Ein kostbarer Film

Kinostart Tamara Trampes Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ macht aus der Spurensuche nach Herkunft ein Puzzlespiel der Erinnerung: Letzte Bilder von Frauen aus dem Krieg
Ausgabe 16/2014

Kinostart klingt nach Auftrieb, Werbung, Distribution, nach einem Netz von Kanälen, in die Filme eingespeist, um von zahllosen Zuschauern gesehen zu werden. Das Kinoprogramm ist Ausdruck der Maschinerie, wenn es mehrmals am Tag und en suite neueste Filme verspricht.

Die Assoziation von Kino mit Massen hat wohl damit zu tun, dass man im Kino mehr Leuten begegnet als beim Fernsehen. Dabei ist, für deutsche Filme, der Kinostart zumeist nur Förderbedingung, lassen sich die Zuschauerzahlen nach Ausstrahlung im Fernsehen selbst bei den geringsten Messungen von Quote auf Tausende hochrechnen.

Insofern formuliert der Kinostart von Tamara Trampes Dokumentarfilm Meine Mutter, ein Krieg und ich einen versöhnlichen Gedanken für die von strukturellen Widrigkeiten geplagte deutsche Filmproduktion. Wobei, Kinostart – der Film kommt nicht ins Kino, aber er ist in einigen Berliner Häusern zu sehen, bevor er im Herbst im ZDF läuft: Brotfabrik, Krokodil, fsk – kleine Kinos, die Trampe nahestehen.

Den Film zu zeigen, ist dann weniger Auswertung als Aufwertung: Dass Meine Mutter, ein Krieg und ich nach der Premiere auf der Berlinale nur kurz und gezielt im Kino zu sehen ist, macht ihn kostbar; eigentlich handelt es sich um eine Art gemeinsames Fernsehen in einem großen Wohnzimmer.

Und es passt unbedingt zu diesem Film, der elegant ist, lakonisch, ganz leicht wirkt trotz der Schwere des Themas. Der nichts muss und trotzdem zwingend ist. Tamara Trampe spürt der eigenen Herkunft nach, dem Umstand, dass sie im Winter des Krieges auf einem Feld in der Sowjetunion geboren wurde von einer Mutter, die als Krankenschwester an der Front gegen die Deutschen gekämpft hat.

Als Rekonstruktion von Geborgenheit ist 2009 Wiegenlieder entstanden, abstrakter, zärtlich. Nun der explizit autobiografische Essay, der anfängt mit letzten Gesprächen mit der Mutter, kurz vor deren Tod. Der dann aber, über die Suche nach Erinnerung in den diesigen, städtebaulich prekären Orten zwischen Synelnykowe und Dnipropetrowsk, eine Generation von Frauen würdigt, die im Krieg waren und dennoch nicht als Heldinnen gefeiert wurden. Denen hier zum letzten Mal jemand zuhört beim Schweigen über die Erinnerung.

Eigentlich müssten in Meine Mutter, ein Krieg und ich die Massen strömen.

Meine Mutter, ein Krieg und ich von Tamara Trampe, Deutschland 2013, 77 Minuten

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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