Polizeiruf Kinderquatsch mit Leander Haußmann: Der Münchner "Polizeiruf: Kinderparadies" delektiert sich schön an Helikopter-Eltern und überzeugt vor allem durch seriöses Dooftun
Unter Theaterkritikern ist es einfacher, Theaterschauspieler wiederzuerkennen, wenn sie im deutschen Fernsehen auftauchen. Wenn Theaterschauspieler im Tatort auftauchen, liegt die Vermutung nahe, dass sie Täter spielen – schon weil die Kommissare immer die gleichen sind (nicht selten: auch Theaterschauspieler). Spezifizieren könnte man die Guest-Star-Regel (Es war immer der Theaterstar) vielleicht bei Leander Haußmann: Bei dem beliebten CDU-Wähler spielt nämlich die eigene Gattin (Annika Kuhl) immer eine Rolle und die expliziteste ist nun mal die der Mörderin.
Noch gilt diese Regel ohne Ausnahme, Haußmann hat nämlich mit Kinderparadies seinen ersten Polizeiruf aka Sonntagabendkrimi gedreht. Und zeigt damit, worin der Reiz einer so heterogenen Re
ilt diese Regel ohne Ausnahme, Haußmann hat nämlich mit Kinderparadies seinen ersten Polizeiruf aka Sonntagabendkrimi gedreht. Und zeigt damit, worin der Reiz einer so heterogenen Reihe wie dem des Polizeiruf/Tatort liegen kann: Dass man das immer gleiche variiert durch interessante Regie/Buch-Besetzungen, wie sie in der Theaterszene gang und gäbe sind. Man muss sich den Tatort als den Ring vorstellen, nur dass die ARD eben öfter sendet als Bayreuth festspielt. (Muss mal die Programmierer fragen, ob wir so – fasten your seat belt, Edda Moser! – voting tools auf der Freitag site zu launchen im Stande sind, dann könnten wir an dieser Stelle ein totalgeschmäcklerisches Insiderquizspiel im Geiste dieser Analogie durchziehen: Wer ist der Patrice Chéreau der Tatort-History, welche Folge der Jahrhundert-Tatort?)Haußmann ist ein Spaßvogel, der Lust hat auch am Quatsch. Er schießt sich in Kinderparadies einmal durchs Format, und dafür darf sich im Interview auch imprägnieren gegen eventuelles Gemaule: "Noch nie hat man vom Feuilleton so wenig Hilfe bekommen wie heute. Man kümmert sich lieber um Hangover 3. Das ist zum Kotzen." Haußmann mag ein Punkt haben, dass die Fernsehkritik ihren Anteil trägt an der durchschnittlichsten Supermediokrität des deutschen Fernsehfilms, weil sie den Diskurs anheizen, die Macher herausfordern, die Strukturen aufdecken und den Zuschauer reizen sollte.Angst macht nur KarriereAber das main issue des deutschen Fernsehfilms bleibt naturgemäß die große Zahl an Verantwortlichen, die sich ästhetisch uninformiert vor so was Absurdem wie einer Quote oder drüber liegenden Führungsetagen in die Hose machen. Ist deshalb bemerkenswert, dass Haußmann Dr. Cornelia Ackers in dem FAZ-Gespräch ausnimmt. Man merkt dem Münchner Polizeiruf an, dass sich Mühe gemacht wird.Wenn auch nicht alles süpertop wird. Kinderparadies nach dem Buch von Daniel Nocke, der es irgendwie immer mit den schwierigen Kindern von 1968 hat, wie die geschätzte Katrin Schuster einmal so oder so ähnlich bemerkte, nimmt es mit den Helikopter-Eltern nowadays auf – mitunter auf schön stullige Weise. Wie etwa Anger-Achim (Johannes Zeiler) seine Puppen vorführt, die er aus therapeutischen Gründen bastelt, ist hübsch. Oder auch: "Valeska hat einen Allergieschock gehabt, das hat sie manchmal, sie verträgt die Sojamilch