Er hat 20 Jahre in Stuttgart gelebt

Tatort Noch ist die Impotenz nicht völlig begriffen: 10 Jahre Münster und "Das Wunder von Wolbeck" frischt das Thiel-Boerne-Gefrotzel auf. Und: Ein Gewinnspiel in eigener Sache

Pressehefttime again! Münster hat Jubiläum – wobei ein ewig miesepetriger Zeitgenosse auf den kessen Gedanken verfallen könnte, wie aussagekräftig es eigentlich ist angesichts der höchst heterogenen Produktionsumstände beim Tatort, die Jahre zu zählen, but: geschenkt. 10 Jahre Münster, 22. Folge, und also haut der weltweit einzige habilitierte WDR-Redakteur (und sogenannte Tatort-Koordinator) Prof. Gebhard Henke in die Tasten, und das Tolle an dem Grußwort von Prof. Henke ist, dass es durchaus selbstkritisch daherkommt: "Nicht alle Kritiker, vor allem die Krimi-Puristen, goutierten, dass neben den skurrilen Fällen die Komik des Ensembles dominant im Vordergrund der Filme steht."

Was latürnich leicht einzugestehen fällt, weil Münster zugleich im Gelben Trikot des Tatort-Pelotons fährt – zumindest wenn man die fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen völlig unsinnige Quotenzählerei als Bemessungsgrundlage nimmt. Die beiden folgenden Sätze aus Prof. Henkes Toast schweigen davon nicht: "Aber das Publikum hat von Beginn an diese besondere Tonalität der Filme aus Münster angenommen und die Zuneigung wächst beständig. Nahezu 12 Mio. Zuschauer verfolgten bei der Folge 'Herrenabend' den Schlagabtausch zwischen dem bodenständig-schnodderigen Ermittler Thiel und dem selbstverliebten Rechtsmediziner Prof. Boerne."

In diesem Sinne könnten wir jetzt schon die Pressemitteilung aufsetzen, die der NDR – gesignt von den zuständigen Redakteuren, Intendant Lutz Marmor und ARD-Programmdirektor Volker Herres – an dem Montag 2013 rausjagen wird, an dem Til Schweigers Tatort-Debüt mehr als 12 Millionen Zuschauer gehabt haben wird. Manchmal ist diese ARD so einfallslos wie Hannover 96 am Wochenende gegen Bayern Munich. Aber uns fragt eh keiner.

Fünf Leute am Tresen

Und da wir noch immer nicht Das Wunder vom Wolbeck diskutieren, sondern mitten in den Absurditäten des unglaublichen Luxus' stecken, den ein öffentlich-rechtliches Fernsehen in den Sonntagsreden von Demokratieerhaltern und Aufklärungsförderern immerzu darstellen darf, kommt das Interview mit den Münster-Erfindern Jan Hinter und Stefan Cantz im Tagesspiegel gerade recht. Dort wird nämlich auf die Missverhältnisse bei der Produktion verwiesen: dass beim Tatort gespart werden muss, wiewohl sich Prof. Henke doch nicht ganz zu unrecht freut, wie gut diese traditionsreiche Sendung ankommt, und die ARD kein Armenhaus ist. Man versteht es eher nicht so ganz.

Hinter und Cantz: "Wir unken schon oft beim Schreiben, dass dies oder jenes rausfliegt. Actionszenen zum Beispiel, oder Situationen, in denen außer unseren Darstellern ein bisschen Komparserie benötigt wird. Und meistens haben wir recht. Die Geschichten werden immer mehr zu Kammerspielen, weil an allen Enden und Ecken Geld fehlt. Da kann man noch so fett ins Drehbuch schreiben, dass eine Kneipe aus dramaturgischen Gründen gut besucht sein muss, am Ende sind es fünf Gäste – und das sieht entsprechend aus."

Da ist nun aber endlich die Überleitung, die Gerhard "Delle" Delling nicht besser hingekriegt hätte – denn im Wunder von Wolbeck sitzen in der Kneipe tatsächlich nie mehr als die fünf Leute, die für den Dialog gerade gebraucht werden. Die Erklärungsnot sagt: Es ist eine Landkneipe, da ist eh nicht viel los, aber die Erklärungsnot hört nicht zufällig auf diesen Namen.

