Inspiration ist ein Wort, das die falschen Freunde hat. Es hängt seit Ewigkeiten mit Begriffen wie „Genie“, „Nacht“ oder „Poet“ ab, und dann denkt man sich: Die Inspiration an sich, die ist ja eigentlich ganz okay, eine smarte Lady, mit der man etwas anfangen kann. Aber wenn an ihrem Rockzipfel immer diese romantische Bagage hängt, die so voll 19. Jahrhundert ist, dann lass’ ich den Umgang mit ihr lieber bleiben.
Anders gesagt: Man muss den deutschen Begriff Inspiration dekontextualisieren, wenn man heute mit ihm arbeiten will. Wie das funktionieren kann, führen Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen auf dem Festival Rue Princesse vor, das am Wochenende in Hamburg auf Kampnagel zu sehen war. Erleide meine Inspiration heißt das kurze Auftaktstück, in dem Tänzer, Schauspieler, Performer aus Deutschland und der Elfenbeinküste inspiriert von Erfahrungen in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, tänzer- und erzählerisch die drei Aspekte zelebrieren, die in Abidjan die Kultur prägen: Politik, Kirche und Tanz, „die Sprache der Zunge“, wie sich Franck Edmond Yao ausdrückt.
Yao lebt in Paris, ist ein Tänzerschauspielersänger, der als „Gadoukou la Star“ ein, eben, Star ist auf den Straßen von Abidjan. Auf der Rue Princesse, der Amüsiermeile. In einem Nebenraum in Hamburgs Kampnagelfabrik erklärt Yao seinen Begriff von Inspiration: „Inspiration gibt es in allen Bereichen, inspiriert einkaufen, inspiriert stehlen, es geht um einen Moment, in dem man ein riesiges Vertrauen in sich selbst hat, ich bin sehr, sehr stark.“ Begriffsstrenge Philologen könnten mäkeln, dass so betrachtet das Geschäft der Inspiration zur Privatesoterik verkomme.
Aber in gewisser Weise geht es genau darum bei Rue Princesse. Nicht um Privatesoterik, sondern um einen Kunstbegriff, der sich nicht um traditionelle Philologenmeinungen schert. Rue Princesse heißt Festival, ist aber eine Maschine: In den Pausen zwischen den Stücken versuchen die zahlreichen Performer – Tänzer, die Prince Kreol heißen, Musiker wie Champy Kilo, Sänger namens SKelly – etwas von dem Treiben auf der Titel gebenden Straße in Abidjan ins Westfoyer der Kampnagelfabrik zu bringen. Wer gerade nicht auftritt, verschwindet im Studio, um Songs aufzunehmen, von denen noch nicht klar ist, in welchen Zusammenhängen sie erscheinen werden. Am ersten Abend gibt es eine Modenschau, auf Bildschirmen laufen Filme, die in Abidjan gedreht wurden.
Dass Rue Princesse mehr ist als Theater im herkömmlichen Sinne, zeigt auch die Geschichte seiner Initiatoren. Monika Gintersdorfer ist eine Schauspielregisseurin und Knut Klaßen ein bildender Künstler, aber seit diesem Sommer stehen sie laut Kritikervotum im Fachblatt Tanz der „Tanzkompanie des Jahres“ vor, weil die Performer, die sie ausgehend von der Bekanntschaft mit einem Modeschöpfer in Abidjan getroffen haben, sich zumeist durch Tanz ausdrücken. Und so macht auch die Geschichte des dreitägigen Festivals, das im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen war, romantischen Vorstellungen von Kunstproduktion einen Strich durch die Rechnung. Fünf Jahre haben Gintersdorfer/Klaßen nun zwischen Abidjan und deutschen Off-Theatern (Sophiensaele in Berlin, Kampnagel in Hamburg, FFT Düsseldorf) an dem Programm gearbeitet – und weil der Antrag auf Förderung bei der Bundeskulturstiftung so lang gebraucht hat bis zur Bewilligung, sind in dieser Zeit viele Stücke entstanden, die an drei Abenden alle nicht gezeigt werden können.
André Hellers Afrika
Ein Schlüsselstück für die Arbeitsweise von Gintersdorfer/Klaßen ist Logobi 01. Logobi ist eine Reihe, in der Tänzer aus der Elfenbeinküste, mit Künstlern aus dem Westen interagieren, mit dem Tänzer Richard Siegal etwa oder dem Theatertextexegeten Laurent Chétouane. In Teil 1 stehen Gotta Depri und der Schauspieler Hauke Heumann auf der Bühne. Das Wort Logobi meint eine Tanzform, die in den neunziger Jahren populär war, und setzt sich zusammen aus „logo“, was in einer Sprache aus der nördlichen Elfenbeinküste „sich verkaufen“ heißt, und „bi“, was, unter dem Einfluss des Englischen stehend, so viel wie „jetzt“ bedeutet – klingt wie eine Theatermetapher, und dass das Wort zudem an „Logos“ erinnert, einen zentralen Begriff abendländischer Philosophie, verstärkt nur die vielfältigen kulturellen Rückkopplungseffekte, um die es hier geht.
