Der Franz (Udo Wachtveitl) und der Ivo (Miro Nemec) werden zwar nicht jünger, aber auch nicht unattraktiver. Im Gegensatz zu den beiden Onkels in Halle gibt es in München eine elaboriertere Form von Drolligkeit, eine klassische Routine, mit der sich problemlos die Zeit bis zur Verrentung bestreiten ließe. Der Franz und der Ivo könnten auch im ersten Gang ermitteln und die Experimente mit dem Format anderen überlassen, ohne etwas von Fame und Reiz einzubüßen.
Und sich und uns damit Folgen wie Der traurige König ersparen. Sieht aus wie Felix Magaths Wolfsburg: aktionistisches Zusammengekaufe von pseudoheißem Scheiß (junge Kollegin, deeper Privatkonflikt), aber eine Mannschaft, ein funktionierendes Ganzes wird nicht draus. Die junge Assistentin Julia Winters (Sylta Fee Wegmann) ist zwar immerhin nicht blond und anders als in Halle, wo Nora Lindner zur Stammformation gehört, nur diesmal dabei. Sie wirkt dennoch wie ein gestaltgewordener Hierarchenwunsch zur Sendungsverjüngung und Zielgruppenbefriedigung – bei den Simpsons gab es mal diese große Poochie-Folge, in der selbstironisch über Aufhübschungen wegen gefühlter Formatermüdung nachgedacht wurde. Julia Winters ist der Poochie von München. Und wenn schon eine Teilzeitassistenz, dann hätte es doch auch eine gewagtere Figur sein können wie diese stullige Bürokraft zum zumindest im Ansatz am Bodensee neulich.
Besser als einem Tatort hätte die Folge dem Allergrößten aka dem Kommissar zu Gesicht gestanden. Das putzige Ladenhändlermilieu hat sich seit 1969 kaum verändert (der Ivo: "Dass es so was noch gibt"), es bietet Raum für generationenübergreifenden Quarrel und ist wie des Franzens Wohnung (Gebsattelstraße) in der Au angesiedelt, wo – die Traditionsbewussten unter uns werden sich erinnern – Dr. Steiner in der ersten Folge als Toter Herr im Regen lag. Vor allem aber kam der Kommissar grundsätzlich in einer Stunde zu Potte, auf die sich diese 90-Tatort-Minuten locker runterkürzen hätten lassen.
Gelebte Umverteilung
Innere Spannung entfaltet Der traurige König erstmals nach 40 langen Minuten, wenn der Ivo und der Franz im Baumarkt vorfahren beim älteren Aumeister-Filius Markus (Stephan Zinner, der in München erst vor gut einem Jahr Head of Mob war in der seinerzeit beliebten Selbstjustiz-Folge Nie wieder frei sein). Leider ist dann schon alles selbst für jene klar, die nicht zu den Topcheckern unter den Täterratern gehören: Der Überfall auf den Baumarkt vom anderen Aumeister-Filius Siggi (Lasse Myhr) und diesem tumben Wolf (der sich als halbe Esche am Brandbauernhof wichtig machen muss: Thomas Darchinger) geschah mit Billigung von Markus.
Die Aumeister-Geschichte ist dabei noch nicht einmal uninteressant, weil sie eigentlich Inbild der Verheerungen sein könnte, die der wirtschaftliche Wandel in modernisierungsunwilligen Familien anrichtet. Um den pittoresk-rührenden Einzelhandel der Eltern zu subventionieren, schießen die Söhne Geld zu, vor allem Markus, der praktischerweise im – aus Sicht des pittoresk-rührenden Einzelhandels – Herz der Finsternis, dem Baumarkt, arbeitet. Das könnte man, wie es der Tatort wohl meint, als sentimentalen Abgesang auf das putzige Einzelhändlermilieu erzählen. Denkbar wäre aber auch eine fantasievollere Lesart gewesen, die das Ausnehmen der bestimmt gut versicherten Weihnachtsgans des gesichtslosen Distributionskapitalismus, eben des Baumarkts, als Umverteilungsgerechtigkeit zur Herzerwärmung und Lebensqualitätssicherung (wer gern an Baumarktfilialen entlang flaniert, kann gleich nach Suburbia ziehen) begreift.
