Einmal muss auch die ARD-Tatort-Koordination beglückwünscht werden, weil es sich als unbedingt zwingend herausstellt, zum Runterkommen von der superbsten Hinrichs-Folge vor zwei Tagen nun das allerzuverlässigste Durchschnittsköln aufzutischen. Da kann man gut verdauen. Wenn Durchschnittsköln nicht schon ein Pleonasmus ist – die Autorität der langgedienten und not that unbeliebten Ermittler Fab Five Freddy (Dietmar Bär) und Borderlining Ballauf (Klaus J. Behrendt) ist so groß wie der Sender im Rücken, dass sämtliche Schwachheiten doch immer auf einem Niveau gehalten werden, zu dem man guten Gewissens Tatort sagen kann.
Der Schwachheiten gibt es in Scheinwelten viele, und sie sind typisch für den Tatort unserer Tage als geschätztes Traditionssedativum der german Mittelschicht am letzten Abend, bevor die Arbeit wieder losgeht. Den Ton gibt in Scheinwelten der Eröffnungssong an, der einen treffenden Ausdruck vom Mittelmaß liefert, das der Tatort ist, ohne dass er davon etwas wissen wollte: Die sogenannte "Berliner Pop Noir-Sängerin Schmidt" singt ein Lied namens Heart Shaped Gun. Und das klingt in seiner melancholo Anlage immer schon so hoffnungslos gewollt nach dem Grad der Desillusionierung, der frühe Michael-Mann-Filme beherrscht oder irgendein anderes "großes Kino", in dem die Träume der hardboiled-einsamkeitsverwundeten Gangster (wie James Caan oder Robert de Niro sie bei Mann spielen) schließlich platzen. Und es zeigt einen Text vor, der in prätentiösem Englisch die höchstgradig epigonalen Bilder vom Ende dieser Träume noch mal auf den Kopierer legt, damit der Zuschauer sofort versteht, dass dieser Text was mit der folgenden Handlung zu tun hat: "Now the masquerade is over". Da wird jeder abgeholt und keiner überfordert.
Dieses Prinzip hält Scheinwelten (Buch: Johannes Rotter, Regie: Andreas Herzog) bis zum Ende durch beziehungsweise nimmt es gerade da noch mal auf. Auch die Schlussschwenkrunde über die von der Täterfindung emotional versehrten Beteiligten will irgendwas sein mit "groß" und "Kino" – dass die durchschnittlich und tatortarithmetisch (wer nach gut einer Stunde verhört wird, kann es nicht gewesen sein) dahinrumpelnde Erzählmechanik dazu nicht passen will, anyway. Die Kamera (Ralf Noack) macht auf schicken Style und lässt den gesamten Film wie ein quengelndes Kind erscheinen, das unbedingt ein Supergeschenk zu Weihnachten haben will, um bis zum traditionellen Dreikönigstreffen der FDP festzustellen, dass es damit gar nichts anfangen kann. Man könnte auch sagen: Andreas Herzog hat sich doch sehr in dem Film getäuscht, den er da gedreht hat.
Putzen, Puff oder Heirat
Am interessanten ist deshalb die Grenzziehung des Wirs, das der Tatort vor dem Fernseher vermutet, zu dem er spricht und dem er durch moralische Umverteilung Gerechtigkeit um den Bart schmiert. Was nicht zu diesem Wir gehört, muss ins Verständnis integriert werden – also etwa die Scheinehe für Illegale (deren Los Irina, gespielt von Juta Vanaga, in den Optionen "Putzen, Puff, Heirat" immerhin ganz plastisch zusammenfasst). Der steht das High Class Nebeneinander im wohlstandsverlosten Anwalthause von Prinz gegenüber (Er: Christian Tasche, Sie: Jeanette Hain), wobei zum Dampfhämmern der Nachhilfe in gesellschaftlicher Wahrnehmung in Köln eben zählt, dass der Zuschauer nicht von selbst auf die überdeutlich inszenierte Analogie kommen darf, sondern sie von Fab Five Freddy immer noch einmal verständniswirksam ausgesprochen kriegt. Eh' der Tatort sich in den intellektuellen Fähigkeiten seiner Zuschauer täuscht, geht er lieber auf Nummer sicher. Man kann sich die Diskussionen in der Redaktion vorstellen, bei der die Fraktion immer schon gewonnen hat, die vor einer Überforderung des Zuschauers warnt.
