Kundus in drei Wochen

Tatort Schon auch Pampe, halb und halb: Bremen versucht sich mit "Puppenspieler" an großem Politkrimi, inspired by NSU, wird aber seine doofe Fernsehmoral einfach nicht los

So schnell kann's gehen: Letzte Woche noch Mutmaßungen über die ETA (Estimated Time of Arrival) von "NSU" am Sonntagabend, und zack, isses passiert, sagt ausgerechnet Tante Lürsen (Sabine Postel) die drei Buchstaben erstmals live im Tatort. Dass in diesem Kontext tatsächlich noch von "Döner-Morden" die Rede ist, verstehe, wer will (Wahrscheinlich das Äquivalent zu: "Ausbildung von Polizisten in der Dritten Welt"). Wir so: don't. Beziehungsweise: voll nich'. Ausgerechnet, weil Tante Lürsen damit natürlich einen pampigen Aufklärungsfuror verbindet als Knopfdruck-Empörungsmaschine, die sie sein soll schon wegen ihrer Vergangenheit. Dabei ist Empörung auf Knopfdruck naturgemäß das, was in nämlichen Zusammenhängen am wenigsten zu gebrauchen ist.

Die Vergangenheit von Tante Lürsen führt sie, also Tante Lürsen, wiederum ins Zentrum der Geschichte, wie man an der establishenden Kamerakranfahrt zu Beginn sehen kann. Downtown Bremen wird vorgezeigt, und in einem Aufwasch kommt die Protagonistin vons Ganze im Problem vons Ganze an, wo extra ein Platz für sie freigehalten worden ist: die immer noch demonstrierende Kommissarin im Feld der Umweltaktivisten, die eine Weservertiefung verhindern wollen.

Zyniker würden sagen, besseres Skandiergut könnte helfen ("We-ser-ver-tie-fung/nicht mit uns"). Dass Tante Lürsen in gewisser Weise embedded ist, also durch ihr Mitmach-Engagement bei den Wesernichtvertiefern der einen Seite zugeneigt, tut dem Tatort: Puppenspieler derweil nit jod: Es macht nämlich blind für das Erpresserinteresse, das die Demonstranten in der Auseinandersetzung haben könnten. Wobei das eine sehr menschlich-empathische Lesart der Geschichte wäre. Richtiger ist wohl: Puppenspieler ignoriert diese Spur komplett, weil sie ihm nicht in den Kram passt beziehungsweise den Kram, der da ist, zerkloppen würde. Das Nicht-Ermitteln in diese Richtung wirkt wie das Bauteil, das noch rumliegt, wenn das Haus doch schon steht.

Betriebsausflugsausschuss

Puppenspieler ist ein Tatort von größter Mittelmäßigkeit. Alles so halb, und es macht einen schier wahnsinnig, wie wieder und wieder nicht uninteressante Ansätze verschlumpumpert werden. Denn es ist ungemein begrüßenswert, dass ein Fall gewollt wird, der ein paar Schnitte Berlin verträgt und in dem ab und zu Leipzig gesagt wird, dass es also über Bremen hinaus um Politik und anhängende Sauereien gehen soll. Aber dann ist da diese merkwürdige Verwaltungsgerichtsrichterkaffeefahrt, die sich dem demonstrierenden Volk präsentiert, als buhle sie um das Heidi-Foto, das bei Germany's next Topfmodel zum Weiterkommen reicht, oder auch nur um die kommende Karnevalsregentschaft. Die Bootssause auf der Weser sieht dann vollends aus wie Betriebsausflug, kurz: die Darstellung dieses Teils demokratischen Handelns ist dermaßen lächerlich, dass man dem Tatort nichts mehr glauben will.

Und so geht’s leider dauernd. Da wendet Jeltschs Autorenfantasie den Phantom-von-Heilbronn-Fall (der Holzweg der Verpackerinnen-DNA) als kurzzeitige Binnenerzählung der NSU-Geschichte nicht unoriginell ins Staatsschützende: dass da so ein mobiles Einsatzkommando unterwegs wäre und die Schweinereien so perfekt beginge, dass sie nicht mehr als die Auftragsmorde erkannt werden können, um die es sich handelt. Und dann wird ein solcher höchstkorrupter, totalgeheimer Laden auseinandergenommen von: Tante Lürsen и своя её команда. Das glaubt doch kein Mensch im richtigen Leben, da müssten doch andere Kräfte wirken beziehungsweise andere Formen des Endes erzählt werden als dieser empörte Überlegenheitskrawall von einer kleinen Nummer like Tante Lürsen.