Jedoch bleibt diese Familienwirtschaft in der Folge blass wie der jüngste Altbundespräsident. Der Franz hat Zahnschmerzen, und daraus strickt sich der Tatort (Buch: Magnus Vattrodt, Jobst Christian Oetzmann) ein Psycho-Innerlichkeitsdeckchen, unter dem die so genannten großen Fragen versteckt sein wollen (Friendship, Wahrnehmung, Männerkrise). Wirkt ein bisschen wie das Gegenstück zur einstigen Ivo-Verpeilung, die Oetzmann schon besorgt hatte. Aufgefüllt wird da fast nur mit Klischees – der Chef Brandner (Alexander Held), der ewige Unterstützung schwört, um beim kleinsten Zweifel an Franzens Integrität sofort zu seinen Verächtern überzulaufen; das Schießtraining; die Psychologin; dieses "Kann es sein, dass Sie ein Vorschriftenproblem haben". Ein "Vorschriftenproblem" – ist das die sexiest Modekrankheit auf dem nächsten "weichen" Spiegel-Titel?
Sympathisch ist eigentlich nur, dass Maus (der große Torsten Michaelis) am Ende sein Drama als Innenrevisionist erzählen kann – wobei man sich fragt, warum er dann am Anfang so nassforsch zu Werke gehen muss, wenn er doch so ein sensibler Mensch ist. Außerdem ist diese beschauliche Der-Ivo-und-der-Franz-Welt nun wirklich ein Unort des Corpsgeist, Vertuschung und Korruption könnten von hier im Leben nicht ausgehen. Auffallend schwach, man muss es so hart sagen, ist in dieser Folge die Regie: Thomas Stiller bekommt nichts hin, was man einen Stil nennen könnte. Natürlich kann der Franz auch mal so daily-soap-arglos durch sein Viertel laufen, aber dann sollte sich daraus doch bitteschön ein ästhetisches Prinzip für die gesamte Inszenierung ableiten. Und die Auflösung dieser Wolf-Flucht durch die an sich eindrucksvollen Containerlandschaften hätte man als gelungen nur bezeichnen können, wenn die Brüder Lumiere mit Der traurige König 1895 in Paris debütiert hätten. Hamm se aber nich.
Nachdenklich stimmt das Szenenbild (Myriande Heller). Die Kühlbeton-Büros, in denen der Ivo und der Franz abhängen, erinnern an einen Chic in der Identitätskrise, und das ist wirklich das letzte, was man in unserer "komplexer gewordenen Welt" (Angela Merkel) gebrauchen kann – einen Chick, der nicht weiß, wozu er da ist und was er will.
Einen Satz, den man sich als Antwort auf die Gretchenfrage am Ende von Abendvergnügungen merken kann: "Fahren wir zu mir."
Ein Dilemma, das jeder kennt: "Es ging um meinen fairen Anteil, da wären sie auch sauer" (Wolf auf die Frage, warum er Baumarkt-Adriana den kleinen Finger brechen musste).
Eine Kulturpraxis, die vom Aussterben bedroht ist: die auf dem Tisch liegende Zeitung im Stehen lesen.
Kommentare 18
Ich hatte ein spannendes Alternativprogramm: Ich hatte am frühen Abend eine Tür gestrichen und habe hernach gebannt der Farbe beim Trocknen zugeschaut – im Vergleich zu diesem Tatort ein Wahnsinns-Suspense ...
Ach Herr Dell, immer wenn ich mal was verstehe und nicht auf der Couch einschlafe, kommen Sie des Wegs und erklären mir, dass das künstlerisch gesehen nicht so der Knaller war.
Macht aber nichts. Gestört hat mich eigentlich nur dieser Innen-Ermittler, den sie wie einen Innenarchitekten gestylt haben.
Und ich habe immer gewartet, dass das mit dem beschmierten Hemd noch was zu bedeuten hat.
Fakt ist: Wenn ich mich mal eines Tages umbringe, dann mache ich da auch so eine Show draus. Und wenns nicht klappt, verlange ich Schadenersatz.
Und Sie erzählen auch nicht, dass der große Torsten ja den Bruder Dirk hat, der mit "Als ich fortging". Das muss man doch wissen, um das Werk zu verstehen.
Der gute alte Einzelhandel lässt sich vom Distributionskapitalismus finanzieren. Und der lässt sich irgendwann vom Staat finanzieren. (Schlecker-Angestellte bitten um Staatshilfe)
"Die verarschen uns, wir verarschen die. Ist Kreislauf, Alter!"
(Himi Sözer in Bang Boom Bang)
Der gute alte Einzelhandel lässt sich vom Distributionskapitalismus finanzieren. Und der lässt sich irgendwann vom Staat finanzieren. (Schlecker-Angestellte bitten um Staatshilfe)
"Die verarschen uns, wir verarschen die. Ist Kreislauf, Alter!"
