Taiwan gehört nicht zu China, schon rein äußerlich nicht. Die abgenutzte Betonmoderne des Taoyuan International Airport von Taipeh, der seit kurzem nicht mehr nach Chiang Kai-Shek heißt, hätte auch als Kulisse für einen französischen Gangsterfilm der siebziger Jahre dienen können. Der Songshan Airport inmitten der Hauptstadt Taiwans, an dem der Inlandsverkehr abgewickelt wird, erinnert an einen Provinzflughafen in Amerika. Die Menschen in Taipeh bewegen sich mit der souveränen Anmut westlicher Weltgewandtheit. Stolz balancieren junge Frauen auf ihren Pfennigabsätzen über baumbestandene Boulevards, in der Untergrundbahn herrscht eine entspannte japanische Höflichkeit: keiner drängelt und auf den Rolltreppen bleibt die linke Se
Seite frei für eilige Zeitgenossen. Taipeh scheint wie eine ideale Schnittmenge, die das Beste aus allen Welten präsentiert, wie eine Kultur, deren chinesischer Grundton abwechselnd ins Japanische, US-Amerikanische oder Europäische variiert.Diese Geordnetheit verleiht Taiwan etwas Melancholisches angesichts des rapiden Aufschwungs, der sich auf dem chinesischen Festland derzeit vollzieht. Die Insel steht für eine untergegangene Weltordnung, in der man als mustergültiges Schwellenland zu Ansehen und Wohlstand gelangen konnte. Mittlerweile kämpft Taiwan mit ähnlichen Problemen wie das alte Europa - mit dem Unterschied, dass nicht einmal der Trost bleibt, das unerschöpfliche Niedriglohnland China sei weit weg. Das Durchschnittseinkommen eines Fabrikarbeiters in Taiwan beträgt 600 Euro monatlich, in der Region um Shanghai müssen ausländische Arbeitgeber für die gleiche Tätigkeit gerade 80 Euro Lohnkosten einrechnen. In von Chinesen betriebenen Fabriken ist die Arbeit zumeist noch billiger.Die Fokussierung auf China mag ökonomisch und politisch motiviert sein, sie bleibt aber nicht folgenlos für die Kultur. Die 6. Shanghai Biennale im vergangenen Herbst geriet, auch wenn der Ruch des Neuen und Unbekannten nach zehn Jahren naturgemäß schwindet, noch immer zum großen Tamtam aus Kunstmarktschreierei, Volksbildung und westlichem Chic. Einer Invasion der internationalen Kunstwelt, die sich gierig begeistert an wechselnden Moden und neuen Hypes, steht bei der Biennale in Taipeh die betörende Leere des nicht mehr ganz strahlend weißen Fine Arts Museums gegenüber. Der 1983 eröffnete Bau des Architekten Kao Er-Pan wirkt mit seinen kantigen Ausbuchtungen wie Science-Fiction, die in ihrer organischen Klarheit weit älter scheint als die Gegenwart des städtebaulichen Gemischtwarenladens Shanghai. Dass Taipeh auch eine Biennale veranstaltet, könnte man mit der Bemerkung abtun, weltweit gut 200 Orte teilten dieses Schicksal. Für das rare Gut Aufmerksamkeit müsste es dann doch ein wenig mehr sein. Siehe Shanghai.Dabei entpuppt sich die von Dan Cameron und Wang Jun-jieh kuratierte Schau in Taipeh - im Gegensatz zum Ballyhoo von Shanghai - als konzise und wohl durchgedacht. Schon das Motto, "Dirty Yoga", erscheint abgründig-angriffslustig, sofern man das von einem Biennale-Motto, der Wahlkampffloskel des Kunstbetriebs, sagen kann. Geblasen wird zur stürmischen Kritik an den Ikonen, was den westlichen Betrachter in seinem Desinteresse bestärken wird, in vielen Momenten aber das Dilemma des taiwanesisch-chinesischen Konkurrenz bei der Identitätsfindung wundersam verdichtet.Das beste Beispiel hierfür liefert die Installation National Father der Chinesin Cao Fei. Das Monument, das - wenn auch weniger überbordend - an die Heimwerkerlandschaften Thomas Hirschhorns gemahnt, ist Sun Yat-Sen gewidmet. Dass zwischen Holzplanken, Videobildschirm und Zeitungsausschnitten unklar bleibt, ob diese Würdigung von fatalem Ernst oder unscheinbarer Ironie ist, macht Caos Werk - ob freiwillig oder zufällig - zu einem irritierenden Exkurs in Geschichte und Gegenwart Chinas. Sun war der erste Präsident der chinesischen Republik am Beginn des so wechselvollen 20. Jahrhunderts. Ein Politiker, der gerade wegen seiner nur dreimonatigen Amtszeit das Versprechen auf eine andere Politik als der blutiger ideologischer Kämpfe nie enttäuschen konnte. So weist Sun Yat-Sen den immergrünen