Glaube an die Gefühligkeit

Kino Mystery aus Germany? „Was du nicht siehst“ hält gerade mal den großen Zeh ins Wasser des Genres. Worin das Geheimnis besteht, ist einem dann irgendwann auch egal

Was du nicht siehst ist ein deutscher Film. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Es geht aber auch ausführlicher. Deutsch meint hier eine Form von Durchschnittlichkeit, auf die es immer zwei Perspektiven gibt. Vor 15 Jahren hätte man Was du nicht siehst womöglich milder beurteilt, weil ein kleiner, gut besetzter Film wie dieser damals eine Seltenheit gewesen wäre. Heute erwächst das Unbehagen an Was du nicht siehst auch aus der Häufung, in der diese Durchschnittlichkeit immer wieder daran scheitert, zu einem Mittelmaß zu finden, das man wenigstens mit dem in solchen Zusammenhängen nicht schönen Wort „solide“ beschreiben könnte.

Was du nicht siehst ist ein Erstlingswerk, was eine generalistische Kritik daran etwas ungerecht erscheinen lässt. Gleichzeitig liegt das Problem dieser Art des deutschen Films gerade in der Vielzahl von Debüts, die selten den Anfang einer Filmografie markieren. Und die – bei allen Unwägbarkeiten, von denen das Gelingen einer Filmografie abhängen mag – leider schon ästhetisch keinen Grund liefern, warum man auf einen zweiten Film des jeweiligen Filmemachers gespannt sein sollte.

Dabei ist Was du nicht siehst nicht einmal das übliche Debüt eines Filmhochschulabsolventen, sondern der späte Erstling von Wolfgang Fischer, der schon 2001 die Kunsthochschule für Medien in Köln verlassen hat. Eine gewisse Eigenheit verdankt der Film dem Umstand, dass er mit Elementen des Mystery-Films kokettiert. Allerdings nur kokettiert: Was du nicht siehst hält den großen Zeh ins Wasser eines Genres, das im genrefremden deutschen Kino zur Distinktion durchaus taugen könnte, kann sich aber nie entscheiden ganz einzutauchen. Wo Könige dieser Disziplin wie M. Night Shyamalan (The Sixth Sense) zumindest starke Effekte aus dem Spiel mit Realität und Einbildungskraft generieren, bleibt es dem Zuschauer von Fischers Film am Ende selbst überlassen zu entscheiden, ob es das verwaiste Geschwisterpärchen David (Frederick Lau) und Katja (Alice Dwyer) aus dem Nachbarferienhaus in Frankreich tatsächlich gegeben hat.

Insuffiziente Erzählhaltung

Oder ob es nur Ausdruck der Sehnsüchte von Anton (Ludwig Trepte) war, der mit seiner Mutter (Bibiana Beglau) und deren neuem Freund (Andreas Patton) Urlaub macht. Dass der Freund neu ist und Anton seinen Vater verloren hat, ist etwas, dass man erst sehr spät versteht. Und in dieser insuffizienten Erzählhaltung ist Was du nicht siehst dann leider paradigmatisch für den deutschen Film, der von einem ominösen Glauben an Gefühligkeit getragen wird.

Man soll den Schauspielern immerfort ansehen, was die Geschichte nicht zu sagen vermag. Die Dialoge dieser voraussetzungslosen Selbstverständlichkeit sind Banalitäten, die Handlungen terminieren in kitschigen Wohlfühlposen, die um ein Geheimnis kreisen, von dem man irgendwann nicht mehr wissen möchte, worin es besteht. Die Auftritte erklären sich aus der alten Stadttheaterlogik: Wenn jemand auf der Bühne gebraucht wird, ist er da. So konzentriert sich Was du nicht siehst auf Nebensächlichkeiten und hofft, dass der Zuschauer mitgenommen wird.

Am Ende bleibt ein hübsch ausgestatteter, schick fotografierter und mit Engels­chören auf Gefühl getrimmter Film, in dem man Schauspieler sieht, deren Potenzial mehr verspricht, als die schlecht konturierten Rollen ihnen abverlangen. Und das ganze Drama besteht darin, dass ein Hund stirbt.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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