Es ist ein Luxus, so weit weg zu sein

Im Gespräch Der amerikanische Filmwissenschaftler Barton Byg über filmische Versöhnung, gemütliche Deutsche und die DEFA-Zukunft

Der Freitag: Ich war heute Morgen hier in Amherst im Schwimmbad: ein heruntergekommenes Gebäude, drei Besucher, aber am Rand sitzen gleich zwei Aufpasserinnen, die nichts zu tun haben. Sind die USA der DDR nicht ähnlicher, als man denkt?

Barton Byg: Das sage ich seit 30 Jahren! Mich hat an der DDR gereizt, dass sie mir so vertraut vorkam. Etwas schäbig, aber menschlich. Dass es ein Kleinbürgertum gibt, das einen gern kontrolliert, und dass das Miteinander eher proletarisch geprägt ist als bourgeois, das kenne ich von zu Hause. Ich habe das mal einer Kollegin aus der DDR erzählt, etwas provozierender formuliert. Sie meinte, mit diesem Vergleich beleidigst du die Ostdeutschen. Dadurch fühlte ich mich wiederum beleidigt.

Warum sollte man sich mit DEFA-Filmen beschäftigen?

Das sind Relikte. Man wird diese Filme noch angucken, wenn kein Mensch mehr da ist, der noch eine Erinnerung an diese Zeit hat. Straub/Huillet sagen, ich glaube über

Die amerikanische Distanz führt dazu, an Filme unideologisch ranzugehen ...

... das hat Nachteile, ist aber auch sympathisch. Es ist ein Luxus, so weit weg zu sein...

... wie in „Unknown Identity“, einem Thriller, der gerade lief. Darin spielt Bruno Ganz einen Stasi-Major als reine Fiktion, völlig unbeleckt von Realität, der aber nicht verdammt, sondern irgendwie als Geheimdienstmann respektiert wird. Das wäre in einem deutschen Film nicht möglich.

Das sind Genrefragen. Aus demselben Grund kann ich den Film

„Das Leben der Anderen“ loben? Da möchte ich ideologisch werden.

Wegen mangelnder Distanz. Uns geht das nicht so stark an, ob man den Film loben oder kritisieren müsste. Der funktioniert, ist gut gebaut.

Aber er ist voller Klischees! Diese Dissidentenfreunde von dem Schriftsteller, die immer hüsteln müssen, weil ihr Kampf gegen das System von schlecht beheizten Altbauwohnungen aus geführt wird – bei den „Simpsons“ sind die hüstelnden Waisenkinder ein Running Gag.

Unser Bewusstsein wird durch die Popkultur geprägt, deshalb fängt man mit den Klischees an wie dem Roten Stern, den Mauerstücken, die fast Warenzeichen sind. Man muss dann den nächsten Schritt machen und fragen, woher kommen die Klischees?

Und?

Nehmen wir

Was mich am „Leben der Anderen“ stört, ist die falsche Versöhnung am Schluss.

Mich hat dieser Schriftsteller, den Sebastian Koch spielt, immer an einen westdeutschen 68er erinnert, der sieht nicht aus wie ein ostdeutscher Dissident. Dass der mit dem ostdeutschen Stasi-Mann seinen Frieden macht, ist vielleicht ein Mangel, aber auf der Ebene der Ost-West-Versöhnung logisch. Frederic Jameson hat gesagt, dass die DDR für die deutsche Erinnerung eine ähnliche Funktion hat wie der Süden für die amerikanische. Das finde ich sehr überzeugend: dass es Erzählungen gibt über den Teil des eigenen Landes, der als Schande empfunden wird, und dass das produktiv für die Erzählungen des ganzen Landes ist. Das sind böse Märchen. In den USA geht es momentan eher darum, dass die Sklaverei nicht nur die Plantagen im Süden betraf, sondern dass die Leute im Norden mitgemacht, von der Sklaverei profitiert haben.

Das heißt, die Probleme, die ein Nationalbewusstsein mit sich selbst hat, brauchen einen spezifischen Ort, damit sie begriffen werden und Versöhnung mit sich selbst stattfinden kann. Beim „Leben der Anderen“ ist mir die Versöhnung aber zu kitschig.

Was haben Sie gegen Kitsch? Wir sind hier in Amerika!

Hier gibt es auch keine Berührungsängste mit Genres. Warum fällt das Deutschland so schwer?

Das war ein Vorteil der DEFA, die waren da unbefangener als man es in der BRD war, glaube ich.

Wolf hat auch einen schönen Heimatfilm gemacht, der nicht reaktionär ist.

Einmal ist keinmal, sein Debüt. Interessant ist, dass er das in der Sowjetunion gelernt hat.

Und was will der amerikanische Zuschauer nach der Vorführung von solchen Filmen wissen?

Das ist unterschiedlich. Wir haben Zuschauer, für die es vor 2001 keine Geschichte gibt, und solche, die damit verbunden sind. Vor 20 Jahren kam nach einem Konrad-Wolf-Film ein älterer Herr auf mich zu und sagte: War dieser Konrad Wolf mit Friedrich Wolf verwandt? Von dem stand bei uns das Medizinbuch. Das war ein Exilant, dessen Familie, die nicht einmal links war, in der Weimarer Republik das Hausmedizinbuch Die Natur als Arzt und Helfer von Friedrich Wolf im Regal hatte wie Tausende.

Die DEFA ist 65 geworden. Zeit für den Ruhestand?

Unsere Arbeit fängt in vielen Fragen erst an. Wie wir von den Einwanderern wissen, sind es die Enkel, die Fragen stellen, die Kinder tun das weniger. Außerdem habe ich immer versucht, gegen die Teilung Deutschlands die Filmgeschichte als widersprüchliches Ganzes zu betrachten. Das ist erst seit 20 Jahren politisch eine Tatsache. Kulturell noch lange nicht.


Barton Byg ist Germanist, Filmwissenschaftler und Gründungsdirektor der DEFA Film Library an der University of Massachusetts in Amherst. Ende der siebziger Jahre weilte er erstmals zu einem Studien-aufenthalt in der DDR.


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