Martin Scorseses Shine a Light und CSNY: Déjà vu von Neil Young sind zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine Hochglanzproduktion eines Starregisseurs, der andere politisches Pamphlet eines zornigen Rockmusikers. Eher nebenbei geben beide Filme aber Auskunft darüber, wie es ist, alt zu werden im Musikgeschäft.
Die Rolling Stones stehen für das Modell Konservierung. Alles sieht so aus, wie es immer ausgesehen hat: die extravagante Garderobe, der aufreizend-ekstatische Tanzstil von Mick Jagger, das zigaretterauchende Gitarrenspiel von Keith Richards. Die Körper der Stones, vor allem der immer noch gertenschlanke Mick Jaggers, weisen keine erkennbaren Ausformungen natürlicher Alterung auf, allein ihren Gesichtern, die - wiederum besonders bei Mick Jagger - schon immer von grotesker Schönheit waren, ist abzulesen, dass hier Männer im Rentenalter Dinge tun, die einmal den jungen Kerlen um die Mitte 20 vorbehalten waren, als die sie angefangen haben. Die Grenzen sind klar, die Inszenierung makellos - und doch spricht aus Scorseses Film eine Leere, die vom Scheitern dieser Variante des Älterwerdens im Scheinwerferlicht erzählt. Die Popmusik, die als Augenblicksversprechen der Leichtigkeit des Seins eigentlich die Verlockungen des Kinos potenzieren müsste, erscheint unerträglich: als bloße Mechanik. Die Rolling Stones spielen sich selber nach, die Rollenmodelle, die sie einst vorgestellt haben und mit denen sich einmal eine aufbegehrende Jugend identifizieren konnte, haben keine Bedeutung mehr, weil sie nie neu interpretiert worden sind.
Crosby, Stills, Nash Young stehen für das Modell Biologie. Abgesehen von Neil Young - dessen Karriere als einzige kontinuierlich verlief, der einen Platz hat in der Welt des Pop und dem anzusehen ist, dass er Motor der wiedervereinigten Band ist - wirken die anderen Mitglieder wie Feierabendmusiker, die ab und an bei runden Geburtstagen ihrer Freunde auftreten. Die Bühnenoutfits von Stephen Stills, David Crosby und Graham Nash sind von geschmacklosem Pragmatismus, schwarze T-Shirts und buntbedruckte Hemden. Die Trennung zwischen Publikum und Bühne ist aufgehoben: Nicht weil die Konzertbesucher als Ausdruck ihrer Identifikation sich im Stile ihrer Idole kleideten, sondern weil die Idole dieselbe unprätentiöse Massenware aus irgendeinem Wal-Mart tragen wie die Kriegsveteranen und Durchschnittsamerikaner im Saal. Für die Botschaft, um die es vor allem Neil Young mit seiner Irakkriegsaufklärung ("Let´s impeach the president") geht, ist das zweitrangig oder von Vorteil. Für den Pop, auch wenn CSNY immer Rollenfächer bedient haben, die Authentizität über Künstlichkeit gesetzt haben, für den Pop ist es ein Desaster: Einmal fällt der recht beleibte Stephen Stills von der Bühne wie ein betäubtes Nashorn.
Wenn Madonna an diesem Samstag und Michael Jackson Ende des Monats 50 Jahre alt werden und damit die Frage aufgeworfen wird, wie der Übergang ins höhere Lebensalter im Pop bewältigt werden kann, so lässt sich aus den beiden beschriebenen Modellen keine befriedigende Antwort ableiten. Einfach älter zu werden, wie CSNY, scheint ebenso wenig möglich, wie ewig jung bleiben zu wollen, was die Rolling Stones versuchen. Beides ist auf seine Weise komisch, unangemessen, mitunter würdelos.
Madonna, Michael Jackson und Prince, der bereits im Juni 50 geworden ist, gelten als Erscheinungen des Pop, die heute obsolet geworden ist, weshalb die Überlegung, wie es mit ihnen weiter geht in einem Bereich, der lange Zeit nichts als die Intensität des Augenblicks beschworen hat, durchaus Fragen von der Verfasstheit einer Kultur berührt. Die drei galten als Superstars, eine Bezeichnung, die es nur in der Popmusik der achtziger Jahren gegeben hat und an deren inflationärer Verwendung heute für Teilnehmer von Castingwettbewerben des Fernsehens (Deutschland sucht den Superstar) abzulesen ist, welchen Änderungen die Popmusik seither sich hat unterwerfen müssen.
