Der Skandal ist medial betrachtet auch nur Routine. Eine Übung, die immer wieder absolviert werden muss, eine Kategorie, die der Empörung sagt, wo sie ansetzen kann, ein Begriff für eine etwas hochtourigere Kritik an gewissem Fehlverhalten. Das Skandalöse am Skandal hat es darüber mitunter schwer, gebührend wahrgenommen zu werden.
Das lässt sich etwa an all den Videos zeigen, die seit dem Zusammenschlagen von Rodney King 1992 weiße Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA dokumentieren. Eines der jüngsten Beispiele war der Film, den Lavish Reynolds kürzlich auf Facebook streamte und der in vieler Hinsicht als skandalös diskutiert werden kann – dass in ihm Reynolds’ Mann, von Schüssen eines Polizisten vor dem Fenster getr
on Schüssen eines Polizisten vor dem Fenster getroffen, verblutet, dass die Tochter der beiden auf der Rückbank sitzt, oder vielleicht doch am ehesten: dass es als günstige Entscheidung in der völlig übertriebenen Situation erscheinen muss, zum Schutz vor Repression durch die Staatsgewalt zur Kamera zu greifen, statt nach medizinischer Hilfe zu rufen beziehungsweise nicht erst von einem Gesetzeshüter umgebracht zu werden wegen nichts.Routiniert am Skandal, den solche Bilder dokumentieren, ist, dass sie nicht einer idealistischen journalistischen Logik entsprechend zur sofortigen Beendigung des Skandalösen führen (Entwaffnung der USA, Deeskalation der Polizisten), sondern lediglich neuen Stoff in den besinnungslos laufenden Nachrichtenstrom eines ausdifferenzierten Medienbusiness einspeisen.Sender-Empfänger-BeziehungEine „Skandalfilm“-Reihe ist in diesem Sommer in Frankfurt/Main zu sehen. Das dortige Filmkollektiv programmiert bis Ende August 16 Beiträge, von denen 15 als analoge Filmkopien zu sehen sein werden, weil sie eher ein historisches Verständnis des Begriffs bedienen: Tod Brownings Außenseiterfilm Freaks von 1932, Richard Oswalds Anders als die Andern von 1919, der als frühester Film über Homosexualität gilt, oder auch Der lachende Mann von 1966, worin Walter Heynowski und Gerhard Scheumann einem „Kongo-Müller“ genannten Söldner ordentlich Alkohol ausschenkten, um ihn zum zynischen Reden zu bringen.Skandalös im aktuellen Sinne ist der jüngste Film der Reihe: Salafistes von François Margolin und Lemine Ould Salem. Die nur 70-minütige Dokumentation kam Anfang des Jahres in die französischen Kinos, begleitet von einer ziemlichen Kontroverse, zu der auch die Heraufsetzung der Altersfreigabe auf 18 Jahre gehörte. Claude Lanzmann war der prominenteste Fürsprecher des Films, wobei sein Urteil („Meisterwerk“) sich weniger einer Kunstauffassung denn politischen Überzeugungen verdanken dürfte.Denn die spielen bei der Diskussion von Salafistes eine Rolle. Der Film zeigt unkommentiert Interviews mit Islamisten aus verschiedenen afrikanischen Kontexten (Mali, Mauretanien, Tunesien) sowie grausames Footage-Material: Einmal kann man sehen, wie ein Mann ausgepeitscht, ein anderes Mal, grobpixelig, wie einem Dieb die rechte Hand abgeschnitten wird. Um solche Bilder präsentieren zu können, greift Salafistes immer wieder auf Propagandavideos des IS zurück.Dem Film hat das den Vowurf eingebracht, er sei, gerade für jugendliche Zuschauer, von dieser Propaganda nicht zu unterscheiden. Eine Kritik, die die Macher auch mit dem Hinweis gekontert haben, dass es darum gehe, etwas sichtbar zu machen, was in der Diskussion angeblich verdrängt werde. Einig sind sich diese beiden Argumente nur in ihrem gleich simplen Verständnis der Sender-Empfänger-Beziehung beim Filmegucken. Denn die Vorstellung, dem IS mit den Mitteln einer Vulgäraufklärung beikommen zu können (Das sind die Bösen!), ist ebenso naiv wie die Annahme, dass Bilder durch pädagogisch wertvolle Disclaimer automatisch vor Missbrauch geschützt wären.Problemlos anschlussfähig„Der Film wird schockieren, aber wir glauben, dass das notwendig ist“, schreiben die Regisseure auf dem ersten Insert. Ist es nicht, denn die drastisch ausgestellte Gewalt vermittelt eben nicht jenen als heilsam gedachten Schock, nun endlich begriffen zu haben, worum es sich beim radikalen Islamismus handelt. Das Problem des Films ist nicht, dass er als Werbung für den IS genommen werden kann, sondern dass er so platt erzählt. Salafistes arbeitet damit einer Paranoia zu, einer billigen Erregung, die gerade nicht geeignet ist, Verständnis von etwas angeblich Ungewusstem zu vermitteln. Die gewaltsamen Elemente, denen der Film sich in Ermangelung einer Idee am Ende noch einmal überlässt, das Geballer aus dem fahrenden Auto auf andere Autos – das alles sind Kinobilder, die den Konventionen von Horror und Action folgen, und, zynisch gesagt, Unterhaltung statt Aufklärung bieten.Dabei ist das Interviewmaterial, das den größten Teil des Films ausmacht, durchaus aufschlussreich, auch wenn es ohne Interesse an einem größeren Zusammenhang, an Hintergründen oder Unterschieden der verschiedenen Gruppierungen aneinandergeschnitten ist; man wünschte sich, Romuald Karmakar hätte das arrangiert. Denn in den redundanten, hermetischen Erzählungen scheint die Monstrosität wie die Lächerlichkeit der Islamisten gleichermaßen auf. Mal wirkt es wie im Kindergarten (Wer hat denn angefangen?), mal sind die Äußerungen der Anführer und Geistigen problemlos anschlussfähig an das Weltbild, das hiesige Rechtspopulisten gerade gegen den Islam propagieren; etwa wenn es um Frauen oder Homosexualität geht.Placeholder infobox-1
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