Die Geschichte von Jenny Gröllmann ist die Geschichte von Ulrich Mühe, wie sie der Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck erzählt. Das macht die Geschichte von Ulrich Mühe klein und die von Jenny Gröllmann noch kleiner, obwohl der Film unentwegt seine eigene Größe und die seines Regisseurs behauptet. Seht, ich bin das Stasi-Drama, seht, ich bin der Film, der Ernst macht mit der DDR, seht, ich habe den Oscar gewonnen. Mühe war einer der größten deutschen Schauspieler seiner Zeit, einer, der den tiefen Ernst der deutschen Bühne verkörpert hat mit all der konzentrierten Kraft seines schauspielerischen Könnens und der zugleich dort reüssiert hat, wo es nicht nur Anerkennung gibt und die Wertschätzung der happy few, sondern das große Publikum: im Kino. In jeder anderen Konstellation wäre Mühe der Star gewesen am Abend der Oscar-Verleihung, so wie die großen Schauspieler immer die Stars sind vor ihren Regisseuren, aber in diesem Fall wirkte Ulrich Mühe wie der Angestellte des Ruhms eines anderen. Sein reiches, großes Werk schien am Ende, bei seinem Tod vor gut einem Jahr, reduziert auf die eine Rolle, die er im Erfolgsfilm eines vom Erfolgswillen durchdrungenen Regisseurs gespielt hatte.
Jenny Gröllmann gerät in diese Geschichte, die keine Geschichte der Bescheidenheit ist, als Donnersmarck seinen Star für das Buch zu seinem Film interviewt. In dem Gespräch nimmt Mühe einen Vorwurf auf, der Jenny Gröllmann, die bis 1990 mit ihm verheiratet war und mit der er eine Tochter hat, schon Jahre zuvor von Illustrierten gemacht worden ist. Er lautet auf Stasi-Mitarbeit, deren Kürzel IM heißt, und auch das ist ein Umstand, der Geschichten von Menschen klein gemacht hat. Klein, weil ein Leben und ein Schaffen befleckt wird mit dem Makel niederer moralischer Instinkte, klein aber vor allem, weil es so ein pauschales, so ein unscharfes Wort ist für die Geschichte eines Lebens, die es scheinbar zusammenzurrt auf Moral und dabei nichts wissen will von dieser individuellen Geschichte, den Verhältnissen, den konkreten Bedingungen, in denen sie sich ereignet hat. Jenny Gröllmann hat, obwohl schwer krank, prozessiert gegen den Vorwurf, der über sie kam mit der Macht des Erfolgsfilms, zu dem ihre Stasi-Geschichte so schön zu passen schien als Accessoire einer zugrunde liegenden Realität, in die man aus dem Kino, diesem Wirklichkeitsfluchtweg, noch immer wieder tritt. Und Jenny Gröllmann hat Recht bekommen vor Gericht. Sie hat beweisen können, dass Stasi-Akten, so korrekt und bürokratisch sie anmuten mögen, nur Erzählungen sind, Fiktionen, Wirklichkeitsvarianten von Angestellten eines Überwachungsstaats, die persönliche und berufliche Motive haben, sich mit Erfolgen zu schmücken oder Anweisungen scheinbar auszuführen, die sich so leicht vielleicht nicht ausführen lassen. Wie Jenny Gröllmann darüber hinaus zu dem Staat gestanden hat und seinen Obrigkeiten, verschwindet in einer Zone, in der die Unterscheide immer feiner werden und die Urteile immer schwerer fallen, weil man irgendwann so nah bei einem Menschen ist, dass man über ihn nicht richten kann, ohne eben das Menschliche an ihm zu sehen. Eine Zone, in der es so grau ist, wie der Liebeskummer war, von dem Henry Hübchen erzählt bei der Erinnerung an die Zeit seines ersten Drehs mit Jenny Gröllmann in Petra Weisenburgers Portraitfilm Ich will da sein. Man muss das alles erzählen, wenn man von diesem Film sprechen will, weil das die Perspektive ist, aus der er betrachtet wird - ganz egal, ob man nach Beweisen für Entlastung sucht oder Anzeichen von Schuld. Der Redakteur des Deutschlandradios, der am Sonntagmorgen den Film vorgestellt hat, hat die Zeit gestoppt, bis endlich das Wort fiel, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte: Stasi, 65. Minute. Es ist, übrigens, die 56. Minute, ein Ausschnitt aus Liebling Kreuzberg, der Fernsehserie, die Jurek Becker für Manfred Krug geschrieben hat, und in der sich Jenny Gröllmann und Manfred Krug auf einmal so unterhalten, als unterhielten sie sich nicht wie zwei Serienfiguren, sondern wie Manfred Krug und Jenny Gröllmann über ihr Leben mit der Macht in der DDR. "Die Stasi, hattest du mal was mit denen, du und dein Mann", fragt Krug, und Gröllmann sagt, dass sie diese Frage nicht ohne ihren Anwalt beantworten würde. "Ah-ja", sagt Krug, und Gröllmann erwidert, dass das klinge wie "ertappt": "Und nun beweise du mal, dass du nichts mit denen zu schaffen hattest." Und während man sich noch wundert, wie differenziert und pointiert das Thema in einer Fernsehserie aus der Zeit vor Das Leben der Anderen behandelt werden konnte, ist sie wieder da, die graue Zone.
