Guck mal, hier liegt ja Bedeutung rum

Tagung In Göttingen widmete sich eine wissenschaftliche Konferenz der Fernsehreihe "Tatort". Oder besser: einzelnen Aspekten des "Tatort", die nicht immer spezifisch sind
Ausgabe 26/2013

"Verfahren der Brechung des interdiskursiven Ernstes spielen eine große Rolle“, ist ein Satz, der einem etwas förmlich entgegen-kommt. Er stammt aus dem Vortrag, den Hendrik Buhl vergangene Woche auf der ersten universitären Tagung zum Tatort in Göttingen gehalten hat, und man versteht durchaus, was damit gemeint ist: Wenn im Tatort ein Experte spricht, ein Arzt oder ein Buchhalter, dann wehrt sich die Ermittlerfigur als Agentin des Zuschauers nicht selten durch Komik gegen das Expertenwissen, geäußert in einer Expertensprache, die sie nicht versteht.

Das ist so einsichtig, dass man sofort die Szene aus der 877. Tatort-Folge Letzte Tage vom vergangenen Sonntag zitieren könnte, in der der Konstanzer Kommissar Perlmann bei einem Medizinprofessor nur Bahnhof versteht und ebenso guckt. Die Frage wäre allerdings, ob solch ein Verhalten spezifisch für den Tatort ist – oder ob nicht das Fernsehen in seinen fiktiven Formaten solchen Spaß mit der Expertenwelt häufiger in dieser Weise treibt.

Diese Frage zielt ins Zentrum der Göttinger Tagung. Nicht selten befiel einen der wenig anregende Verdacht, dass die geäußerten Erkenntnisse schon interessant, aber kaum belastbar sind. Dass Filmfiguren durch die Autos, die sie fahren (oder auch nicht), charakterisiert werden können, ist kein erzählerisches Mittel, durch das man den Tatort verstehen würde. Obwohl der Germanist Rolf Parr von der Universität Duisburg-Essen nachvollziehbar eine Krisensituation des Kieler Kommissars Borowski an dessen Autos erklärte.

Widerspiegelungsdiskurs

Den Tatort überzeugend zu erklären, ist nicht einfach. Selbst wenn man fast ehrfürchtig zurückschreckt vor Stephan Völlmickes quantitativer Filmanalyse, die auf 890 Seiten aus 81 Tatort-Folgen sekundenweise die Kameraeinstellungen auf Leichen protokolliert hat. Aus 40 Jahren wohlgemerkt. Die Erkenntnis aber, dass Leichen im Tatort heute größer und länger gezeigt werden, ist – abgesehen davon, dass sie wiederum nicht reihenspezifisch ist – so banal, dass es fast schade zu sein scheint um die Zeit, die aufgewendet wurde, um das statistisch zu belegen.

So erschöpften sich die wissenschaftlichen Aussagen häufig in einem „Widerspiegelungsdiskurs“, wie die Anglistin Julika Griem aus Frankfurt/Main etwas geplagt anmerkte. Was es im Tatort gibt, gibt es auch im richtigen Leben – wer hätte das für möglich gehalten? Man kann sich die Tatort-Forscher bisweilen wie Kinder vorstellen, die ohne schlechtes Gewissen, weil professionell, in ihren liebsten Süßigkeitenladen gehen dürfen und feststellen, dass dort auch Bedeutung rumliegt.

Passenderweise zeigte sich SWR-Redakteurin Melanie Wolber, die für die Lena-Odenthal-Tatorte verantwortlich ist, zufrieden darüber, dass meistens von den Exegeten jene Bedeutung gefunden wird, die von ihr und den Kollegen vorher im Film abgelegt worden war. Hier könnte es in Zukunft zu Lieferengpässen kommen: Weil auf Wunsch der Darsteller die Schlagzahl der Odenthal-Produktionen sich von drei auf zwei pro Jahr verringert, beschied Frau Wolber: „Ich hab’ nur noch zwei Tatorte im Jahr. Die müssen sitzen, die Zeit der Experimente ist vorbei.“

Denn man tau. Mehr Erkenntnis bleibt vom Abschluss des in Göttingen ansässigen DFG-Teilprojekts zum Tatort zu erhoffen, das 2014 publiziert werden soll. Auf der Tagung bestand die Pointe nämlich darin, dass Tatort-Fan François Werner (Mannheim), dem es als Sammler auf seiner Website tatort-fundus.de um die Vollständigkeit von Wissen zum Tatort geht, die interessanteren Statistiken aufbot. Die Zahl von „464 Drehbuchautoren“ etwa vermittelt einen Eindruck davon, wie schwer so etwas wie Handschrift in den Folgen der Reihe zu finden ist.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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