Tatort Nachdem Schweighöfer-Overkill: Zurück zur Normalität mit dem Kölner Kommissar Ballauf, der weiterhin mit seiner Einsamkeit und mangelhafter Ernährung konfrontiert wird
Nach dem turbulenten Tatort von letzter Woche, dessen wahre Größe zu schauen durchaus einige Zeit in Anspruch nahm und noch nehmen wird, geht's diese Woche zurück zum Alltag. Klassentreffen aus Köln ist ein Tatort, wie ihn Autor und Abteilungsleiter zu schätzen wissen: Keine Lehrveranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung, sondern ein Krimi, der vor allem aufs die Interaktion der Beteiligten, wenn nicht das "Milieu" (Abteilungsleiter) setzt. Dass dabei die Opfer-Täter-Ermittler-Nähe wieder aufs Privateste enggeführt wird, ist dann nach all den Jahren fast nicht mehr beklagenswert. Am interessantesten wohl: die fortschreitende Pathologisierung der Kommissar-Ballauf-Figur. Schon in der letzten Kölner Folge Platt gemacht ging es um
chreitende Pathologisierung der Kommissar-Ballauf-Figur. Schon in der letzten Kölner Folge Platt gemacht ging es um Alkoholismus und Devianz vom bürgerlichen Leben. Darauf wird auch hier weiter herumgeritten, wobei man nicht sicher ist, ob es von Vorteil ist, dass die Figur eben über die einzelne Episode charakterisiert und damit glaubwürdig gemacht wird. Oder etwas gemein, denn Kommissar Ballauf (Klaus J. Behrendt) ist uns mindestens so sympathisch wie Kollege Schenk (Dietmar Bär), der aufgrund seiner eindrucksvollen Leibesfülle immer so herrlich rollend läuft. Ballauf hat nichts außer der Arbeit, deshalb treibt er sich am Anfang am Mordschauplatz des erhängten Kölner Bauunternehmers Tarrach rum, obwohl er doch eigentlich Urlaub hat und zum Titel gebenden Klassentreffen soll. Da aber wird dem Unglück, das das eigene Leben in Einsamkeit ist, noch viel bohrender ins Auge geschaut. Zumal wenn man so sympathische Klassenkameraden hat wie diesen Klassentreffen-Organisator Stefan (Oliver Stritzel), der auch nach 30 Jahren noch alle zur Schnecke machen muss. Komischer Ansatz, sich für solch eine miese Show das Klassentreffen rauszusuchen. Und irgendwie zwangsläufig, dass Stefan dann der zweite Tote in diesem Tatort ist, der Kommissar Ballauf aus seinem Dilemma befreit, Urlaub zu haben, wo doch gearbeitet werden will. Etwas absurd: wie im Nachhinein alle so gut über den Stefan reden ("Stefan konnte reden, der konnte Leute begeistern"), der ja, wie dem Zuschauer rasch klar wird, im Grunde seines Herzens eine Totalkatastrophe ist.Kalte Augen, tote StimmeGut gefällt die Essener Kommissarin Vossbeck (Angelika Bartsch), die mit kältesten Augen und gefühllosester Stimme ihr Programm durchzieht: "Unsere Ermittlungen stehen noch am Anfang, für Spekulationen ist es zu früh." Buch (Jürgen Werner) und Inszenierung (Regie: Kaspar Heidelbach) enttäuschen die Erwartung des in Fernsehfilmen geübten Zuschauers selten: Wenn Ballauf nach dem Klassentreffen in seinem Hotelzimmer steht und ein Bier öffnet, und man denkt, es könnte doch einmal jemand klopfen, klopft jemand. Katja (Karoline Eichhorn, die im Laufe des Films immer weiter runtergeschminkt wird), die alte Liebe und jetzige, angeblich glückliche Frau von Stefan steht vor der Tür, und nennt als Grund für ihr Erscheinen, da man denkt, dass sie sich mit ihrem Stefan gestritten haben muss: "Wir haben uns gestritten."Baustellenverfolgungsjagden machen nicht so viel her, aber die Suche nach dem Täter des Mords an Fiesling Stefan ist doch einigermaßen spannend: Am Ende war's die Assistentin (Jasmin Schwiers), die doch nur an ihrer Karriere gearbeitet hat – ein Motiv, das eine gewisse Glaubwürdigkeit hat im Gegensatz zu der Tatsache, dass sie tatsächlich nachts in das Klassentreffen-Hotel fährt, um Stefan zu sagen, dass es aus ist. Dafür gibt es doch heutzutage Mobiltelefone. Von mir aus auch Twitter.Einsamkeit und CurrywürsteAn Ballauf werden diesmal nicht nur alle Dienstvergehen seiner Tatort-Karriere (inklusive der early Düsseldorf Years unter Martin Lüttge aka Kommissar Flemming, was eine schöne Reverenz ist) unter die Nase gerieben, sondern vor allem seine Einsamkeit und die ewigen Currywürste. Schon beim letzten Mal bestand die Hoffnung, dass es mit der Therapeuten-Freundin, die ihn vom Alkoholabusus kuriert hatte, was werden könnte. Diesmal läuft nun vieles auf die Jugendliebe, Falsche-Lebensentscheidung-Trefferin und Witwe Katja zu. Eigentlich keine schlechte Ausgangsposition, aber die Liebe ist auch im Tatort ein romantisches Konzept und keine Notdurft, weshalb doch relativ klar ist, dass es mit der final so blassen Katja auch nichts wird. Die Ballauf-Figur bleibt spannend.Wenn das Herbert Reinecker noch erlebt hätte: Auf die Botschaft, dass der Chef gestern nacht erschossen wurde, nicht mit einer Gegenfrage ("Erschossen?") zu reagieren, sondern der doch recht menschlichen Regung: "Ach, du Scheiße" (durch Martin Brambach als Bauleiter Michalke, den man immer mit Freude sieht)Mutig, als televisionäre Begleiterscheinung (wenn auch nicht im Sinne Christoph Schlingensiefs) zur Kulturstadtjahr-Eröffnung (Ruhr 2010) Negativschlagzeilen zu riskieren, und seien sie auch nur fiktiv: die Machenschaften der Ruhr-2010-Stiftung im Film
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