Hoffnungsstreifen durch die Mülldeponie der Geschichte, auf der die Berge von Altlasten, die Mao Zedong und Chiang Kai-Shek hinterlassen haben, noch immer nicht abgetragen sind. Mittlerweile bezeichnet Sun Yat-Sen, auf den sich China wie Taiwan gleichermaßen beziehen, die Hoffnung auf eine Einigung zwischen "Mainland China, Taiwan, Hongkong and even Macau".Herzstück von Caos Installation ist das Gespräch mit dem 48-jährigen Schauspieler Mao Shaohu, der seit 20 Jahren in verschiedenen Filmen Sun verkörpert hat. Dass der Darsteller darüber eins geworden zu sein scheint mit seiner Rolle, macht die Filmaufnahmen zu einem Making of des Personenkultes. Aufklärung schlägt in Mythologie um: Das chinesische Selbstverständnis, durch die verbrauchten Ikonen Mao und Chiang ins Wanken geraten, sucht Halt bei Sun, der darüber seinerseits ins Religiöse überhöht wird. "Er arbeitete nie mit schmutzigen Trick, er log nie", verklärt der eitle Mao Shaohu den Arzt Sun Yat-Sen.Überdies ist National Father ein persönliche Auseinandersetzung mit den Geisterbildern der Geschichte. Cao Chongen, der Vater von Cao Fei, war ein bekannter Bildhauer, der auch Skulpturen von Sun Yat-Sen angefertigt hat. Sie zeigen einen greisen, gutmütigen Mann, dem Kinder andachtsvoll zu Füßen knien, was vielleicht erklärt, warum sich Caos Tochter bei der Rekonstruktion der Vergangenheit für eine Ästhetik des Billigen und Provisorischen entschieden hat.Die westliche Schreibweise des Personenkults ist das Starsystem Hollywoods. Francesco Vezzoli parodiert in Marlene Redux: A True Hollywood Story! die Welt der Schönen, Reichen und Berühmten, indem er von sich im Modus der Starbiographie erzählt. Sein halbstündiger Videofilm kopiert das Muster von amerikanischen Fernsehdokumentationen bis hin zum Schnitt für die Werbeunterbrechung. Ruhelos kreist die Kamera, um noch Fotos von Aufstieg und Fall Leben einzuhauchen, unentwegt ertönt melodramatische Begleitmusik und selbst ernannte Experten geben deklamierend ihre Einschätzungen ab. Mit dem Unterschied, dass Vezzoli sein eigenes Leben zum Gegenstand dieser ungeniert routinierten Erzählform gemacht hat, bei der so die Verwischung von Fakt und Fiktion in subversivem Witz mündet. Die Bruchstellen der Illusionierung werden deutlich, wenn etwa jene namenlose, alte Frau zum tragischen Charakter aufgeblasen wiederkehrt, die am Anfang von Maximilian Schells selbstgefälligem Dokumentarfilm Marlene (1982) trottelige Fragen stellen muss, um die scheinbar coole Professionalität von Schells Filmteam zur Schau zu stellen.Jonas Dahlberg hat in seinem Film Invisible Cities den entgegensetzten Weg gewählt, um den Blick des Betrachters auf das gewohnte Bild zu stören. Die Kamera gleitet durch eine Häuserlandschaft, wie sie auch für eine deutsche Stadt charakteristisch wäre, aber die Bilder bleiben blind. Kein Mensch begegnet dem Kameraauge, und alle Schriften - Straßennamen, Reklametafeln oder Firmenbezeichnungen - sind getilgt. Der Koreaner Yeondoo Jung hat für die Foto-Serie Locations Paradiese abgelichtet. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die perfekten Idyllen von Felswänden und Palmenstränden jedoch als künstliche Studioaufnahmen. Die alltägliche Bildproduktion ist das Thema des Kubaners Alexandrea Arrechea, der die flächendeckende Observierung von westlichen Großstädten in eine biblische Metapher fasst. In seinem Garden of Mistrust steht ein weißer "Baum", der statt Früchten Kameras trägt.Die beruhigende Wirkung des Vertrauten verschafft dem Betrachter bei "Dirty Yoga" einzig der brasilianische Fotograf Mauro Restiffe. Seine Schwarzweiß-Aufnahmen unter dem Titel Red Light Portraits sind das Ergebnis eines stadtethnologischen Spaziergangs: Frontal hat Restiffe an Ampeln wartende Moped-Fahrer aufgenommen, die man in leicht unterschiedlichen Anordnungen so an jeder Kreuzung von Taipeh finden kann. Auch hierin unterscheidet sich Taiwan von China, wo die Mopeds unter den Zweirädern in der Unterzahl sind. Es dominiert das Fahrrad.5. Taipeh Biennale, noch bis 25. Februar im Fine Arts Museum von Taipeh.
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