhing und, obwohl unschuldig, auf die Fragen der Kommissarin gereizt reagiert: "Wir hamm gerade andere Probleme!"Das Problem von Zwei Brüder ist, dass so vieles ungenau bleibt, weshalb dieser Polizeiruf permanent seine Richtung ändern kann und alle Beteiligten auf kleiner Flamme verdächtig köcheln lässt. Über die gesellschaftlichen Implikationen wollen wir schweigen – mit seiner Empörung über die Dopingvorwürfe wäre Pferdearzt Dr. Lutz (Ralph Herforth mit lässiger Krause) vielleicht vor 30 Jahren durchgekommen, heute wirkt das ungefähr so überzeugend wie ein Politikerdementi. Schön ist allein der Umgang mit dem Praktikanten auf dem Revier, den Olga konsequent Stiefen nennt, obwohl er wohl Steven heißt, und den Wolle (Fritz Roth) für private Zwecke einspannt ("normal") . Und hübsch ist, wie Krause dem kleinen, rothaarigen, Bonanzabike fahrenden Jungen (woher kennt man den nur?) am Ende einer auch merkwürdigen Ermittlungstaktik ein Eis spendiert.Vielleicht ist dieser Polizeiruf auch einfach zu lahm: Man sieht jeden Einfall kommen, und wenn er dann realisiert wird, langweilt man sich fürchterlich.Könnte man für den Grabstein vielleicht doch mal überlegen: „Kompliziert und unanhabar, willensstark und zuverlässig, er war ein großer Mann“Könnte man für den Grabstein auf jeden Fall reservieren: "Er war Zuchtexperte ersten Ranges"Macht sich in jedem Garten gut: dieses fancy Pferdelaufband von Dr. Lutz
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