Kohle, Kohle, nochmals Kohle!

Polizeiruf 110 Hoffentlich macht das die Bundesliga nächste Woche besser: Der Start der neuen Sonntagskrimi-Saison fällt dank des Hallenser Polizeiruf "Risiko" mau aus

Wolln mer ma su sache, wie es in Köln unnachahmlicherweise heißt: Der Saisonauftakt beim Sonntagabendkrimi hätte aufregender daher kommen können. In der Spur: das Hallenser Polizeiruf-Team, zu dem zuletzt Oberkommissarin Nora Lindner (Isabell Gerschke) gestoßen war, um der grassierenden onkelhaften Altherrenräudigkeit von Herbert (Schmücke = Jaecki Schwarz) und Herbert (Schneider = Wolfgang Winkler) Einhalt zu gebieten. Tatsächlich ist die Onkelhaftigkeit gar nicht so sehr ein Problem, zumindest nicht unser Problem, führt sie doch die Weltferne der beiden rundlich gewordenen Präpensionäre auf schöne Weise ad absurdum – wenn sie, wie auch in dieser Folge, vor der Tür von Verdächtigen (hier: Finanzhai Funke) auftauchen und drollige Witze machen.

Die Verjüngung durch Frau Lindner findet dagegen mit dem Dampfhammer statt: Die fahrradfahrende Ermittlerin führt alle Diskurse ein, die eine jüngere, bürgerliche Schicht umtreiben (vegetarische Ernährung, modernes Frauenbild, körperliche Ertüchtigung). Der Sexismus, dessen sich Nora Lindner erwehren muss, wird sogleich zum Motiv der Folge mit dem wieder einmal grandios prägnanten Titel "Risiko": Es herrscht nämlich Streit zwischen ihr und Schmücke darüber, ob die Kleidung, in der die tote Nadine in einem von der ruhmreichen Sowjetarmee verlassenen und von Fledermäusen in Beschlag genommenen Harzer Stollen gefunden wurde, Arbeitsuniform einer Sexarbeiterin oder Ausdruck weiblichen Körperwohlgefühls ist.

So interessant und unmoralisch die Transformation des Sexarbeiterinnen-Styles in den Alltagsgebrauch nachwachsender Generationen zu beobachten ist – wir würden uns in diesem Fall auf die Seite Schmückes schlagen: Pinker BH, Leopardenjacke und Hot Pants sind für den Geschmack eines jungen Mädchens einfach zu plump, weil jedes dieser Kleidungsstücke Superzeichen einer auf die schlichteste Form männlichen Begehrens ausgerichteten Mode ist – und in dieser Kombination keine Spuren von persönlicher Aneignung erkennen lässt. Reproduktion statt Zitat – und am Ende behält Schmücke ja auch recht, obwohl uns, ohne tiefere Kenntnis über die Hermetik eines solchen sexuellen Fetischs, etwas irritiert, dass der geile Banker Kanellas (Stephan Grossmann) eher auf teenagerhafte Schulmädchen zu stehen scheint und dann bei dem ungleich erwachseneren Sexarbeiterinnen-Style so abgeht.

Das war nicht das einzige Moment von Verwunderung: Wie die noch lebende Nadine schließlich in den Stollen kam, haben wir bis zum Schluss nicht kapiert. Hat Finanzhai Funke (Hannes Hellmann), der allein bei seinem Alibi im neuen Szenehotspot "Bandini" saß, seinen Tennispartner (in Halle beliebtes Zeichen von Wohlstand), per Handy zu dem entlegenen Harzer Stollen dirigiert, von dem er, Funke, aufgrund seiner Fledermauspassion wusste? Und warum spricht er dann davon, das Schloss nicht aufbohren zu müssen, wenn er einen Schlüssel kriegen könne, wenn er doch nicht dabei gewesen ist? Und warum ist Funke überhaupt so blöd, seine Fledermauspassion im eigenen Haus so deutlich auszustellen, wo er doch hätte wissen können, dass die Polizei sich fragt, wer von dem entlegenen Stollen hätte wissen können?

Die Krise kommt

Anyway. Auf der Ebene gesellschaftlicher Problemlagen wagt "Risiko" einen kühnen Dreischritt: Finanzdienstleistungsbeschiss, jugendliches Rebellentum und die zeitlosen Fragen von Freundschaft, das alles auf engstem Raum der gymnasialen Troika Nadine-Patrick-Daniel, deren Verbundenheit die völlig verschiedenen Wohnverhältnisse nichts anhaben können (verschuldetes Vorstadthaus, dicke Innenstadtvilla, unsanierter Plattenbau). Wenn die Finanzkrise noch weitere solche Fälle produziert, hätten wir auch gut auf sie verzichten können. Genauso wie auf kitschig inszenierte Bilder sentimentaler Jugendfreundschaften.

Ein Fall für das Jugendamt: Funke gießt seinem minderjährigen Sohn Patrick lässig einen Whisky ein.

Hat uns die innere Stimme auch mal gesagt: "Herbert, du musst dich opfern und was fürs Betriebsklima tun."

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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