Kunstkritik wird in Frankreich auf dem Silbertablett serviert. Der Begriff, den die Franzosen von kulturellen Leistungen haben, entspricht dem Stadtbild von Paris: seit über hundert Jahren nahezu unverändert. Und so assistiert die Kritik auch am liebsten staatstragend, allem, was groß heißt, wird devoter Respekt entboten.
Unter diesen Vorzeichen ist die Existenz einer werktäglichen Kultursendung wie Rive Droite, Rive Gauche zumal auf dem Privatsender Paris Première um so erstaunlicher. Man muss sich RDRG im Konzept ähnlich wie das Literarische Quartett vorstellen: Ein Moderator und vier Kritiker sowie zahlreiche Gäste. Praktisch funktioniert die Sendung aber wie ein Komödienstadl. Wollte das Literarische Quartett per se nicht Unterhaltung sein, sondern ernsthaft über Bücher debattieren, so hat RDRG auf dem Weg zu einem leichteren Umgang mit Kultur einfach eine Station übersprungen und ist gleich in Amerika gelandet: Die offerierten Häppchen sind so klein, dass man sie bequem schmunzelnd schlucken kann.
Zu einem Großteil liegt das an dem Moderator der Sendung: Thierry Ardisson ist die Bildschirmpräsenz betreffend der französische Günther Jauch. Was zu dem Paradox führt, dass Ardisson sowohl an der Spitze als auch am Ende einer Liste auftauchen kann, die das Pariser Stadtmagazin Nova unlängst veröffentlichte: Die "Kultursendung" RDRG gilt als Teil eines idealen Fernsehprogramms, die Spätsamstagabend-Show Tout le monde en parle dagegen als Albtraum. Dabei verdankt Ardisson letzterer sein Image als Superstar des französischen Fernsehens. Zu den herausragenden Ereignissen dieser Sendung - einem Format mit Niveau auf Stammtischhöhe - gehört neben idiotischen Spielchen und schlüpfrigen Fragen die Küsschen-Küsschen-Begrüßung der beiden Assistenten, von denen sich eine kürzlich für den französischen Playboy fotografieren ließ.
Dass Ardissons Popularität aber nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich sein kann, hat der Journalist Renaud Revel in einem Artikel für den L´Express gezeigt. Im Streit um die Machenschaften der Model-Agentur Elite, der eine BBC-Reportage sexuellen Missbrauch von Nachwuchsmodels vorwarf, hat Ardisson gleich zweimal einen höchst zweifelhaften Zeugen zu Wort kommen lassen: einen undurchsichtigen Geschäftsmann, mit dem Elite die Zusammenarbeit abgebrochen hatte. Einen faden Beigeschmack bekommt Ardissons Gästewahl, wenn man weiß, dass es dem Moderator genauso ging. Ursprünglich mit der künstlerischen Leitung eines Elite-Castings betreut, löste die Agentur den Vertrag wegen zu hoher Kosten wieder auf. Wenig später folgten die beiden Sendungen.
Um Thierry Ardisson unsympathisch zu finden, reicht schon ein Blick in sein Gesicht. Sein Lächeln ist das eines Autohändlers, dem man keinen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Was einen solchen Menschen geeignet erscheinen lässt, geistvoll über Kultur zu sprechen, ist eine der Fragen, die man sich beim Sehen von RDRG stellen kann. Ob hier überhaupt geistvoll über Kultur gesprochen werden soll, eine andere. Zwar hat der 53-jährige Royalist und Katholik, der für den Playboy genauso wie für die Literaturzeitschrift Les nouvelles littéraires gearbeitet hat, mehrere Bücher veröffentlicht - Schickeria-Romane und Zeitgeist-Sachbücher - aber spätestens Benjamin von Stuckrad-Barre zeigt, dass ein Buch nicht zwingend Literatur enthalten muss.
RDRG mit Thierry Ardisson funktioniert ungefähr so, wie man sich das ZDF-Nachtstudio vorstellen müsste, wenn Volker Panzer durch Pilawa/Kerner/Pflaume ersetzt würde: Punk oder affirmative Verneinung des Gegenstandes. Auf der Metaebene kann man sich durchaus darüber amüsieren, dass das Zwiegespräch mit einem wichtigen Gast, quasi die Alexander-Kluge-Rubrik, von Ardisson selbst geführt wird. Denn das Zwiegespräch ist kein Dialog, sondern eine Art "Das ist ihr Leben", bei dem Ardisson in Windeseile die Biographien seiner Gegenüber - Filmemacher, Theaterregisseure, Philosophen - von riesigen Karten abliest. Der sogenannte Gesprächspartner kann manchmal noch ein "Ja, so war es" einfügen. Mit Witzchen und seinem markentypischen schmierigen Lächeln versucht Ardisson trotz alledem die Sympathie des Gastes zu gewinnen.
Darum bemüht sich Frédéric Beigbeder nicht immer. Beigbeder, der durch seinen Roman 99 Francs für Aufsehen sorgte, ist einer der vier ständigen Gäste von Ardisson. Außerdem betreibt er eine Literatursendung auf dem gleichen Sender, in der sich Debütanten ihre Noten direkt beim Kritiker abholen können, und wo es opportun ist, über dem kranken Albert Cossery "Bruce Lee" einzublenden, wenn der des Sprechens fast unfähige Autor gestikulierend auf eine Frage antwortet. In RDRG begrüßte Beigbeder die Prix Goncourt-Gewinnerin Martine Le Coz mit den Worten "Ich habe ihr Buch nicht gelesen". Das scheint eine Voraussetzung der Beigbeder´schen Literaturkritik zu sein. Unter dem Stapel der Neuerscheinungen, auf die er in einer der ersten Sendungen des neuen Jahres hinwies, befanden sich ebenfalls ungelesene - als Kriterium bleibt immer noch die Seitenzahl.
Neben Beigbeder sitzt Patrice Carmouze, der die Sendung konzipiert hat und deshalb den Garant ihres intellektuellen Gehalts abgibt, vermutlich genau deswegen aber am wenigsten sagt. Ihm gegenüber ist der Platz von Elisabeth Quin, die ihre Filmkritik mit jenem französischen Pathos vorträgt, das durch die Inszenierung von RDRG permanent torpediert wird. Die Rolle des Narren bleibt dem Nestor der Runde vorbehalten. Der konservative Theaterkritiker Philippe Tesson fällt deshalb aus dem Rahmen, weil er der einzige ist, der ernst meint, was er äußert. Aus diesem Grund wird jeden Montag ein Kollege auf ihn losgelassen, dessen Defätismus nur dazu dient, Tesson in einen rhetorischen Rauschzustand zu versetzen.
Zu sich selbst kommt RDRG in den Momenten jenseits des Gesagten. Wenn sich der erkältete Ardisson Hustenspray einhaucht, wenn man feststellt, das an der Brille von Carmouze ein Bügel fehlt, wenn Tesson in einem Buch blättert, während der neue Song von Michael Jackson eingespielt wird, wenn Elisabeth Quin auf dem Schoß von Beigbeder Platz nimmt, weil zu viele Gäste anwesend sind. Dann kann man sich sicher sein, dass Kunstkritik nicht mehr auf dem Silbertablett stattfindet. Sie ist durch dasselbe ersetzt worden.
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