Bremen vermisst also den Abstand zwischen Wollen und Können in .de. Der ist groß, und dass er schon mal kleiner war, kann man in der Szene merken, in der Borderlining Mel (Jella Haasse) am Fähren-Kai auf ihren Lover Ole (Sven Gielnik) wartet, der noch fix das Geld vom Richterswinigel Bauser (Christoph M. Ohrt) erpressen wollte mit Helens Homevideos. (Auch total albern: Wie geil und naiv muss man sein, mit der Sexarbeiterin rumzumachen, die ohne, dass man sie selbst bestellt oder bezahlt hat, im eigenen Hotelzimmer rumliegt?) Denn da weiß man als Zuschauer mehr als Mel – dass die Übergabe, äh, nicht geklappt hat und dass der Mörder, der sich für einen "Proffi" (Ottmar Hitzfeld) erstaunlich dämlich anstellt, on the way ist.

Schülerspeisungsnachschlag

Das sind, liebe Krimimacher, Momente, in denen Spannung entsteht, easy und wirkungsvoll, und man wird ganz wehmütig, wenn man eben daran denkt, was der große Spannungshandwerker Herbert Lichtenfeld, der "dereinst" (T. M.) die Kiel-Folgen mit Great Kommissar Finke geschrieben hat, aus so einer Situation gemacht hätte, überhaupt aus dieser ganzen Überkodierung des einen Ereignisses (Bausers Swinigelei) mit verschiedenen Erpressungsversuchen und Unterdrucksetzungsmotiven. Bei Jeltsch und Regisseur Florian Baxmeyer entkommt dann das Girl Mel dem Killer durch einen Schnitt aufs Dach von der Fähre. So lausig kann man sich aus der Affäre ziehen, die doch das Hauptgeschäft eines Kriminalfilms sein könnte.

Was Puppenspieler an kriminalerzählerischer Raffinesse fehlt oder auch – wer nicht allein auf Spannung setzen mag – an politbetriebsinternem Hinter-die-Kulissen-Gegucke (was hätte eine "amerikanische Serie" über die Funktionsweisen von Vertuschung und Staatsräson gezeigt!), das wird an Moral draufgepampt in den Mengen des Schülerspeisungsnachschlags, also ordentlich. Wer will denn wissen, dass Melly Mel einen reichen, kaltherzigen Vater hat? Oder dass Stedefreund (Oliver Mommsen) irgendeine Beziehung zu Mel aufbauen muss, wenn's doch um seine Arbeit geht, und diese Beziehung dann darin resultiert, dass er das von Mel selbstgebastelte Plastikinsekt mit nach Afghanistan nehmen muss am Ende?

Stedefreund ist in dieser Folge generell problematisch, und damit meinen wir noch nicht mal die Frage, was der jetzt in Afghanistan soll oder warum er auf die Idee kommen könnte, da hin zu gehen. Der Walkman des toten Freunds verschafft dem Zuschauer zwar teuer-emocionale Popmusikerinnerungen an die sogenannten eighties. Dafür muss man diesen Midlife-Crisis-Kram aber ertragen, der in einer – wie oft haben wir jetzt schon darauf hingewiesen? – Reihe wie dem Tatort komplett sinnlos ist: Wer braucht irgendwelche News vom Gemütszustand Steadyfriends, wenn daraus eh nichts folgt fürs nächste oder übernächste Mal? Tatort-Kommissare entwickeln sich nicht weiter, sie sind Lesezeichen unseres Zurückkommens auf einen Schauplatz.

Halb und halb wie die ganze Folge ist dann auch die Neuverpflichtung von Leo Ulfanoff (Antoine Monot jr.), der das festgefahrene Verhältnis zwischen Tante Lürsen und Stedie lockern soll mit dem hottesten Shit der letzten Tatort-Innovationen: Lustigkeitsbelebung durch Conny-Mey-Direktheit ("Weil er so unfassbar liebenswürdig ist") und Münster-Striesow-Drolligkeit. Hat was, weil Monot jr. mitunter ganz hübsch schreit. Sieht aber auch aus wie das cheape Kalkül, das es ist. Man muss an die Simpsons-Folge mit Poogie denken. Ohne Not.

Ein Hinweis, der seinen Schirrmacher gelesen hat: "Spiel keine moralischen Ego-Spielchen"

Etwas, das man unbedingt sagen muss: "Schweigen ist falscher stolz"

Die Krisenversion des alten Richter-Besoldungsklassikers ("Ich bin R1, ich bleib R1, ich geh' um 1"): "Ich bin einer der höchsten deutschen Richter, ich will das bleiben und ich werde das bleiben"

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