Eigentlich ist es aber völlig egal, die Stasi und die Minute, in der sie erwähnt wird. Das sollte zumindest so sein bei einem Film, der sich die Länge nimmt, von einem Leben hinter der Bild-Zeitungsmeldung zu erzählen, und der versucht, genau diesen Eindruck zu vermitteln. Es gelingt ihm aber nicht, und das liegt zuerst nicht an dem Fokus, den ein Deutschlandradio-Redakteur auf ihn hat, sondern an der Art und Weise, wie er gemacht ist. Einmal erklärt Jenny Gröllmann in Ich will da sein, warum sie sich nicht öffentlich äußern wollte zu den Vorwürfen - weil sie das Gefühl gehabt habe, sich dann erklären, sich verteidigen zu müssen. Das ist keine Sprecherposition, aus der heraus man erzählen kann. Aber weil der Film diese Position tapfer ignoriert, erzählt er noch immer nicht die Geschichte der Jenny Gröllmann, die nicht die Geschichte von Ulrich Mühe ist, wie sie Das Leben der Anderen geformt hat. Und im zweiten Teil von Ich will da sein sind die ehrlichen Sätze der Entlastung so schnell aneinander geschnitten, dass es doch aussieht wie Verteidigung.
Petra Weisenburger hat Jenny Gröllmann beim Sterben begleitet. Das ist ein intimer Prozess, der belohnt wird durch ein Bild von der todkranken, abgemagerten Frau in ihrem Bett. Man muss über dieses Bild streiten, weil es von nichts erzählt außer der Nähe der Regisseurin zu ihrer Hauptfigur. Und damit die Vermutung nahe legt, dass Petra Weisenburger die Distanz gefehlt hat zu ihrem Sujet. Es fehlt ihr aber vor allem: ein Sujet. Ich will da sein ist weder die kurze Geschichte von einem Leben vor dem Tode noch die Biografie der Jenny Gröllmann noch das gesellschaftliche Panorama eines Daseins in der DDR, in das Jenny Gröllmann hinein geboren wurde als Tochter zweier offenbar bemerkenswerter Widerstandskämpfer, über die man nicht viel erfährt. Wer Kritikern widersprechen will, wird diesen Film eine Hommage nennen, aber dafür fehlt es ihm an poetischer Dichte. Alle Schauspielerkollegen, die in diesem Film zu Wort kommen, sind Männer, die wir bewundern auf der Bühne und im Film, die aber zumeist nur private Schauspieleranekdoten abliefern. Das klingt - gerade am Anfang, wenn es um die Schönheit der Jenny Gröllmann geht, ihre Hände, ihre Füße, ihre "krummen Beine" - nicht selten nach der Art Fleischbeschau, wie man sie auf Rassepferdeschauen vermutet.
Es bleiben von Ich will da sein die Bilder der Enge, des Drinnen, eines Heimvideos, die das Leben der Jenny Gröllmann klein machen, weil sie unfreiwillig ihr Scheitern in dem Deutschland erzählen, in dem sie gestorben ist. Verdient gehabt hätte sie aber eine Geschichte, die an die große und über den Verdacht, der ihr Sterben begleitet hat, vergessene Schauspielerin erinnert. An die "Ausnahmeerscheinung", wie einmal einer sagt, die sie in der DDR gewesen ist.
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