Die Zivilcourage ist auf den Hund gekommen. Diesen Eindruck muss haben, wer in der letzten Woche die Meldung las, dass ein Dresdner Hotel die Zimmerbuchung des NPD-Fraktionschefs Holger Apfel und seines Stellvertreters storniert und diesen Vorgang aus billigem Kalkül öffentlich gemacht hat. Was ist damit gewonnen? Die Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Teilen unserer Gesellschaft muss geführt werden um Werte und Ansichten, in Jugendhäusern und Versammlungsstätten, mit Argument und Gesetz. Stornierung als Pressemeldung ist aber keine Auseinandersetzung. Das Fatale an solch scheinbar demokratischem Übereifer, der sich auch in der Gestalt des Eva-Herman-Rausschmeißers Johannes B. Kerner exemplifiziert, liegt in der unhinterfragten Bestärkung von rechten Gedankenträgern in ihrer selbst empfundenen Marginalisierung.
Vor diesem Hintergrund ist ein Projekt, wie es die Theaterregisseurin Gudrun Herrbold gemeinsam mit Ursula Rogg und Kristina Stang im Berliner Theater an der Parkaue mit Unterstützung der Bundeskulturstiftung realisiert hat, nicht hoch genug zu loben. Dynamoland widmet sich einem blinden Fleck der Gesellschaft, in dem sich alles verwirrt, was in der deutschen Geschichte als Problem markiert ist. Beim Versuch, Klarheit herzustellen, dürfte Subversionstheoretikern und Frustrationspsychologen schwindlig werden: Nazis, Hooligans, Stasi und DDR-Sehnsucht kodieren in der öffentlichen Wahrnehmung das Emblem des BFC Dynamo, eines heute viertklassigen Fußballklubs, der in den achtziger Jahren durch den Willen Erich Mielkes als Serienmeister den ostdeutschen Fußball veröden ließ.
Wie der Fußball ist Theater eine symbolische Handlung, was den Vorteil birgt, dass man darüber ins Gespräch kommen kann. Dynamoland präsentiert nach einer ausgiebigen Recherche - die in einem Begleitheft dokumentiert ist - drei B-Jugend-Spieler und zwei Altanhänger des Klubs als Performer ihrer selbst. Nick, Julius und Philipp zeigen ihre Tricks und erzählen von Hass und Vorurteilen, die ihnen auf fremden Plätzen entgegenschlagen. Philipp sagt, dass er auf die Frage, woher er kommt, immer Berlin antworten würde, und auf die Nachfrage, ob aus Ost oder West, immer noch Berlin; er sei schließlich 1991 geboren. Weil das wenig hilft, bleibt den jungen Kickern nur die Wahl, das Haupt zu senken oder sich im Stigma einzurichten. Dass der Hass der anderen die eigene Leistungsfähigkeit beflügelt, ist ein Diktum des Fußballphilosophen Oliver Kahn. Nur käme Oliver Kahn deshalb nie auf die Idee, sich "München" auf die Brust oder das Bayern-Wappen übers Herz tätowieren zu lassen. Julius zeigt sein "BFC"-Tattoo auf dem Oberarm, "in altdeutscher Schrift", und erzählt, dass der englische Tätowierer ihm Rabatt gegeben habe, als er nach mehreren Erklärungsversuchen schließlich erwähnte, dass der Verein für seinen Hooliganismus gefürchtet sei. Identität als Antithese: Wer nicht gut spielt, kann immer noch böse sein.
Der ehemaliger Bauarbeiter, Punk und Schriftsteller Andreas Gläser (Der BFC war Schuld am Mauerbau) und der Bekleidungsgestalter Sven Friedrich, der im Berliner Idiom unter "Zven" firmiert, sind für die historischen Exkurse zuständig, wenn sie nicht zu selbst aufgelegten Platten schlaksig Arme und Beine schütteln, wie es beim Pogo beziehungsweise zum Ska Mode ist. Friedrich erklärt seine Fantum aus der Lust an einer Provokation zweiter Ordnung. Während er seine Jugend bei Union, dem großen Antipoden des BFC, "verschwendet" habe, weil sich da die "Feinde des Staates" sammelten, wechselte er später zum BFC, um unter Mielkes Augen in Westklamotten Desinteresse am Dauererfolg zu bekunden, was man wohl als eine Art subversiver Affirmation verstehen muss. Provokation gehört zu den Lieblingsvokabeln von Friedrich, der nach der Wende das Label "Hoolywood" gründete, um "Gegenwear" zu produzieren und den "Marxismus-Hooliganismus" textil zu propagieren.
Die Stärke von Dynamoland besteht in der Offenheit, mit der die Figuren hier von sich selbst reden können und nicht domestiziert werden durch die Erwartung, sich auf der Bühne permanent von sich selbst distanzieren zu müssen. Zu den Schwächen zählt - neben bisweilen platter Illustration und einfachem Witz, auf den etwa das Nachnuscheln einer Mielke-Rede zielt -, dass die Figuren von dieser Möglichkeit nicht immer Gebrauch machen. Gläser und Friedrich erzählen wenig von der Gewalt, die sie erfahren haben werden. Oder davon, was - wenn schon keine Ideologie - sich hinter dem "Marxismus-Hooliganismus" verbirgt. Außer "Provokation".
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