"Ach komm, Junge, red’ kein Blech, sag’ was Sache ist“, ist ein Satz, den Kommissar Faber sagen könnte. Faber, gespielt von Jörg Hartmann, ist der Protagonist des Tatort aus Dortmund, der neuesten Filiale in der populären Krimireihe des Ersten Deutschen Fernsehens.
Der Tatort Dortmund hat seinen Zuschauern in den ersten beiden Folgen Déjà-vus mit etwas Unbekanntem beschert. Dortmund ist zwar neu auf der Tatort-Landkarte, aber man hat das alles schon mal gesehen: Eine Stadt im Umbruch, die nicht für Postkartenansichten gemacht ist; ein raues, im Grunde aber herzliches Klima und eben einen Kommissar, der weder Kollegen noch Vorgesetzten gefallen will, der eine so genannte klare Sprache pflegt und aggressiv ermittelt, der immer die gleiche Jacke trägt und das eigene Gebrochensein nicht durch bürgerliche Tischsitten zu bemänteln versucht.
„Ach komm, Junge, red’ kein Blech, sag’ was Sache ist“, ist ein Satz, den tatsächlich Kommissar Schimanski (Götz George) gesagt hat – in seinem fünften Fall, Kuscheltiere, der am 12. Dezember 1982 erstmals ausgetrahlt wurde. Und man braucht nicht einmal Kommissar Faber, der so offensichtlich aus der Erinnerung an Schimanski entworfen ist, um die Bedeutung zu verstehen, die dieser Schimanski für den Tatort hat. Schimanski ist eine mythische Figur, fast ein Synonym für den Tatort, was vielleicht das Größte ist, was man über eine dieser Kommissarsfiguren sagen kann. Denn der Tatort schätzt aufgrund seiner eigenwilligen Struktur, die sich dem ARD-Föderalismus verdankt, in einem tief demokratischen Sinne das Amt immer höher als die Person, die es bekleidet.
Die Reihe ist der Star
Natürlich lebt die Reihe von Beliebtheit und erarbeiteter Prominenz ihrer Ermittler, aber wie im post-monarchischen Staat ist das Ganze immer größer als seine Repräsentanten. Diese Doktrin wird, das nur am Rande, mit Til Schweigers Debüt als Tatort-Kommissar im nächsten Jahr auf eine Probe gestellt. So prominent wie der vielleicht einzige deutsche Schauspieler, der die Bezeichnung Star verdient als Ausdruck seiner Marktmacht, war bei Dienstantritt noch kein Kommissar-Darsteller vor ihm. Auch Götz George nicht.
Am Anfang – aber das gehört zum Mythos – war Schimanski heiß umstritten. Die Figur des proletarischen, körperlichen, unverstellten Beamten reichte auch lange nach 1968 und der Gründung der Grünen noch aus, um den deutschen Elitebegriff zu irritieren. Legendärer als das „Scheiße“-Sagen von Schimanski ist die Geschichte von Springers Boulevardblatt, das sich daran reibt (damals vielleicht noch aus ernsthaftem ideologischen Verdruss und nicht nur aus strategischer Cross-Promotion) und die „Scheißes“ mitzählt wie ein Oberstudienrat.
Die Schimanski-Folgen sind darauf eingegangen, wie Regisseur und Erfinder Hajo Gies in Interviews erzählt hat, und in Kuscheltiere kann man das gut sehen. Einmal sagt Georges Kommissar völlig unaufgeregt und an eigentlich unpassender Stelle das umstrittene Wort. Und wem das zu subtil ist, der kann die fallinternen Medienreflektionen – Zeitungen kritisieren auf der ersten Seite Schimanski, weil der Tod eines asiatischen Mädchens nicht schnell genug aufgeklärt wird – problemlos auf das wirkliche Verhältnis der Kunstfigur zur Fernsehkritik übertragen. „Hast du deine Kritiken schon gelesen?“ – fragt eine Barkeeperin einmal den Kommissar. Der antwortet abfällig: „Dass die meinen Namen überhaupt richtig schreiben können.“ Woraufhin die Barkeeperin den Vorwurf an den Kommissar umdeutet („tappt im Dunkeln“) in dessen zumindest behauptetes Machotum: „Du weißt doch genau, was du im Dunkeln zu tun hast.“
Vorher und nachher
Das permanente Begehren, das der kraftstrotzende Kommissarkörper bei praktisch jeder Frau auslöst, könnte mit dem gutaussehnden, durchtrainierten Schweiger als Hamburger Tatort-Kommissar im nächsten Jahr ein Revival erleben. Sich auch in Sachen Action auf Schimanski beziehen zu wollen, hat der Schauspieler, Regisseur und Produzent schon einmal angekündigt.