Zucht als Ordnungsprinzip

Anyway. In der Kneipe sitzen die drei Powersamenspenderbrüder Thomas (Johannes Rotter), Bert (Jan-Peter Kampwirth) und Gerd Krien (Mirco Reseg), die stullig sind, wie man das auf dem Land sein darf, aber immer können und deshalb das Geschäftsmodell des Lokalgynäkologen Lembeck supporten, der worldwide Frauen mit impotenten Männern die Kleinfamilie beschert. Impotenz ist ein Thema, das in Münster autorenübergreifend auftaucht – eine abschließende Überlegung dazu ist noch in Arbeit. Zweifellos aber befördert die Nähe zum Land, die im Ostwestfälischen zwangsläufig ist, solcherart Themenwahl, weil Rinderherden und andere Nutztieransammlungen den agrarindustriellen Blick auf Zucht schärfen. Aus kriminalistischer Hinsicht bietet die Samenspende die Trennung von Ursache und Wirkung, und dazwischen wohnt dann der Verdacht.

Dass Wolfgang Stauch als DJ Drehbuchautor ein besonders originelles Set fährt, lässt sich wegen des Etappenmords (Amanda!), der hier, ex negativo, als unterlassene Hilfeleistung um die Ecke biegt, schon mal nicht behaupten. Die Lektion, die Bauer Kintrup (Stephan Kampwirth) am Ende lernen muss – er, der die Samenspende ablehnt, weil sie in einem reinrassigen Begriff Erbfolge sogenannten Monstern Tür und Tor öffnet, ist selbst der Sohn von Eugen "Monster" Arschloch –, taugt überdies zur Beeindruckung von Zweitklässlern.

Aber Mord ist eh nicht der Beritt von Thiel und Boerne, was der Melancholomucke (Musik: Biber Gullatz, Andreas Schäfer) zu Beginn offenbar keiner gesagt hat, denn die tut zu den Slomo-Effekten so, als ginge es in Das Wunder von Wolbeck ans Eingemachte der tragischsten Tragik. Tatsächlich geht’s aber nur drollig hin und her zwischen Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jay Jay Liefers), und darin ist die Folge sogar ein wenig fresh: Für die Hassliebe, die das Angefrotzel der beiden sein soll, wirkt der Trick mit den Schachspielschulden durchaus als Dialogmotor. Humor ist außerdem, wenn Boerne und – kein Witz über deren Körpergröße this time – Frau Haller (ChrisTine Urspruch) funny Partnerlook in eklektizistischem Country Style tragen und Boerne, dieser Misanthrop, in Zuneigung zur Ziege plötzlich die Liebe entdeckt.

Mit einem Bewusstsein für den Horizont, an den Prof. Henke seine Grußworte malt, lässt sich aber sagen: Kann man alles machen. Und die Bilder von Martin Farkas sind sehr schön.

Etwas, das man sich für den Grabstein merken kann: "Er ist seinen eigenen Weg gegangen"

Ein Tiername, der zu Herzen geht: Mimi (die Ziege)

Ein Gewinnspiel, bei dem man mitmachen kann: Oft gewünscht, lang erwartet und nun out now – das Tatort-Buch vom Autor von hier! Matthias Dell: "Herrlich inkorrekt". Die Thiel-Boerne-Tatorte ist just bei Bertz+Fischer erschienen, 128 Seiten, mit Bildern, 9,90 Euro. Aus diesem Anlass werden hier – nicht hierarchisiert – zwei Ausgaben und eine Flasche natives Olivenöl verlost. Die Insiderfrage im Zeitalter von Google lautet:

Wie hieß der Carl-Zeiss-Jena-Chef Biermann mit Vornamen, der 1988 dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrats, Genossen Erich Honecker, den 1-Megabit-Speicherbit überreichte?

a) Wolf

b) Rolf

c) Wolfgang

Die richtige Antwort bis Mittwoch, 28. November, 12 Uhr an community-support@freitag.de mailen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, Freitag-Angestellte und deren Verwandte dürfen nicht mitmachen. Glücksfee ist Frau Zeise, JJK gibt den Walter Baresel und wird die Auslosung leiten. Als Widmungstexte wurden von einer Findungsagentur "Alles Gute" und "Weiter so" erarbeitet.

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