Irgendwo

Im Kino Der Dokumentarfilm "Omulaule" über die "DDR-Kinder von Namibia"

Im Deutschen Historischen Museum in Berlin wurde letzte Woche eine Kölner Ausstellung über die Geschichte eröffnet, die sich Deutschland und Namibia teilen. Das offizielle Gedenken widmet sich dem Thema aus Anlass des Herero-Aufstandes, der sich zum 100. Mal jährt. Das heißt nicht, dass die geteilte Geschichte ihren Platz in der Gesellschaft gefunden hätte. Das deutsch-namibische Verhältnis ist seltsam ortlos: Es treibt durch den Orbit der Erinnerung, siedelt im Irgendwo des Geschichtsbewusstseins.

Dabei gibt es zwischen der verhuschten einstigen Kolonialmacht - deren imperiale Bestrebungen verglichen mit Frankreich, England oder Portugal vernachlässigenswert erscheinen und die gleichzeitig zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen ersten grausamen Genozid zu verantworten hatte - und dem seit fünfzehn Jahren endgültig unabhängigen Namibia Anknüpfungspunkte, die bis in die Gegenwart reichen. In den siebziger Jahren wurden 400 namibische Kinder in die DDR verschickt, deren Eltern für die SWAPO gegen die südafrikanische Besatzer kämpften. Mit dem Ende der DDR und dem Beginn des freien Namibia kehrten die Kinder als Jugendliche in eine Heimat zurück, die sie nicht kannten.

Omulaule, was "schwarz" bedeutet, heißt ein Dokumentarfilm, den die drei Weimarer Studentinnen Beatrice Möller, Nicola Hens und Susanne Radelhof über die Lebenswege der "DDR-Kinder aus Namibia" gedreht haben. Zum einen ist Omulaule ein politischer Film, denn er begibt sich auf Suchfahrt in die Spalten der weltgeschichtlichen Plattentektonik. Der Lauf der großen Dinge nimmt aberwitzige Wendungen: Auf der Landkarte des kalten Krieges ist es Honeckers DDR, die - als die SWAPO-Führung nach möglichen Aufnahmeländern für die gefährdeten Kinder Ausschau hält - zum Fluchtpunkt wird. Die Nachfahren der einst von Deutschen Unterdrückten finden in Deutschland Sicherheit, was nur möglich ist, weil die DDR sich außerhalb der geschichtlichen Kontinuität dieses Deutschland wähnt. "Paradies in einem Wort", sagt Nali über die Kinderjahre mit echtem Schnee. Die Zöglinge aus Namibia werden verhätschelt, verwöhnt und zu Kämpfern für die gute Sache erzogen, mit der Aussicht später als Elite des freien Namibia zurückzukehren. "Wir stählen unseren Körper im Manöver", steht in DDR-Musterschrift unter Fotos von sportlicher Betätigung aus dem Buch der kollektiven Erinnerung an die ostdeutschen Kinderheime. "Kommunistische Unterhaltung", nennt Theo die sozialistische Erziehung heute. Dass aus dem Plan von der künftigen politischen Elite Namibia nichts wurde, hängt zusammen mit der Enttäuschung über die Rückkehr in das unbekannte Land, das den Heimkehrern skeptisch gegenüber stand. "Ich hätte mir Namibia tropischer vorgestellt, dass man Bananen abpflücken kann und so", sagt Theo.

Zum anderen ist Omulaule ein lebensphilosophischer Film, der nach Antwort auf die Frage sucht, was der Mensch ist, der keine Heimat und keine Familie hat. Das Hin und Her auf dem Schachbrett des kalten Krieges hat Spuren in den Biographien hinterlassen. Kauna etwa konnte wenig anfangen mit der eigenen Familie, deren Sprache Oshiwambo sie nur schlecht sprach. Sie kam - auch das ein krummer Zirkelschluss der Geschichte - in eine deutsche Familie in Namibia, in einem Alter, da Kinder das Elternhaus gewöhnlich zu verlassen beginnen. Die 15-Jährige suchte Halt bei den Marktschreiern dubioser Glaubensmodelle, ehe sie zum Christentum fand, in dem die Zerrissenheit des eigenen Lebens durch Gottesfürchtigkeit zusammengehalten wird. Der ernste Paul dagegen wurde Teil einer deutschen Pflegefamilie, die ihm mit pflichtbewusster Distanz begegnete. Familie bedeutet für die meisten der "DDR-Kinder" sowieso die Gemeinschaft der Gleichgesinnten. Eine keineswegs homogene Gruppe, die zerfallen ist, in die, es geschafft haben, und jene, die gescheitert sind.

Omulaule ist ein anregender Film, weil er von Lebenswegen erzählt, die abseits der Konvention verlaufen. Und weil er von einer Schicksalsgemeinschaft berichtet, die als Bindeglied im Zentrum der gemeinsamen namibisch-deutschen Geschichte stehen könnte, wenn eine Auseinandersetzung darüber geführt würde. Der realistische Indikativ lautet aber, dass die "DDR-Kinder von Namibia", die von solcher Rubrizierung ihrer Biographien nichts mehr hören wollen, eine Marginalie in der offiziellen Erinnerungskultur sind. Bezeichnenderweise sagt Matheus auf die Frage, wo er gern zuhause wäre, weder Namibia, noch Deutschland, sondern: "Irgendwo".

Omulaule ist in dieser Woche in den Berliner Kinos Nickelodeon und Lichtblick sowie im Kino Orfeos Erben in Frankfurt am Main zu sehen. Informationen zum Verleih des Films unter www.omufilm.de


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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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