Ein E für ein U

Medientagebuch Das Dschungelcamp ist für den Grimme-Preis nominiert worden. Warum die RTL-Sendung die höchstangesehene deutsche Fernsehauszeichnung erhalten sollte

Der Grimme-Preis hat einen Ruf zu verlieren. Er gilt als Deutschlands höchstangesehene Auszeichnung für eine Fernsehsendung, und deshalb sah sich der Direktor des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, gezwungen, eine ziemlich umfängliche Erklärung zu veröffentlichen, warum die RTL-Sendung Ich bin ein Star – holt mich hier raus, das sogenannte Dschungelcamp, als Aspirant auf die begehrte Auszeichnung nominiert worden ist in der vergangenen Woche.

Es hagelte nämlich Proteste – in einer Form, die für eine seit acht Jahren abnehmend kontrovers diskutierte Show dann doch überraschen konnte. Selbst ein Blogger wie Malte Welding, der sich sonst eher als lässiger Skeptiker mitunter fitzeliger Ethik-Diskussionen im Netz geriert, bekam, wie man früher gesagt hätte, einen Moralischen, hielt auf seiner Facebook-Seite das Dschungelcamp für das „widerlichste Format“ und schrieb etwas von „Zynismuswolf“, durch den alles gedreht werde.

Die Schauspielerin Katrin Sass, die kein Problem damit hat, von Markus Lanz auf ihre gewesene Alkoholabhängigkeit reduziert zu werden, schimpfte in dessen Sendung auf Peer Kusmagk, den sogenannten Dschungelkönig von 2011, in einer selbstgerechten Weise, die zumindest nachdenklich stimmen sollte – wenn der Vorwurf ans Dschungelcamp Respekt- oder Würdelosig-keit lauten soll.

Schaufensterdekorateur

Danach fragte der aufstiegswillige Alleswegmoderierer und Instantmoralist Markus Lanz, dessen Gesprächssendung daraus besteht, Leute auf etwas – zumeist Peinlich-Intimes – zu reduzieren, wie Katrin Sass auf ihre gewesene Alkoholabhängigkeit, dieser Markus Lanz also, der sein ganzes mediales Berufsleben über – und ohne mit der Wimper zu zucken – die Schaufenster des Boulevards dekoriert hat, fragte ausgerechnet den Journalisten Matthias Matussek – der zuletzt über sein angebliches „katholisches Abenteuer“ geschrieben hatte und dem unbedingt zuzutrauen wäre, dass er in zwei Jahren ein emphatisches Porträt des Leibhaftigen vorlegte, wenn’s nur der Aufmerksamkeitserzeugung diente –, wann „Trash zu Kultur“ werde. Markus Lanz. Matthias Matussek. Trash. Kultur.

Aber irgendetwas muss das Dschungelcamp in den Leuten berühren, dass sie sich so sehr entrüsten. Und das hat mit einem falschen, weil bloß äußerlichen Begriff von Trash zu tun, wie er in Deutschland gepflegt wird – einem Statusdenken, das Kultur immerfort in E und U unterscheiden muss und das nur nach dünkelhafter Rückversicherung mit dem Kanon tun kann.

Dabei ist das Dschungelcamp eines der unterhaltsamsten, bestinszenierten und moralischsten Theaterstücke, die das Fernsehen – das sogenannte öffentlich-rechtliche eingeschlossen – derzeit aufführt. Der „Dschungel“ ist Dekor, die ekligen Prüfungen sind die Attraktoren und Spannungsverstärker, die den Zuschauer für ein Drama der – und das ist völlig ernst gemeint – Menschlichkeit unter ihm zumeist unbekannten Leuten interessieren soll, weil er sich das sonst nicht anschauen würde.

In einer besseren Welt gäbe es das Dschungelcamp nicht. Für die Welt aber, in der wir leben, in der Markus Lanz als Moderator gilt und Matthias Matussek als Journalist, ist es spiegelbildlich. Die Sendung verschafft, und darin besteht ihr fast kitschiger Humanismus, den Angestellten des Boulevards die Möglichkeit, als die Menschen hinter ihrer öffentlichen Rolle inszeniert zu werden, die sie nirgend anders sein können. Nicht in den Texten von Matthias Matussek und erst recht nicht in den Shows von Markus Lanz.

Wenn der Grimme-Preis seinen Ruf als wichtigsten Fernsehpreis festigen will, sollte er das Dschungelcamp auszeichnen.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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