nicht, die ist für die Kinder mit Milcheiweißunverträglichkeit", und das dann in so einer ernsten Aufgeregtheit.Haußmann ist überhaupt am besten im seriösen Dooftun deutlich unter der Knallchargen-Grenze: Steffi Kühnert als Frau Walter vom Jugendamt ("Ich bin nicht versichert") ist eine Schau und eine Wiedergängerin von Uwe Dag Berlins Schallplattenverkäufer aus Sonnenallee, der den staunenden, Geschmack erst entwickelnden Jugendlichen immer seine Totalcheckerkompetenz unter diese Nase reiben musste. Frau Walter, mit der Marvellous Meuffels die besten Dialoge hat ("Frau Walter" – "Ich meinte das medizinisch"), übersetzt diese unkommunikative Bescheidwissen in eine herrliche Behördentante, die eben nur Gefahr sehen kann (die Heliumflasche, der Besteckkasten), weil das ihr Job ist: "Ich werde mich mit dieser Einrichtung noch befassen müssen."Testosteronüberschuss am StartBrandt haucht sich diesmal stärker noch als sonst durch die Folge, er macht den Kinderquatsch mit, wenn er etwa immer auf dieser "Wut" insistiert, die die Täterin getrieben muss, und die dann schön repetitiv stehenbleibt, diese Wut. Oder auch, köstliche Szene, dieses maximalstsubtilsachliche Sherlock-Holmes-Gespiele mit der Riesenlupe am Kind: "Da hat aber was ganz schön zugebissen", wobei das "was" instead of "wer" den Ton zur Musik macht. Danach wird noch "Heile, heile Gänschen" gesungen.Nicht süpertop ist Kinderparadies, wo sich Haußmann selbst zu gut gefällt. Dass er sich als Erwin-Kollege ans Telefon schalten und seine Hauptfigur "mein Hase" nennen muss, ist so ein leicht unangenehmes Kumpelgetue, das schon bei Hai-Alarm am Müggelsee einiges getrübt hat, weil Haußmann und Buddy Sven Regener (der hier u.a. an der Musik mitgemacht hat) da dauernd im Bild rumstanden. Das Testosteron, an dem es den weaken Männer im Kindergarten mangelt, hat Haußmann im Überschuss. Meuffels ist doch eine smarte, lässige Erscheinung, den braucht man, wie im Supermarkt, nicht erst so billig gegen irgendwelche Regelpuper rauszuhauen als Individualisten (das ist was für Ödenthals und Flückigers). Und dass, wo Kinder sind, sie auch abhauen müssen, würde sich ein Sonntagabendkrimi der HC-Wertung kneifen.Ein wenig Totalchecker ist Haußmann, wo er Musik (Bob Dylan) und Literatur (Shakespeare) doziert, wobei die Musik (Richard Pappik, Maike Rosa Vogel, Regener) was hat, für Stimmung sorgt. Dass Brandt dann seine eigene Geschichte mit dem Papa im Fernsehen statt zuhause einflechten darf, hätte man sich vielleicht für eine Folge aufheben können, die das nötiger hätte oder enger führen würde. Der Zuschauer wird sich über den Aha-Effekt freuen.Aber, aber, im ganzen kann man Haußmann nur beipflichten: "Jetzt haben wir mal wieder einen umstrittenen Polizeiruf, der anders und zügiger erzählt wird und vielleicht mal ein wenig in der Mitte hängt. Ja und? Ich mag den sehr und viele meiner Freunde auch."Eine Frage, die komischerweise selten von Sympathieträgern mit Ja beantwortet wird: "Sind Sie reich?"Eine Auskunft, die an vielen Arbeitsplätzen nur Metapher ist: "Das ist nicht der erste Kindergarten, in dem ich arbeite"Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Sie sollten ihre Therapie wieder aufnehmen"
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