Hedley Lamarr? Das ist doch kein Name, möchte man meinen, und erst recht kein Name für einen Chor. Der Chor in René Polleschs jüngster Stuttgarter Inszenierung, die am Samstag Premiere hatte, heißt aber genau so, und der Titel des Stücks gibt einen Eindruck davon, wie man sich diesen Chor vorzustellen hat: Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend haben wollen, übernimmt Hedley Lamarr.
Der Chor ist der Grund, aus dem das Theater kommt, und dass er einem nun in René-Pollesch-Stücken (zuletzt: Ein Chor irrt sich gewaltig in Berlin) begegnet, wo René Pollesch der bekannteste selbst inszenierende Kritiker der Repräsentationsmaschinerie Theater ist, mag mancher für einen brancheninternen Scherz halten. Als Gag auf das Theater von Volker Lösch etwa, der – auch in Stuttgart – Laien-Chöre auf die Bühne stellt und mit "Volkes Stimme" Politik macht in einer Weise, die dem heiter-intelligenten, an seinen eigenen Widersprüchen verzweifelnden Konversationstheater Polleschs entgegen steht.
Die Funktion des Chors
Aber so wenig, wie sich Polleschs Theater in der Parodie des Konventionellen erschöpft (auch wenn gerade der Stuttgarter Abend mit überdurchschnittlicher Ausdauer Verwechslungskomödie, Stadttheater und Klamauk betreibt), so wenig funktioniert der Chor hier nur als negativer Bezugspunkt. Der "Chor der guten Tat" steht in "Wenn die Schauspieler" für eine Form der Solidarität, die den Gesetzen des Theaterbetriebs, die Pollesch seit geraumer Zeit zum Gegenstand seiner Arbeiten macht, ein Schnippchen schlägt: Im Chor wird der die "Sehnsucht nach Selbstverwirklichung" durch den "Drang zur Kooperation" gebremst. Schauspieler müssen sich derart noch weniger "abgrenzen" als sie es in Polleschs Theater, wo es keine Rollen gibt und jeder Text von jedem gesprochen werden kann und auch wird, sowieso nicht tun.
Dieses Prinzip wird in Stuttgart nun aber ad absurdum geführt durch Harald Schmidt, der in dem differenziert-homogenen Pollesch-Ensemble (Silja Bächli, Lilly Marie Tschörtner, Christian Brey, Hanna Scheibe, Felix von Manteuffel) ein Fremdkörper ist. Man kann sich vorstellen, dass Schmidts dosierter Zynismus gegenüber der Fernsehwelt eine Spielart des Brasses ist, den René Pollesch auf das Theater hat. Man kann sich auch vorstellen, dass es für einen Theaterliebhaber wie Schmidt reizvoll ist, an der unterhaltsamen Radikalität des Pollesch-Theaters mitzuwirken. Aber es gelingt ihm nicht, den – überdies nicht überragenden – Schauspieler, der er ist, vergessen zu machen: Wenn Christian Brey mit ihm unvermittelt Französisch übt ("coeur – coeur"), dann wehrt sich Schmidt zu schnell mit Gebrabbel, wo es um das genaue Wechselspiel von Vorsagen und Wiederholen geht. Es wäre allerdings ungerecht zu sagen, dass Wenn die Schauspieler allein Schmidts wegen seltsam diffus bleibt – dafür ist Perfektion oder Virtuosität ein zu unbrauchbares Kriterium in diesem Zusammenhang.
Zur Erklärung "Parodie"
Auch wenn der Abend durch Wiederholungen und eine, fast könnte man sagen, Rahmenhandlung Ordnung stiftet, verschwimmt vieles. "Wir begegnen uns hier dauernd selbst", stellen die Schauspieler fest, die den Chor bilden, der sie ersetzen soll. Dem Zuschauer begegnen in den Rudimenten von Stanislaw Lems Roman Der futurologische Kongress, in dem ein ins Wasser gegebenes "Schmusium" für große Zufriedenheit sorgt, unter anderem: politisches Theater, der Matthias-Schweighöfer-Körper, Berührtsein, aus der Mode gekommene Heilungsmethoden, Ähnlichkeiten, die Frage, wie man stirbt. Allerdings derart schnell geschnitten, dass die Suche nach Verständnis häufig nur zur Erklärung "Parodie" greifen kann. Die wiederkehrende Frage, wann "Opel endlich das Theater erreicht", wirkt ein wenig zu besserwisser-spielverderberisch, weil damit eine Überlegenheit gegenüber einfallslosem "politischen Theater" ausgestellt wird, die Polleschs Theater nicht nötig hat.
So bleiben von Wenn die Schauspieler: eine eindrucksvolle Bühne, auf die Janina Audick eine eklekti-klassizistische Hotelanlage mit beweglicher Fassade und Wendeltreppe gestellt hat; ein toll-plumper Trick, bei dem Felix von Manteuffels ("Meine Hand streunt") nicht Herr seiner Hände ist, die überall im Hotel zu putzen scheinen. Und ein Solo von Hanna Scheibe, bei dem sie versucht, einen absurden Brief von der Polizei mit bedeutungsvollen Pausen zu lesen. Dass es in dem seriellen Format von Polleschs Diskurstheater einmal ein "Solo" geben könnte, dass Szenenapplaus verdiente, ist vielleicht am irritierendsten. Höflicher, anhaltender Applaus.
Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend haben wollen, übernimmt Hedley Lamarr, , Regie: René Pollesch, Weitere Aufführungen am 19.05., 3., 8., 12. und 20. Juni 2009
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.