Eventkritik Kirchenaustritte, Mixa-Rücktritt: Was heißt das für die Heilige Messe in der Diaspora? Katholischer Gottesdienst, Berliner Herz-Jesu-Kirche, 25. April, 10.30 Uhr
Als ein Pionier der Gottesdienst-Kritik muss der Schriftsteller Max Goldt gelten. Der besprach 1987 eine Messefür das Fanzine Ich und mein Staubsauger, das sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in Westberlin einiger Beliebtheit erfreute und dessen Geschichte umfassend auf staubsauger.gesindel.org dokumentiert ist.
Eine Wiederbelebung dieser journalistischen Form scheint in Zeiten der massenhaften Kirchenaustritte und am ersten Sonntag nach dem Rücktrittsgesuch des Augsburger Bischofs Walter Mixa geboten. Wo das Theater, das evolutionsgeschichtlich aus dem geistlichen Spiel hervorgegangen ist, sein reines Kunstsein immerfort mit gesellschaftlich relevanten Bezügen zur Gegenwart aufmotzen will, muss in diesen Tagen der innerkirchlichen Debatten und Kritik von au
ss in diesen Tagen der innerkirchlichen Debatten und Kritik von außen doch die Frage interessant sein, wie die Kirche in ihrem Kerngeschäft die Krise thematisiert, in der sich die Institution zweifellos befindet.Es mag sein, dass die Erwartung an den gesellschaftspolitischen Gehalt einer Messe im bayerischen Raum, womöglich noch in der vormaligen Mixa-Diözese Augsburg, am vergangenen Sonntag eher auf Erfüllung hofffen durfte als in der katholischen Diaspora von Berlin. Gleichzeitig motivierte unsere Wahl der Sonntagsmesse in der katholischen Herz-Jesu-Kirche (10.30 Uhr) im Stadtviertel Prenzlauer Berg der Gedanke, dass die Distanz zu den Dingen womöglich einen klareren Blick auf sie erlaubt.Grob gesagt verhält sich die katholische Messe zum protestantischen Gottesdienst in etwa so wie die Oper zum Sprechtheater. Zur Verortung des Autors sei angefügt, dass dieser in solchem Sinne eher den Sprechtheater-Experten zuzuordnen wäre. Anders als im Theater ist der Eintritt zum Gottesdienst grundsätzlich frei. Das bedeutet allerdings auch, dass es keine Pressekarten gibt, die zumeist einen Platz in den vorderen Reihen reservieren, um gute Sicht auf das Bühnengeschehen zu garantieren. Da wir leider erst 10.30 Uhr am Ort des Geschehens eintrafen, vor dem die maßgeblichen Akteure (Priester, Diakon, Ministranten) bereits Aufstellung für den Einzug genommen hatten, mussten wir uns in dem fast vollständig gefüllten Gotteshaus mit einem Stuhlplatz im Seitengang begnügen. Dieser Platz erschwerte die visuelle und akustische Wahrnehmung allerdings derart, dass wir nach dem Kyrie das Stehen am Ende des Hauptschiffs vorzogen.Die Gestalt des Raumes machte in der Herz-Jesu-Kirche einigen Eindruck (Bühnenbild: Christoph Hehl, 1847-1911), vor allem ob der farbenfrohen, güldenen Bemalung (Friedrich Stummel, 1850-1919, und dessen Schüler Karl Wenzel), deren Hauptattraktion die riesige Jesusfigur in der Kuppel der Apsis darstellt. Was den Ablauf des Gottesdienst betrifft, hat sich seit Max Goldts Zeiten wenig geändert: „Übrigens hat man in einem katholischen Gottesdienst viel Bewegung. Man muß andauernd aufstehen und sich wieder setzen oder sich hinknien, feste Regeln indes scheint es nicht zu geben; die Gläubigen machen es ganz nach Gusto und Fitness.“ In der Tat herrschte ein munteres Treiben, das durch die zahlreichen, in den Seitenschiffen geparkten Kinderwagen verstärkt wurde. Man hätte sich auch in einem beliebigen Café des beliebten Bezirks wähnen können. Die die Kinderwagen besitzenden, nicht mehr ganz jungen, gut aussehenden Eltern waren beim Publikum im Übrigen in der Überzahl.Geleitet wurde die Aufführung von einem namenlosen Priester (leider findet sich auch nicht auf der Homepage der Pfarrei ein Hinweis auf Stab und Besetzung), dessen französischer Akzent das Dilemma des deutschen Priesterseminarschwunds zum Ausdruck brachte. Der Diakon, der für unseren Geschmack etwas häufig logistische Anweisungen gab („nach der Eucharistie bitte durch den Mittelgang zurückgehen“), sprach dagegen schwäbisch.Der spitzfindige Beobachter musste nun bereits bei der Begrüßung durch den Priester aufmerken, als er gerade Ungläubige mit heuer nicht mehr völlig unschuldigen Wendungen werben wollte: in der Gemeinde sei man einander tief verbunden; es ginge darum, sich von der Liebe Gottes berühren zu lassen. In neuem Licht können solche Formulierungen freilich nur dem distanzierten Skeptiker erscheinen, handelte doch diese Erstkommunionsfeier in beeindruckender Stringenz von nichts anderem als dem Großthema „Geborgenheit“. Bei der Predigt bat der Priester um Nachsicht, dass er sich zuerst an die Erstkommunikanten wendete, mit denen er, für unseren Geschmack etwas unpassend, ein Gespräch wie in der Christenlehre führte.Unter Protestanten wäre die Predigt das Organ zur Herstellung außerkirchlicher Bezüge gewesen, hier diente sie einem begrifflich nicht unbedingt strengen, eher meditativen Kreisen um das Motiv der „Geborgenheit“. Den leicht esoterischen Anflug der Gesamtveranstaltung („hier weht ein guter Geist“) bekräftigte die Musikauswahl, die etwas gar zu gefühlig geraten war. Die „moderneren“ Stücke nahmen sich oft aus wie eine Mischung von eher unterkomplexen Herbert-Grönemeyer-Elton-John-Balladen mit dem Soundtrack von Koyaanisqatsi, ehe uns die kraftvolle Orgel am Ende mit dem ökumenischen All-Time-Classic Großer Gott, wir loben dich noch versöhnlich stimmte.Aber die Kirche wäre nicht die Kirche, führte sie nicht seit je ein Mittel zur Selbstkritik im Köcher, wie es in revisionistischer veranlagten Glaubensgemeinschaften heißen würde. Bei den Fürbitten, die von Laien in Laienmontur gesprochen wurden, betete man auch für „die Opfer von Missbrauch und Gewalt“ sowie für „die deutsche Kirche, die sich in einer schwierigen Situation befindet“. Diese Fürbitten nahmen sich gemessen an den anderen, in denen beinahe dezidiert die prekäre Lage der Schwellenländer beschrieben wurde, etwas kurz aus, so dass die Gemeinde irritiert ein paar Sekunden verstreichen ließ, bevor sie begriff, dass keine weiteren Spezifizierungen folgen würden und den Fürbittruf „Höre auf dein gläubig Volk/Herr und Gott, erbarme dich“ anstimmte.„Nach der Messe sind wir noch Kaffee trinken gegangen“ (Max Goldt).
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