Der Kölner Tatort macht da weiter, wo er im Frühjahr schon einmal gewesen ist, und der Apologet der reinen Leere (Spannung! Spannung! Spannung!) reibt sich angesichts von Familienbande freudig die Hände. Es geht, zack, sofort zu Leiche, obwohl der Prolog etwas fett ist (Regie: Thomas Jauch): Entsetzen in Zeitlupe zu schlimmer Musik (Stephan Massimo). Und dass nur der Mann, Bernd Bürger aka Mark Waschke, in der Lage ist, die Kühlhaustür nicht aufzukriegen, zum Sicherungskasten zu rennen, um dann wiederum die Tür zum Kühlhaus zu öffnen (das hätte doch auch die Frau, Nadja Bürger aka Katharina Lorenz, machen können oder einer der umstehenden Polizisten), das ist natürlich etwas albern.
Aber nach drei Minuten ist das tote Kind entdeckt, das heißt, es bleiben 87 Minuten für Ermittlungen. Und die werden umgehend aufgenommen, die Nebenhandlungen von Schenks (Dietmar Bär) sozialpapahängemattiger Tochter und ihren Bemühungen, ALG (1 oder 2?) zu beziehen, bleiben Nebenhandlungen. Obwohl man sich natürlich fragt, ob man sich den Staat, gegen den die FDP immerzu wettert, wie Freddy Schenk vorstellen muss. Beziehungsweise was Bürokratieabbau auf die Gestalt des sympathischen Kommissars übertragen bedeutete.
Anyway. Spannung gedeiht da am besten, wo das Unkraut des Verdachts zwischen möglichst vielen Kandidaten wuchern kann. Und größere Gruppen von Menschen, die sich verbunden fühlen müssen, findet man in unserer atomisierten Gesellschaft nur noch auf dem Dorf. Also ermitteln Schenk und Ballauf (Klaus J. Behrendt) in einem Dorf vor den Toren Kölns, die Landschaft macht einen aparten Eindruckt, allerdings weiß der geschulte Heiner-Müller-Zitate-Leser auch: "In Zeiten des Verrats sind die Landschaften schön."
Peng, Peng, Peng
Als Täter für den Mord am Bürger-Kind kommen in Frage: Iris Findeisen (Anna Schudt), Großmutter Bürger (Petra Kelling), der Schottertycoon Gebauer (Michael Prelle), Kneipenwirt Gebauer jr. (Thiemo Schwarz), dessen Freundin Miriam (Anna Grisebach) und theoretisch zumindest Mutter Nadja und Vater Bernd. Diese Sieben springen einem dauernd vor der Nase rum und werden so geschickt verschoben, dass Großmutter Bürger, die einem ziemlich früh verdächtig sein konnte, in den entscheidenden Momenten im Hintergrund bleibt, damit, nachdem sich die Vermutungen auf Gebauer jr. beziehungsweise Miriam konzentriert haben, noch ein weißes Kaninchen aus dem Hut gezaubert werden kann, das nicht wie ein weißes Kaninchen aussieht.
In der psychologisierten Variante von Cluedo, die in "Familienbande" gespielt wird, sind die Kommissare zuerst vor allem mit der Motivsuche des potentiellen Täters beschäftigt, um am Ende per Waffenwahloptionen in tatsächlich bester Cluedo-Manier zu überführen (grandioses "Peng, Peng, Peng"-Verhör mit Gebauer jr.!). Ein "hilfreicher" (Angela Merkel) Trick ist, dass der erste Tod sich im Laufe der Ermittlungen als Unfall herausstellt, den zweiten Tod und eigentlichen Mord aber erst motiviert.
Die volksbildende Seite, die im Kölner Tatort ein unverzichtbares und irgendwie auch erträgliches Issue ist, beschränkt Familienbande auf die Diskussion der lesbische Liebe von Nadja und Iris durch Ballauf und Schenk – dass solche Gespräche geführt werden müssen, zeigt nicht zuletzt die reaktionäre Haltung von Großmutter Bürger. Die finale Pointe, die das heterosexuelle Paar dann doch wieder zur Ehe verdammt, aus der Nadja sich gerade befreien wollte, mag im katholischen Rheinland gut ankommen, ist aber auch etwas schal.
Monatliches Fixum
Schön ist, dass sich im Laufe der Ermittlungen eine Wohlstandslandschaft mit Gehöften entfaltet, wie wir sie nur aus Romanen über das 19. Jahrhundert kennen. Und tatsächlich ist Familienbande auf dieses Patriarchentum hin inszeniert und eingerichtet, das allerdings ordentlich modernisiert wird: Die Hosen im Haus Bürger hat Nadja an, auch wenn Großmama den angeheiratet Sohn Bernd liebt wie einen leiblichen und der immer brav "Mutti" sagt. Buddenbrooks gegendermainstreamed, was heißt, dass Nadja Sätze sagt wie "Ich gewähre dir ein angemessenes Gehalt" oder "Mutter behält ihr monatliches Fixum", die in den richtigen Buddenbrooks noch Mark "Bernd" Waschke von sich geben durfte als untergehender Konsul. Eine hübsche Parallele zu den Buddenbrooks ist, dass das Geschäftsbürgertum, wenn es privat und womöglich finanziell angeschlagen ist, immer auch körperlich Probleme hat – weshalb Bernd Bürger sich bei dem absurden Unfall relativ zu Beginn so arg verletzen und durch den ganzen Fall mit dieser Krücke humpeln muss.
Schauplatznamen, über denen das Herz des Fußballfans aufgeht: der "Frings-Hof"
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