Und dann sitzt man in einem Film wie No Country For Old Men von Joel und Ethan Coen und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Es mag überschwänglich klingen, aber alles an diesem Film ist von unaufdringlicher Perfektion. Noch die Ausstattung verleiht dem Film, die Handlung spielt um 1980, keinen schrillen Retrochic, sondern die dunkle Patina des Klassischen. Die Aufnahmen von Kameramann Roger Deakins, der seit Barton Fink (1991) jeden Coen-Film fotografiert hat, könnte man in ein Album heften, das von der standardisierten Schönheit der texanischen Städte und von erhabenen Landschaften erzählt: Wie in der fotorealistischen Malerei beginnen die Bilder des Gewöhnlichen zu glänzen, wo sie beinahe zu genau die Leuchtschrift des Motels zur Dämmerung zeigen oder den Abdruck, den ein Schließzylinder an einer holzverkleideten Wand hinterlässt. Die Präzision, mit der die Coen-Brüder inszeniert haben, wird exemplarisch etwa in der Szene, in der ein Mann von einem Pitbull verfolgt wird: eine Meisterleistung in Zusammenspiel von Schnitt, Auflösung, Timing und also Suspense.
Das größte Staunen aber verursacht die Frage: Wovon handelt dieser Film? An der Oberfläche lässt sich das leicht sagen, spielt doch das dem Film zugrunde liegende Buch von Cormac McCarthy mit einer jener speckigen Schundgeschichten, in denen Literatur auf ihre Mechanik reduziert ist. Llewelyn Moss (Josh Brolin), ein Vietnamveteran, der in einem Trailerpark lebt, stößt bei der Jagd auf die Reste einer intensiven Schießerei unter Drogenhändlern, die keiner überlebt hat. Moss nimmt einen Koffer mit zwei Millionen Dollar an sich und flieht. Bald wird er von finsteren Gestalten verfolgt, einem soziopathischen Killer und der Polizei. Es kommt zu weiteren Schießereien, einem Grenzübertritt nach Mexiko, und wenn sich herausstellt, dass zwei Millionen Dollar aus Drogengeschäften eine Nummer zu groß sind für einen Trailerparkjäger wie Moss, dann fragt man sich auch, ob dessen Kardinalfehler nicht darin bestanden hat, seiner Frau (Kelly Macdonald), eine der wenigen Frauen in diesem Film überhaupt, nicht vertraut zu haben.
Damit wären wir bei den metaphysischen Schichten des Filmes, und um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: No Country For Old Men handelt von dem Kampf zwischen Gut und Böse. In diesem Duell ist Moss ein Nebendarsteller, und das Duell wird in der Distanz geführt. Auf der einen Seite der soziopathische Killer Anton Chigurh, der sich mit aufreizendem Stolz durch den Film bewegt und mit einer Sauerstoffflasche, an deren Schlauch ein Lauf befestigt ist, durch den er seine Opfer mit Hochdruck erschießt oder auch nur Schließzylinder aus Türschlössern jagt. Javier Bardem, der dafür einen Oscar bekommen hat, hält die ganze Monströsität seines felsenartigen Gesichtes hin für diesen Schweiger mit seiner perückenhaften Frisur. "Er hat keinen Humor", sagt ein anderer, von Woody Harrelson gespielter Auftragskiller (Carson Wells) einmal über Chigurh. Vielleicht ist dieser Chigurh der böseste Mensch, der uns je im Kino begegnet ist, der, wenn er gerade nicht auf Menschen schießt, auf Vögel aus dem fahrenden Auto zielt, und bei dem stets unklar bleibt, in wessen Auftrag er eigentlich mordet; Auftraggeber jedenfalls sind vor dem Ermordetwerden nicht gefeit.
Auf der anderen Seite Sheriff Ed Tom Bell, den Tommy Lee Jones mit einer melancholischen Ironie spielt, dass er, auch wenn er nie etwas anderes gespielt hätte und je wieder spielen würde, allein dafür den Lebenswerk-Oscar bekommen müsste. Zum ersten Bild, das die Weite des kargen Landes zeigt, erzählt Bell, lange bevor er überhaupt auftritt, mit einiger Müdigkeit von sich und den Zeitläuften; von einer Familie, in der die Männer Gesetzeshüter waren und einer Gegenwart, die jeden Respekt davor verloren hat. Sheriff Bell ist ein Kulturpessimist, aber weil er auch eine sensible Seele ist, ein Mensch, den seine eigenen Träume irritieren, hat ihn das nicht verbittern lassen, sondern nachdenklich gemacht. "Ich schweife ab", sagt er einmal in einem Gespräch mit dem nassforschen Jungspund, der sein Kollege ist. Er verstehe die Verbrechen von heute nicht, sinniert Bell am Beginn, und damit meint er ihre Brutalität und deren Motivation, und trotzdem ist er der einzige Mann, der Moss zu schützen und Chigurh zu finden in der Lage wäre. Während Chigurh der Mann wäre, der den Sheriff, in der einzigen Szene, in der sich beide im selben Raum aufhalten, töten könnte. Gut und Böse spielen Verstecken, und das geht remis aus.
No Country For Old Men ist eine grandiose Abschweifung, eine hintersinnige Meditation über die Moral, bei der das Komische das übermäßig Brutale ist. Ein Film über das Fährtenlesen, Stillhalten und Einkleiden. Und vor allem: ein Film über das Zu-Spät-Kommen. Deshalb hat Moss, wenn er den Geldkoffer an sich nimmt, schon verloren. Deshalb setzt sich Sheriff Bell seinen Träumen lauschend zur Ruhe von einer Zeit, die sein Leben lange überholt hat. Und deshalb geht nur Chigurh seiner Wege, denn einzig das Böse ist ohne Zeit. Es ist immer da.
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