Explosive Stoffe

Schwierig Soll „Jud Süß“ frei vertrieben werden? Leisten Frauen eine andere Form von Widerstand? Filme von Felix Moeller und Yüksel Yavuz
Ausgabe 10/2014

Das Filmlager des Bundesarchivs in Berlin-Hoppegarten ist auf das Schlimmste vorbereitet. Die leicht entzündbaren und explosiven Bestände aus Nitrozellulose, einst Trägermedium für Film, werden in Hallen aufbewahrt, die in einzelne Zellen untergliedert sind. An deren Außenwand befindet sich eine sogenannte Überdruckfläche, die so konstruiert ist, dass sie bei einer Explosion nachgeben und gegen eine eigens aufgeschüttete Halde fliegen würde.

Mit dieser schönen technischen Beschreibung führt Felix Moeller in seinen Dokumentarfilm Verbotene Filme ein. Allerdings bleibt die gewählte Metapher vage – und das nicht nur, weil vor ein paar Monaten ein Aufruf zur rettenden Digitalisierung des filmischen Erbes ergangen ist, an den man in diesem Zusammenhang denken kann. Die Gefährlichkeit der 300 verbotenen und 40 nur eingeschränkt vorführbaren Filme aus der NS-Zeit wird in Moellers Feature unentschieden rekon-struiert: Würde Veit Harlans melodramatischer Hetzfilm Jud Süß frei zugänglich zur Mahnung taugen, weil sowieso nur überzeugte Nazis ihn affirmativ schauen? Oder bestünde die Gefahr, Antisemitismus durch den Film neu zu verbreiten?

Das sind alte Fragen, die Antworten fallen in Israel, Frankreich und Deutschland, unter Schülern, Filmhistorikern und gewesenen KZ-Häftlingen verschieden aus. Wobei der Umstand, dass durch das Internet staatliche Verbotshandlungen unterlaufen werden – Moeller lässt Nazi-Aussteiger zu Wort kommen, die vom Filmkonsum der Szene berichten –, eine neue Perspektive ermöglicht.

Unpolitische Schauspieler

Verbotene Filme begnügt sich aber damit, lauter Experten-O-Töne zu beschaffen und ein Die-einen-sagen-so-die-anderen-so-Panorama zu zeichnen, das von Regisseur Oskar Roehler schließlich als Privatmackertum banalisiert wird: „Wie gerne hätte ich eine Auswahl von, sagen wir, 20 NS-Klassikern zu Hause, wo du einfach sagst, okay, heute Abend schauen wir den.“ Nicht unproblematisch sind weiterhin die von dräuender Musik und blutroter Grafik unterlegten Zwischentitel, mit denen der Film Motive aus dem NS-Kino katalogisiert, um am Ende – zum wievielten Mal? – nach der Schuld von Heinrich George oder Emil Jannings zu fragen.

Gemeinerweise darf Jannings-Neffe Jörg Auskunft geben („Politik hat ihn nicht interessiert“), nicht aber George-Sohn Götz, der vermutlich das gleiche gesagt hätte. Dabei wäre es für eine Debatte, wie sie Moeller über die Vergangenheit vorschwebt, durchaus hilfreich, wenn mit größerer Nüchternheit 70 Jahre nach Hitlers Ende einmal akzeptiert würde, dass Publikumslieblinge von einst Opportunisten des Regimes gewesen sein können; sie waren unter den Deutschen nicht allein damit, wenn es dieses Trosts bedarf.

Um einen Umgang mit Verboten geht es auch im Dokumentarfilm Hêvî – Hoffnung von Yüksel Yavuz (Aprilkinder). Yavuz zeigt ebenfalls talking heads, aber bei ihm hat das starre Reden in die Kamera keinen dekorativen Charakter, ist vielmehr ästhetisches Prinzip. Der Film will Zeugnis ablegen von der „kurdischen Frage“ in der Türkei seit dem Militärputsch von 1980, will bewahren und tradieren, was in offiziellen Chroniken nicht vorkommt.

Der in Karakoçan geborene, in Hamburg aufgewachsene Yavuz ist ungeniert parteiisch. Das bewirkt vor allem im letzten Kapitel, das den Guerilla-Kampf der kurz vor den Dreharbeiten in Paris ermordeten Sakine Cansız erinnert, ambivalente Gefühle, weil Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung, anders als die Heinrich-George-Systemverwicklung, endlos reflektiert werden könnte.

Politische Mütter

Andererseits zieht Hêvî seine Intensität aber gerade aus der Sympathie für den Kampf um Selbstbestimmung, der hier durch Frauen repräsentiert wird. Die Rechtsanwältin Eren Keskin, die Politikerinnen Gültan Kışanak und Aysel Tuğluk und, in Archivaufnahmen, Sakine Cansiz erzählen vom Widerstand, und damit auch von Emanzipation durch die Drangsale der Repression: Wenn die Männer eingesperrt oder getötet sind, handeln die Frauen.

Daraus ist etwa die längste zivilgesellschaftliche Protestaktion in der Türkei hervorgegangen – die Demonstrationen der sogenannten Samstagsmütter, die nicht aufhörten, nach den Schicksalen ihrer Söhne zu fragen. „Sie haben die Geschichten sehr schön erzählt“, lobt Anwältin Keskin das politische Engagement mit einem quasi poetologischen Argument. Dagegen beklagt sie an anderer Stelle, dass Frauen, die Vergewaltigungsfolter überstanden haben, ohne zu resignieren, von einer Anzeige danach Abstand genommen hätten, weil das den Vätern „Kummer“ bereit hätte.

Neben einem Plädoyer für kurdische Selbstbestimmung ist Hêvî also ein Film über die Politik von Frauen. Was vermutlich der Grund ist, warum er, trotz allem, Hoffnung heißt.

Hêvî – Hoffnung Yüksel Yavuz D 2013, 99 Min. Verbotene Filme Felix Moeller D 2014, 90 Min. Im Berliner Zeughauskino läuft zudem bis Ende März eine Reihe mit Filmen des NS-Regisseurs Hans Steinhoff ( Ohm Krüger , Hitlerjunge Quex )

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