Um die Bedeutung Schimanskis zu verstehen, braucht es diese offensichtlichen Anknüpfungen aber, wie gesagt, nicht. Schimanski war eine Revolution, insofern er einen entscheidenden Bruch in der – aufgrund der Heterogenität der einzelnen Tatort-Filme – schwer zu schreibenden Geschichte der Krimireihe markiert. Der Tatort lässt sich sinnvoll nur in die Zeit vor und nach Schimanski unterscheiden. Vorher gibt es – grob gesagt und abgesehen von Sieghardt Rupps Zollfahnder Kressin, der als Westentaschen-James Bond gar nicht für die Reihe vorgesehen war – Kriminalfilme mit Kommissarsfiguren. Mit Schimanski kehrt sich dieses Verhältnis um – die privaten Aspekte der Figur, also vor allem ihre Macken werden wichtiger als der Fall, durch den sie sich bewegen.
Wenn sich Kritik und Zuschauer heute etwa darüber mokieren, dass im Tatort Münster die Spannung auf Kosten des Klamauks verloren geht, dann müssten diese Beschwerden eigentlich an Schimanski weitergeleitet werden. Spannend (oder auch nur: plausibel) sind dessen Auftritte nämlich selten, die mitunter hanebüchenen Geschichten müssen hinter den Grillen zurückstehen, die das Super-Ego des Kommissars ausleben darf.
Politischer Wirrkopf
Frappierender ist aber, wenn man etwa Kuscheltiere heute noch einmal schaut, wie lächerlich Schimanski in seinem mit allen George-Manierismen ausgestatteten Getue wirkt. Das Schnaufen, das Hecheln, die Hysterie, die Empathie, das dauernde Genervtsein – Schimanski ist ein schwer erträglicher Stresser, dessen charakteristischer Ausdruck nicht „Scheiße“ ist, sondern ein wehklagendes: „Hör auf, Thanner, hör auf“ (wobei Thanner zumeist mit nichts angefangen hat). Politisch ist Schimanski ein Wirrkopf – in Kuscheltiere geht es, ethisch flexibel, um Adoption asiatischer Kinder und damit verbundenen Heroinhandel –, der mühelos die schlimmsten gesellschaftlichen Qualitäten der frühen achtziger Jahre in sich vereint: die Dauergefühligkeit eines esoterisch angehauchten alternativen Lebens nach 1968 und das Law-and-Order-Mackertum des anbrechenden Neoliberalismus.
Wie das zusammenpasst mit der Begeisterung, die Schimanski seinerzeit ausgelöst hat, ist selbst denen ein Rätsel, die von Anfang an dabei gewesen sind. Michael Rutschky hat einmal versucht, sich das Missverständnis – Schimanski damals „frenetisch“ begrüßen und sich heute darüber nur wundern – durch Adorno-Lektüren zu erklären: „Die Wahrheit hat einen Zeitkern. Was heute mit unwiederbringlicher Evidenz begabt scheint, verfällt morgen einer zersetzenden Skepsis, die nur Missbehagen zurücklässt.“
Schimanski war also der richtige Mann zur richtigen Zeit, wobei die Kosten dieses Einsatzes wie immer erst im nachhinein bilanzierbar waren. Anfang der achtziger Jahre war eine habituelle Dissidenz von den Vaterfiguren der ersten Tatort-Dekade offenbar noch möglich (und notwendig), und es wäre wohl hilfreich, Schimanskis Erfolg vor dem Hintergrund von aufkommendem Privatfernsehen oder der etwa zeitgleich beginnenden Karriere von Thomas Gottschalk zu betrachten, dessen damalige Lockerheit aus heutiger Sicht (und mit dem Wissen, was daraus wurde) ebenfalls unangenehm berührt.
Mit der Idee vom Zeitkern kann man immerhin den Anachronismus von Kommissar Faber erkennen: Heute noch einmal Schimanski als Reenactment aufzuführen, wirkt umgehend lächerlich. Dissidenz von bestehenden Rollenbildern, wie Schimanski sie einst betrieben hat, müsste man wohl eher bei unscheinbareren Figuren suchen – bei Axel Prahls politisch ebenfalls schwer festlegbaren Kommissar Thiel aus Münster etwa.
Von Matthias Dell ist gerade bei Bertz+Fischer erschienen: „Herrlich inkorrekt.“ Die Thiel-Boerne-Tatorte. Michael Rutschkys Überlegungen finden sich in dem lesenswerten, von Eike Wenzel im Jahr 2000 herausgegebenen Band Ermittlungen in Sachen Tatort, ebenfalls bei Bertz+Fischer
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