Noch beredter in Sachen "Mir san Mir" ist Freddys "schwarze Perle", in der das gesammelte Elend des deutschen Rassismusdiskurses steckt und die hier zur Lernzielerreichung in Sachen minimal tolerance durchgepaukt wird. Beim ersten, beiläufigen Äußern zieht sich der sympathische Kommissar einen skeptischen Blick von Fränzi (Tessa Mittelstaedt) und einen kritischen Response von Ballauf zu ("Aber den Ring hast du ihr schon aus der Nase genommen").
Beides wäre eigentlich geeignet, die deutsche Ignoranz in Bezug auf ihre eigenen kolonialen blinden Flecke zum Thema zu machen, aber vor dem Umstand, einen Tatort-Protagonisten einmal als rassistischen Sprachgebraucher auszuhalten (was mit Verweis auf die lovely Realität ohne Weiteres möglich wäre), flieht die Staatsfernsehreihe immer schon auf die richtige Seite, auf der sie sich wähnt. Also sagt Freddy, was an solcher Stelle gesagt werden muss: "Ich geb' ner Frau aus der dritten Welt Arbeit, bin ich deshalb Rassist", was zwar nichts miteinander zu tun hat, fürs erste aber so stehen bleiben kann.
Geile Metaphern
Im Folgenden wird man dann Zeuge von Freddys angestrengten Lernerfolgen, die immer noch nichts mit Rassism oder Exotism als Struktur eines weit verbreiteten Denkens zu tun haben: die kubanische Putzfrau ist nicht als Putzfrau auf die Welt gekommen, sondern was Gebildetes (Lehrerin), und am Ende kriegt sie auch noch Vertrag, wobei der Witz darin besteht, dass gerade das auf dem Putzfrauen-Schwarzmarkt nicht so einfach ist, wie es sich die Menschenbesserung hier machen will. Die Einsichten von Freddy sollen allesamt als Pfunde auf der Waage für Ausgleich sorgen, wo ihn der scheinbare Auftakt-Fauxpas ins Hintertreffen gebracht hat. Freddy tut Buße durch Nachsitzen aka Interessieren für das Schicksal seines Umfelds, was Ballauf mit dem Lob für die "geilen Metaphern" am Ende prämiert.
Vom Bild der "zwei Planeten", die bei Vonprinzens unter einem Dach leben, mag man halten, was man will – es ist immerhin ein sprachliches Bild, das man Freddy "Blumenberg" Schenk zuschreiben kann. Die "schwarze Perle" ist dagegen nichts anderes als der exotisch aufgeladene Standard eines obsoleten Sprechens, ein Klassiker des Stammtischs, der weder originell noch treffend ist. So wird von Ballauf also das Falsche mit dem falschen Lob legitimiert – und damit eine Sprecherposition, die psychologisch starrsinnig an einer dämlichen Formulierung festhalten will und tatsächlich davon ausgeht, das zu können, wenn sie sich nur ein wenig für die Lebensumstände dieser solcherart apostrophierten Frau interessiert.
Auf den naheliegenden Gedanken, dass jemand, der sich tatsächlich interessiert, irgendwann an den Punkt kommen könnte, an dem er "schwarze Perle" liebevoll, gut und auf jeden Fall nicht diffamierend gar nicht mehr meinen wollte, weil der eigene Reflektionsprozess ihm sagt, dass ein gelebtes Leben wie das der bei ihm beschäftigten kubanischen Lehrerin damit überhaupt nicht beschrieben werden kann, kommt Freddy freilich nicht. Dafür müsste Fab Five Fred ja auch checken, dass sich das Arbeitgeben gegenüber Drittweltherkommern nicht besonderer Menschenfreundlichkeit, sondern globalökonomischen Schieflagen verdankt, die den weißen Mann aus Köln privilegieren.
Vielleicht, wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, begreift er's irgendwann doch noch. Bis es so weit ist, müsste allerdings auch ein Film wie Scheinwelten rauskommen aus dem Sumpf seiner Klischees, was in Bezug auf die Karrierestreberinnenfigur wie der von Jeanette Hain bedeutete, vielleicht nicht mehr alle Eigenschaften des scheinbaren Evil (und nicht: propagierten Erfolgsmodells zum eigenen Fortkommen) aufzurufen.
Eine Frage, die öfter gestellt werden sollte: "Sag mal, diesen Stoffbeutel hier, kann ich mir den mal leihen?"
Ein Satz, der den Vorgesetzten zum Verbündeten macht: "Ich glaube, ihr Ton gefällt mir nicht"
Etwas, das man sich fürs neue Jahr noch vornehmen kann: "Ich bin erfolgreich, weil ich mir Freunde mache, keine Feinde"
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