Die Popmusik beginnt gemeinhin mit Elvis Presley, der in den fünfziger Jahren die Musik des schwarzen Amerika für das weiße Amerika konsumerabel gemacht hat. Der Wohlstand der Nachkriegsära, vor dem sich eine rebellierende Jugend nach anderen Vorbildern sehnen konnte als den bürgerlichen Lebensplänen ihrer Eltern, und das einsetzende Medienzeitalter haben jenen Zwiespalt befördert, von dem der Pop bis heute zu leben versucht: dass das (welt)weit verbreitete Image, ein Rollenmodell, größer sein kann als die Musik, durch die es ventiliert wird. Diesen Unterschied kann man wiederum an den Möglichkeiten des Älterwerdens erkennen: Während es bei einem Popmusiker wie Buddy Guy, der zuerst als (schwarzer) Musiker wahrgenommen wird, keine Rolle spielt, wie alt er ist, wenn er seinen Gastauftritt im Stones-Film absolviert, ist Mick Jagger zuerst ein (weißer) Popstar, der - wo Mao in der Fluss stieg - zum Beweis seiner Jugend mit Christina Aguilera tanzen muss.
Die achtziger Jahre waren aus Sicht der Popmusikindustrie eine glückliche Epoche, Apotheose und Verfallsform zugleich, in der das Geschäft auf zahlreichen Kanälen betrieben werden konnte (MTV, CD), ohne dass jemand anderes als die Industrie Kontrolle über diese Kanäle hätte erlangen können. Das Superstartum, das die größte Entfernung zwischen Musik und Image, Publikum und Musiker markierte, hatte vor allem also wirtschaftliche Gründe. Größer als Michael Jackson und Madonna war keiner und wird vielleicht nie wieder jemand werden.
Popmusik war von Beginn an kommerziell und folglich auch an ihrem gesellschaftlichen Höhepunkt in den Jahren um 1968, als Pop nicht nur Geschäft, sondern Politik war. Pop in einem engeren Sinne setzte erst in den Jahren danach ein, als eine Geschichte existierte, auf die im ironischen Spiel mit den Zeichen sich zu beziehen möglich wurde. Als Michael Jackson sich aus dem schwarzen - wenn auch unter weißen Regeln - organisierten Familienbetrieb der Motown-Erfolge von Jackson 5 als Solokünstler emanzipierte, schwand zugleich der politische Anteil, den das Schwarz-Sein an seinen Erfolgen hatte; lange bevor er sich kosmetischen Operationen zur Aufhellung seiner Haut unterzog, war Jackson schon kein schwarzer Künstler mehr, sondern ein globaler Popstar.
In den Zeiten vor dem Popbewusstsein war die Altersfrage relativ leicht zu lösen: Solange die Authentizität des Bühnenentwurfs wichtiger als seine Künstlichkeit war, solange schien es das Sinnvollste, gar nicht erst alt zu werden. Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin oder Brian Jones schieden in einem Alter aus dem Leben, der die Zahl 27 mythisch werden ließ (was späteren Essentialisten, besser: Missverstehern des Pops wie Kurt Cobain die Möglichkeit zur Imitation bot). Den spätestmöglichen Zeitpunkt, aus dem Lebensgeschäft Pop auszusteigen, hat Elvis Presley festgelegt: Er starb im Alter von 42 Jahren (eine Zahl, die angesichts einer für absurde Sinnsuche und Verschwörungstheorien empfänglichen Fangemeinde, durchaus bedeutungsvoll ist: in Douglas Adams Roman Per Anhalter durch die Galaxis bezeichnet sie die Antwort auf alle Fragen).
