Ha, ha, wirklich sehr komisch

Tatort Kinder sind krass drauf dieser Tage, was der österreichische Kommissar Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) deutlich zu spüren bekommt: der Wiener "Tatort: Vergeltung"

Muss man von einer Tendenz sprechen? Der öffentliche Personennahverkehr wird zum bevorzugten Fortbewegungsmittel des Tatort-Ermittlers. Trafen sich in der letzten Woche der verdeckte Cenk (Mehmet Kurtulus) und sein LKA-Puppenspieler Kohnau (Peter Jordan) in Hamburger Bussen, um Konspiration zu betreiben, ist nun unser Mann in Österreich, Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), auf den Wiener Autobus angewiesen, weil er beim Ausparken einen hübsch in Szene gesetzten Unfall verursacht hat. Die Busfahrt wird zur thematischen Reise ins Herz der Finsternis dieses Falls: Eisner beobachtet deviante Jugendliche beim Austausch über und Praktizieren von Happy Slapping, einer den gegenwärtigen Bedingungen des Medialen angepassten Äußerung pubertär-respektloser Weltfremdheit – Nichtsahnende werden geschlagen und dabei mit dem Handy gefilmt, der Film anschließend ins Netz gestellt beziehungsweise unter Freunden vorgezeigt.

Leider ist die Szene so inszeniert (Buch und Regie: Wolfgang Murnberger), wie man sich das mit der devianten Jugend aus volkspädagogischer Perspektive vorstellt, also für die Erwachsenenwelt: "Seit gestern im Netz und schon mal 1.400 Mal aufgerufen", erklärt ein Mädchen ihren Freunden den Happy-Slapping-Film auf ihrem Handy, und das klingt nun wahrlich nach einem Satz, wie ihn empörte Jugendschützer in alarmierenden Artikeln zum Thema vorbringen könnten. Was Zweifel daran nährt, ob das Phänomen tatsächlich abbildbar ist in dieser Form oder diese Art medialer Abbildung solche Phänomene überhaupt erst hervorbringt.

Wie auch immer: In Vergeltung geht es um eine Spielart des Schlagens, die happy zu nennen zu kurz greift. Jugendliche, die ihre Aggressionen anders als in zumeist tödlicher Gewalt nicht auszudrücken in der Lage waren, werden selbst Opfer eines Serientäters, der in gleicher Münze heimzahlt. Selbst schlechten Täterschaftspropheten wie uns ist bald klar, dass sowohl der neutestamentarisch-peacige Therapeut Schmitz (Harald Schrott), der zu Beginn eine salbungsvolle Trauerrede hält, seine Finger im Spiel haben muss, sprich: eher dem Alten Testament zugeneigt sein dürfte, als auch die von Eisners aktueller Ko-Ermittlerin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) umgehend erkannte Kira (Rasa Weber) etwas mit dem Fall zu tun haben muss. Sonst wäre das Engagement der prekären Bibi – die bei der Sitte rausgeflogen ist, dem Alkohol zuspricht und es nach 16 Jahren Trennung vom Ex noch nicht geschafft hat, über nackte Glühbirnen in ihrer Wohnung hinaus Einrichtung eines stabilen Lebens zu organisieren – kaum zu rechtfertigen.

Sozialdemokratie under pressure

Die Ansätze in Vergeltung sind also durchaus nach unserem Geschmack (Alttestamentarismus, Serientätertum, gesellschaftlich schwer vermittelbare Problemlage), allein der Tatort bleibt bei der Durchführung unter den Möglichkeiten, die darin stecken. Dementsprechend ist die Sache mit der Spannung relativ, und dass die Auflösung – Schmitz als rachesüchtiger Mastermind, der am Ende einen Erklärungsmonolog hält, der Herbert Reinecker zu Tränen gerührt hätte – das sozialtherapeutische Geschäft desavouiert, das der Fall zu verteidigen vorgibt, überrascht nicht so sehr. Übel ist es dennoch.

Dass Vergeltung dennoch für sich einzunehmen weiß, hat seine Gründe anderswo, genauer im Österreichischen. Murnberger inszeniert mit einem untergründigen Humor, den man sardonisch nennen könnte. So wird Eisner, der ewige Brummbär des Ausgleichs, an die Grenzen der Widersprüche geführt, die sich mit sozialdemokratisch inspirierter Vermittlung noch zusammenhalten ließen. Deutlicher Ausdruck dieser Überforderung ist der unerwartete Tritt in das Zentrum seiner Männlichkeit, den die Schlagersängerinnentochter Céline Stein (Josephine Bloéb) ihm in Schmitzens Praxis (in der dieser offenbar zu wohnen scheint) verpasst und an dem empathetic Eisner noch eine Weile zu laborieren hat.

Zu laborieren hat er vor allem an Bibi Fellner, die – wenn auch etwas überfrachtet – eine Figur ist, wie man sie selten sieht: eine Frau in den besten Jahren, die von ihren Problemen eingenommen ist, ohne lächerlich oder überpsychologisiert zu werden. Das "Wrack" (Eisner), das dennoch einer Arbeit nachgeht, so zu inszenieren, ist eine Leistung. Zu allem schönen Überdruss wird als der von Eisner angeforderte Assistent schließlich noch ein junger Friseur vorgestellt, dessen Name von Programm ist: Mag. Leander Fröhlich.

Kurzum, Eisner wird arg zugesetzt, aber gerade darin beweist er seine edle Einfalt, stille Größe.

Gehört auch zu den hübschen Prüfungen, die Eisner auferlegt werden: die Kleinwagen, die ihm als Dienstwagen zugeteilt werden

Ein gelungener Witz: Sagt die Bibi, als die Schlagersängerin von ihrem Soundcheck-Termin erzählt: "Ich dachte, die singen alle Playback"

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