(Himi Sözer in Bang Boom Bang)
Der gute alte Einzelhandel lässt sich vom Distributionskapitalismus finanzieren. Und der lässt sich irgendwann vom Staat finanzieren. (Schlecker-Angestellte bitten um Staatshilfe)
"Die verarschen uns, wir verarschen die. Ist Kreislauf, Alter!"
(Himi Sözer in Bang Boom Bang)
Zur Freude der offiziellen Schlapphüte mag ich es so ausdrücken:
Schlug positiv ein, war'ne B O M B E!
@ Rene A. Und selten wurde durch mehr Türen gegangen als in diesem Film, Glas, Holz, Metall, das ganze Programm!
Aber keine frisch gestrichen mit waaaahnsinniger Spannung beim Trocknen der Farbe ...
Aber schön war's dann doch ...
Also, ich weiß ja nicht, was Sie für einen Film gesehen haben.
Mir hat der heutige Tatort sehr gefallen. Die Münchner gehören für mich zu den besseren Tatorten, und der heutige war besonders gut.
Zumindest eines war ziemlich unrealistisch. Ein Polizist kann sich nie und nimmer eine so große Wohnung in der Au leisten. Außer er ist korrupt....
Werter Herr Dell,
mir scheint, sie sind dem Tatort überdrüssig und sollten sich ein anderes Ressort suchen.
Ich persönlich empfand den Tatort als gelungen, anders als Ihr Artikel, sicherlich ein Tatort, aber allein der Camaeraführung mit den Lichtspiel sehr interessant (die Szene im alten Schuppen - waren sie schon einmal ein einem solchen Schuppen? Das Licht absolut realistisch eingefangen, ich meinte den Staub riechen zu können, das Stehenbleiben der Kamera im Baum inklusive Blätterrascheln bei der Abfahrt von Ivo und Franz, die Szene im Containerlager, wo der Ivo vor dem Container stand, die unterschiedliche Beleuchtungen im Einzelhandel, … ). Sicherlich gab es hie und dort ein paar Unklarheiten (wieso war der Maus und der Staatsanwalt so schnell beimTatort, warum war Franz auf einemmal in der Wohnung? - Diese erklärten sich aber schnell, bzw. waren eher unwichtig. Fand ich.
Zudem war das Sounddesign sehr ansprechende und verstärkte die Stimmung - ich fand den Tatort spannend.
Zwar unrealistisch, aber spannend, und vor allem kurzweilig.
Wenn sie einen realistischen Tatort suchen, sollten Sie sich, werter Herr Dell, bei Ihrer Kritik eher auf Toto und Harry verlegen…
Vor allem wurde endlich mal kein soziales Drame in 90 Minuten erklärt, sondern eher das Dilemma eines einzelnen, wenn er etwas anders hätte machen können, unter andern Umständen.
Womit sie recht haben: Das Münchener Alter wirkt deutlich agiler als das Haller Alter.
Ich weiß, ich weiß, "no jokes about names", das hatten wir neulich schon mal, aber ist Sylta Fee Wegmann etwa nach der Insel benannt?? Ich glaube, es wird Zeit für eine neue Rubrik: "Tatort-Nebendarsteller mit albernen Vornamen".
Klischiert oder nicht: Ich habe wg. Elisabeth Orths Darstellung der Elisabeth Aumeister mehrfach Tränenflüssigkeit entwickelt. Großes Kino, für das Sie keine Erwähnung übrig haben?
Und: Der Herr Wachtveitl, vor dessen Umsetzung dieses Konflikts ich bisschen Schisschen hatte, hat m.E. sehr gut gspuit. I hob ihm dös ois klaupt.
Und er ist genauso alt wie seine Rolle, also wenn DAS nicht total realistisch ist!
eben, macht nichts. das mit dirk und bruder und so war mir neu. und wenn man auf die geburtsdaten guckt, der eine jan 1961, der andere nov 1961, ist auch eher selten
wird beobachtet, das neulich war: talessa allegra scheithauer. es kommt was auf uns zu
um realismus geht's doch gar nicht, sonst jeder nach seiner facon, wie der bayer sagt
wäre ich nicht über den "Scherbenhaufen" gestolpert, hätte ich diesen meister tatort an langeweile glatt vergessen und dabei habe ich den gesehen, obwohl ich mich kaum daran erinnern kann.
wie auch immer. einen kernsatz muss ich mal loswerden. das spannenste am freitag ist der dell kommentar vom sonntags tatort.
das diesmal beides völlig uninteressant war liegt am ort - nicht am tag.