Daraus könnte man folgern: Wer 43 ist, und noch immer am Leben, muss in der Popmusik sich über das Wie seiner Verrentung Gedanken machen; ein Freitod danach wirkt nur kläglich und ist kaum verwertbar für die Image-Produktion eines hypertrophen Nachruhms, wie Elvis oder John Lennon ihn genießen. Madonna, Michael Jackson und Prince stehen mit ihrem 50. Geburtstag an einem Scheideweg, dessen Ziele noch nicht oder nur negativ definiert sind (Rolling Stones vs. CSNY). Eine Qual ist mit dieser Suche verbunden, weil es immer traurig zu sehen ist, wie Träume grau werden. Außerdem haben sich die Spielregeln geändert.
Zum einen ist die Industrie dabei, sich von dem Geschäftsmodell Popmusik zu verabschieden (wie der jüngste Ausstieg von Bertelsmann zeigt), weil die Distributionswege durch das Internet demokratisiert worden sind. Der Zerfall des Popspektrums in lauter MySpace-Nischen hat zu einer Rückbesinnung auf die Musik geführt (was nicht heißen soll, dass es dort keinen Pop gäbe). Der globale Konsens, den Madonna, Michael Jackson und Prince in den achtziger Jahren hergestellt haben, scheint heute unmöglich, und wie kritisch immer man zur Dominanz des amerikanischen Jahrhunderts, die sich auch darin manifestiert hat, stehen mag - allein der Verlust solcher Größe stimmt wehmütig.
Zum anderen wird die Gesellschaft immer älter, was in Wirklichkeit nur heißt, dass sie länger jung bleibt. Heute redet man von Silver Surfern, wenn Rentner gemeint sind, die ihre Tage im Internet zubringen, und Seniorenbands bringen gut gelaunt Coverversionen von The Whos My Generation ("I hope I die before I get old") heraus. Dagegen ist nichts zu sagen außer, dass die Bildermaschine, die Pop immer gewesen ist, für das Alter noch keine Motive gefunden hat. So leer wie Mick Jagger in Shine A Light wirkt, so kläglich wirken 70-Jährige, die sich wie Teenager kleiden. Der Pop dauert mittlerweile einfach zu lange: Sollen Madonna, Michael Jackson und Prince in zehn Jahren immer noch so tun, als seien sie Superstars einer untergegangenen Epoche?
Prince hat diese Frage - ähnlich wie David Bowie - vielleicht am geschicktesten beantwortet, indem er nach den legendären Streitereien mit seiner Plattenfirma wieder zum Subjekt seiner Musik geworden ist, die er über zeitgenössische Kanäle vertreibt. Vermutlich ist das der Weg, um in Würde alt zu werden, das Modell Erneuerung in Nischen. Bezahlt hat er diesen Schritt mit dem Verlust seiner Größe. Madonna hält an diesem Glamour fest, indem sie sich immer noch für den Mainstream neu zu erfinden versucht und alles für ihre Jugendlichkeit tut: Sie kämpft einen Kampf, der nicht zu gewinnen ist und aus dem zunehmend das Verkrampfte hervortritt. Denn Pop ist die Leichtigkeit des Seins, in der unsichtbar bleiben sollte, was der Stones-Film zeigt, wenn man Charlie Watts, das seit je faszinierendste Bandmitglied, anschaut: Das Schlagzeugspiel strengt ihn durchaus an, und am Ende schlüpft er in eine unglamouröse Allwetterjacke, wie sie Fußballspieler tragen, wenn sie nach einem Regenspiel Interviews geben. Mit einem Wort: Es ist Arbeit.
Bleibt Michael Jackson, der - sicher nicht freiwillig - das Geschäft schon immer am konsequentesten verstanden hat. Zwar hat der "King of Pop" musikalisch schon lange keine Schlagzeilen mehr gemacht, aber er hat das Gebot der Künstlichkeit ernst genommen wie kein zweiter: Michael Jackson, der schon immer ein indifferentes Rollenmodell abgegeben hat, weil er sich über seine Identität selbst nicht im Klaren war, ist nur der Name einer Kunstfigur. Die löst sich irgendwann auf, vielleicht fährt sie auch auf ins Weltall zu den Außerirdischen. Älter werden im herkömmlichen Sinne kann sie nicht.
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