Der Sinn von Wortspielen ist die charmante Verpackung von Doppeldeutigkeit. Anfang der neunziger Jahre, als das Privatfernsehen seine experimentierfreudigste Zeit hatte, feierte auf dem Bildschirm ein Magazin namens Liebe Sünde Premiere. Das Wort "Liebe", das hier substantivisch und attributiv gebraucht wurde, legte nahe, dass es um Partnerschaft und Sexualität gehen würde; das Wort "Sünde" machte die leicht verruchte Andeutung, dass auch davon die Rede sein würde, wovon das Fernsehen bislang nur hinter dem vorgehaltenen Telefonhörer Erika Bergers gesprochen: von Sex. Liebe Sünde begann auf Vox und wurde ein paar Jahre später bei Pro7 eingestellt.
Als Vox sein Konzept eines anspruchsvollen privaten Informationssenders revidiert hatte und sich auf das Abspielen von Filmen und Serien beschränkte, machte man zum Nachfolger von Liebe Sünde eine Sendung namens Wa(h)re Liebe. Der Doppelsinn war hier reichlich uncharmant verpackt, was zum einen daran lag, das Wortspiele mit Klammern immer etwas bemüht erscheinen. Die Verbindung der "Ware" mit dem "Wahren" wirkte zum anderen wie ein tölpelhaftes Eingeständnis dessen, was die Marktwirtschaft, die sich sozial nennt, zu kaschieren versucht: Die ökonomische Fundierung jener Felder, die sich jenseits des Ökonomisierbaren befinden sollten. Die "wahre Liebe", so abgenutzt der Ausdruck klingen mag, ist das Gegenteil der "Ware Liebe". Wer es gut meint, konnte in dem Titel den Versuch erkennen, die weiten thematischen Grenzen eines Fernsehmagazins abzustecken, das dann vom Ideal einer Partnerschaft bis an die Fließbänder der Sexindustrie reichte. Wer Wa(h)re Liebe einmal gesehen hatte, erkannte in dem Namen ein Programm, von dem man nur nicht wusste, ob die Macher es aus Kalkül oder Unvermögen verfolgt haben. Unter den Magazinen des deutschen Fernsehen war Wa(h)re Liebe bis zu seiner Einstellung nach zehneinhalb Jahren Ende des gerade abgelaufenen Jahres das liebloseste und neoliberalste zugleich. Es ging um Pornos und all die Bereiche, in denen öffentliche Skandale oder Partnerschaft sexuell motiviert waren, also vor allem um Pornos. Wa(h)re Liebe war eine Dauerwerbesendung des automatisierten Begehrens und, ästhetisch gesehen, Offener Kanal im Privatfernsehen. Die sechst- und die viertletzte Sendung, die beide vorgaben, einen "beliebten Beitrag" aus der Geschichte der Sendung zu präsentieren, zeigten am Ende den identischen Bericht über eine britische Fußballmannschaft, die Nacktaufnahmen von sich machen ließ, um leere Vereinskassen zu füllen. Mit einer Redaktion wäre so was womöglich nicht passiert.
"Frauen in Pornofilmen werden immer gelobt. Warum eigentlich", fragt sich der Schriftsteller Helmut Krausser in seinem April-Tagebuch. Weil der Porno keinerlei Regulierung kennt, könnte man antworten. Das Pornographische liegt auch deshalb in einer gesellschaftlichen Randzone, weil es nicht den Maßgaben der gesellschaftlichen Mitte unterliegt, weil es sich etwa durch die völlige Abwesenheit von Kritik auszeichnet. Pornofilmrezensionen wären unsinnig, weil das einzige Kriterium die Produktion von Erregung ist, der kleinste gemeinsame Nenner die Möglichkeit zur sexuellen (Selbst)Befriedigung an bewegten Bildern. Alles, was darüber hinaus geht - Handlung, Dialoge, teure Dekors, Ensemble von mehr als zwei Personen - ist Variation, nicht qualitativer Sprung.
Wa(h)re Liebe funktionierte ebenso. Der gezahlte Mindestlohn an die Erwartung des Zuschauers war sexuelle Erregung, wenngleich die Fernsehsendung nicht derart explizit sein durfte wie der Film aus der Erwachsenen-Abteilung der Videothek. Wie im Porno galt bei Wa(h)re Liebe das Primat des Sehens, was erklärt, wieso eine in jeder Hinsicht schlecht gemachte Sendung überhaupt gesendet werden konnte. Weil der Zuschauer beim Warten auf die Projektionsflächen seiner Fantasie alles Gerede nur als Rauschen wahr- oder in Kauf nahm. Da war es egal, wenn Moderatorin Lilo Wanders - bei der man sich nicht vorstellen kann, dass sie einmal eine respektierte Komödiantin des Hamburger Varietés gewesen sein soll - mit Studiogästen so unsouverän umging wie mit dem Telefon, an dem sie die sendungseigene Kontakt-Hotline demonstrieren sollte. Wenn in einem Beitrag, der von "Faszination: große Brüste" handeln sollte, die Bilderflut an Beispielen mit einem Text versehen ist, in dem ein geistiger Kurzschluss (sinngemäß: Viele Männer mögen große Brüste, aber große Brüste haben nicht nur Vorteile) Achterbahn in der verbalen Endlosschleife fuhr. Wenn in einem Bericht über den Dreh eines Pornofilms unreflektiert gesendet wurde, was unreflektiert geäußert wurde. Off-Sprecher: "Renee spielt eine Krankenschwester." Renee: "Und das ist alles, was ich weiß." (...) Off-Sprecher: "Auch Frances weiß bis jetzt wenig über ihre Rolle." So ging das fortwährend, weil es um nichts ging als das Hinschauen. Keine Dramaturgie, keine Information, keine These - der Beitrag hätte zwei Minuten dauern können oder eine halbe Stunde.
Was in Wa(h)re Liebe gesagt wurde, war darauf aus, nicht zu stören - weder die mögliche Erregung des Zuschauers, noch die Interessen der Sexindustrie. So wurde an Pornodarstellern oder anderen Lustproduzenten, alle Vorkämpfer einer total gewordenen Ökonomie, stets ihre Professionalität gelobt: X fällt dieses leicht, und Y weiß jenes zu nutzen. Dahinter stand der Glaube, dass "seinen Job gut zu machen", schon eine moralische Handlung ist, weil das Wörtchen "gut" ja vorkommt. Dass eine Karriere als Porno-Aktrice vielleicht nicht nur erstrebenswert ist, fiel dabei ebenso unter den Tisch wie ein Beitrag zum Thema Aids in der ersten Dezemberwoche, was - wenn Wa(h)re Liebe es ernst gemeint hätte - ein Thema für die Sendung gewesen wäre.
Zweifel an der heilen Welt der Ware Liebe verdankten sich in dieser Sendung folglich nur dem Dilettantismus ihrer Macher. So offenbarte besagte Frances, befragt nach ihren Plänen für die Zukunft, einen Hauch von Tragik, weil sie mit einem Mal nicht mehr Kunstfigur war, sondern zur realen Person wurde, da sie mit den Achseln zuckte und davon erzählte, dass sie ursprünglich zum Bund, der Polizei oder dem BGS gewollt hätte, daran aber gescheitert wäre. Und so wurde es spürbar peinlich, als Lilo Wanders in der letzten Sendung Dolly Buster in scheinbarer Vertrautheit und durch die Blume fragte, was an ihrem Äußeren alles Produkt der Schönheitschirurgie wäre, Dolly Buster diese Nähe aber hilflos zurückwies, was eindeutiger noch als das folgende Dementi war.
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