Gotta Depri erzählt und demonstriert eine kleine Geschichte des Tanzes in der Elfenbeinküste der letzten Jahre. Ein wenig ist das, als ob die Arbeit Jerôme Bels, des Pariser Konzepttheatertanzarchivars, am eigenen Leib erfahren wird. Im „zeitgenössischen Tanz“ erblickt Depri den Versuch des Westens einer Rückeroberung der Deutungshoheit, und so, wie er „zeitgenössischen Tanz“ vorführt, wird deutlich, wie wenig mit den Formen hohlen Ausdrucks der Tänzer anfangen kann, dessen gegenständlicherer Stil ein Amalgam ist aus Zitaten und Geschichten. Seine Anekdote vom Casting für André Hellers Zirkusspektakel Afrika, Afrika bildet den Höhepunkt von Logobi 01: Indem Depri die Anforderungen von Hellers Produktion an ihn beschreibt und vorführt, dekonstruiert er den plumpen Afrika-Entwurf, der sich dahinter verbirgt. Grinsen ist hier Konzession an Unterhaltungsindustrie und Kolonialismusbilder und damit etwas anderes als das großzügig-konzentrierte Lächeln, die angeberisch-stilisierte Überlegenheitsgeste, die beim pedaler verlangt wird.
Hauke Heumann gerät bei diesem radfahrenden Rennen auf der Stelle schnell ins Schwitzen, die Hüfte wackelt auf und ab, die Beine wirken mitunter ungelenk wie bei einem jungen Kalb, und seinem Gesicht sieht man die Anstrengung an. Die so entstehende Differenz ist das, was man kulturelle Eigenheit nennen könnte, etwas, das erstmal übrig bleibt beim Versuch, den anderen zu verstehen.
Geld fürs Publikum
Dieser respektable Rest scheint auch auf, wenn Heumann übersetzt: Sein Konversationsfranzösisch zielt nicht auf Perfektion, manchmal muss er nachfragen, sich etwas erklären oder korrigieren lassen (Depri lebt in Hamburg und spricht deutsch), „s’installe“ deutscht er im Eifer der Aktion als „installiert sich“ ein, dabei müsste es besser „richtet sich ein“ heißen. In dieser scheinbaren Ungenauigkeit liegt das tiefere Bewusstsein des Kulturtransfers, in dem auch die Übertragung in den einen kulturellen Kontext immer beeinflusst ist von dem anderen. Nur bei der Zusammenarbeit mit den Hamburger Szenegrößen Jacques Palminger und Carsten „Erobique“ Meyer geht das schief: gegen das großspurige Posen der ivorischen Performer versuchen die beiden sich mit abgeranzter Ironie zu schützen, um die Oberhand nicht zu verlieren.
Ein weiterer Höhepunkt ist Betrügen. Darin erklären Yao, Depri und Heumann den Lebentanzstil Couper Decaler, eine popkulturelle Reichtumsprätention, mittels derer ivorische Migranten aus Pariser Vororten sich das Leben verdienen, das sie zu führen vorgeben. Yao wirft echtes Geld ins Publikum, trinkt Champagner aus dem Schuh – und dreht den Spieß um, wenn das Publikum schließlich dazu gedrängt wird, selbst zum "Jetset" zu gehören und Geld zu geben. In Hamburg geben, was selten vorkommt, tatsächlich zwei Gäste je 50 Euro.
Statt des Applauses. Auch das gehört zu den Eigenheiten des Theaters, das Gintersdorfer/Klaßen machen: Die Erklärung des Phänomens Couper Decaler ist zugleich eine Spielanleitung, das Vorzeigen der Dicke-Hosen-Posen Theater. In dem die Trennung zwischen Rolle und Schauspieler, Behauptung und Realität nicht leicht fällt. Anders gesagt: Es geht in diesem Theater darum, inspiriert zu betrügen.
SKelly und Gotta Depri sind am 14. und15. Oktober beim Monologfestival im BerlinerTheaterdiscounter zu Gast. Filme der Musikvideoregisseure ALexandLiane sind auf dem Youtube-Kanal Africa2010Abidjan zu finden.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.