Ein Film zum Hören

Radio Der Deutschlandfunk sendet am 22. Mai eine alte Geschichte: Max Ophüls' Version von Schnitzlers "Berta Garlan" von 1956, die kein Film mehr sein durfte und Hörspiel wurde

Die Grenzen der Freiheit hat der Filmemacher Max Ophüls am Ende seines Schaffens aufgezeigt bekommen. Sein Meisterwerk Lola Montez, das am Beispiel einer Tänzerin in der Zirkuskuppel virtuos den Raum vermaß, in dem eine Künstlerin um ihre Freiheit und gegen Konventionen kämpfte, in Cinemascope und in deutscher und französischer Sprache gedreht, erwies sich als Flop an der ­Kinokasse und wurde von den un­zufriedenen Produzenten noch verstümmelt.

Nach dieser Erfahrung fand Ophüls keine Unterstützung für sein nächstes Projekt, die Verfilmung der Schnitzler-Novelle Frau Berta Garlan. Dabei hatte er zweimal mit Adaptionen von Stoffen des österreichischen Dichters von sich reden gemacht: Liebelei begründete 1932 seinen Ruf, La Ronde (Der Reigen) beendete 1950 mit der Rückkehr nach Frankreich die Phase weniger bedeutsamer Filme in den Jahren der Emigration. Ophüls wählte ein anderes Medium und inszenierte den Stoff 1956 als Hörspiel für den Südwestfunk (SWF).

Die Novelle von 1900 versammelt Motive aus Schnitzlers Werk, die Ophüls immer interessiert haben: die Melancholie gegenüber dem eigenen Leben; die Sehnsucht nach Freiheit, die gerade für Frauen vor den Zwängen der Zeit haltmacht; das Oszillieren zwischen Traum und wirklicher Welt; die radikale Subjektivität, auch wenn Schnitzler erst wenig später den inneren Monolog zum Stilprinzip erhoben hat. Die 32-jährige Klavierlehrerin ­Berta, Mutter des kleinen Fritz, lebt verwitwet in einer Kleinstadt bei Wien. Ihr Mann, den Berta nicht aus Liebe, vielmehr aus Vernunft und Not geheiratet hatte, ist seit drei Jahren tot (Ophüls datiert die Spielzeit der Handlung auf das Jahr 1911). Und Berta ertappt sich bei Sehnsüchten nach der „Jugend, die jedem Mädchen beschieden ist und aus der sie in das stille Frauenleben eingeht“. Sie richten sich auf die zwölf Jahre alte Jugendliebe, den Violinisten Erwin (wie er bei Ophüls heißt) Lindbach, den einzigen Mann, den sie je geliebt, damals am Konservatorium in Wien, das sie vor der Zeit verlassen musste. Erwin hat es zu Erfolg gebracht, Berta schreibt ihm Briefe, kriegt Antwort („Was für ein Morgen!“). Es kommt zum Wiedersehen, einer gemeinsamen Nacht, aus der Berta ganz selig erwacht („Das Licht des Morgens war um sie“), aber die Geschichte endet traurig, weil Erwin zu den Männern ­gehört, „die nichts anderes wollen, als ‚ihr Ziel erreichen‘“, wie sie in einem ­Roman gelesen hat.

Zweieinhalb Stunden dauert das Hörspiel, aber die Zeit vergeht wie im ­Fluge. Das Tempo, das Ophüls ganz subtil variiert, nimmt den Zuhörer gefangen. Liest man eine Stelle wie die ­Beschreibung der ersten Anfahrt auf Wien nach dem Hören im Text nach („Die Stadt lag vor ihnen. Jenseits des Flusses ragten Schlote in die Höhe, langgestreckte, gelb angestrichene Häuser reihten sich aneinander, Türme stiegen auf. Über allem lag die milde Maisonne“), dann kommen einem die Buchstaben träge, statisch, viel zu lang vor. Unmerklich steuert der Erzähler (Gert Westphal) in Wellenbewegungen den Höhepunkten und Peripetien ­entgegen, öffnet seinen Vortrag für Stimmungen, die mit der Gefühlswelt Bertas korrespondieren, ohne sie zu überzeichnen. Käthe Golds Berta ist die mädchenhafte Passantin ihres eigenen Lebens, das Ophüls durch sparsamen, manchmal repetitiven Einsatz von ­Geräuschen und Dialogen als eine ­Innenwelt entfaltet, durch die man sich so mühelos bewegt wie durch die Landschaftsbeschreibungen.

Berta Garlan genießt im Deutschlandfunk fast grenzenlose Freiheit: Wenn das Hörspiel am 22. Mai ab 20.05 Uhr ausgestrahlt wird, fallen die stündlichen Nachrichten aus.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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