Das Stadt-Land-Gefälle im deutschen Kino war lange ideologisch motiviert. Von den Anfängen als Bergfilm in den späten zwanziger Jahren bis zur Blüte des Heimatfilms in den westdeutschen Fünfzigern erschien das Land als unschuldiger Ort, an dem Natur sein durfte, was sie sollte: unverdorben. Darin lag zum einen die Flucht mit dem Zeigefinger vor den Zumutungen der sündigen Großstadt. Zum anderen diente das Unberührte bei Aufnahmen von Gipfel und See immer auch als Entschuldigung, scheinbar nicht am Politischen zu rühren. Was kann der schöne Berg dafür, dass an sein´m Fuße böse Menschen hausen? Das Ticket des Erhabenen wurde seinen Inszenatoren zum Persilschein der Verdrängung.
Dabei merkte etwa Siegfried Kracauer schon relativ früh zu dem Stichwort "Hochgebirgszauber" an: "Das Hochgebirge ist echt, der Zauber falsch." Den sich unschuldig gebenden Bildern war eine "unerträgliche" Rhetorik eingeschrieben, deren Standardargument die Bedrohung des Reinen, Guten, Unverfälschten durch die Übel der Moderne bildete. Noch heute zehren im deutschen Fernsehen alle Forsthaus-Serien und Heimatfilm-Remakes mit Christine Neubauer von diesem Konflikt: Ruchlose Geschäftemacher wollen mit neuer Technik der Natur an den Kragen, um dem Massentourismus zum Durchbruch zu verhelfen.
Im Kino sieht die Lage seit ein paar Jahren anders aus. Bedingt durch ein, Roman Herzog würde sagen, unverkrampfteres Verhältnis zum Deutschen, hat sich das Verhältnis zu Heimat und Land in gewisser Weise entspannt. Das ist weniger Folge eines reaktionären politischen Programms als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass "Deutschland", vermutlich gerade weil es so muffig roch, als Gegenstand eines popkulturellen Spiels mit den Zeichen wieder interessant geworden ist. Dieses Spiel ging nicht immer gut aus, wie so manche Modelinie in schwarz-rot-gold oder der Fernsehklamauk à la Bully und Kalkofe vorgeführt hat, der sich dumpf an Sissy, Winnetou oder den Edgar-Wallace-Verfilmungen abarbeitete.
In kleineren Produktionen aber ist eine schleichende Modernisierung der Heimat gelungen. Das Hirschgeweih, unter dem der junge Polizist Köpper (Bernd Michael Lade) in Detlev Bucks Karniggels (1991) trübsinnig hockt, bedeutet nichts anderes als das Unbehagen an der skurrilen Ödnis eines schleswig-holtsteinischen Nirgendwo, in die der junge Gesetzeshüter versetzt worden ist. Komik ist seitdem ein Mittel, von der Provinz im deutschen Kino zu erzählen, und sie rührt nicht selten aus der Kapitulation vor der Tristesse. In Filmen wie Lothar Baumgartens Befreite Zone oder Michael Schorrs Schultze gets the Blues (beide 2003) ging es nicht darum, das Land gegen die Stadt als eine Welt zu verteidigen, in der Natur und Mensch noch in Ordnung sind, sondern gerade um die gekonnte Übertreibung jener Kläglichkeit, die renaturalisierten und entvölkerten Landstrichen (Ost)Deutschlands eignet.
Einen anderen Weg sich "Heimat" anzunähern haben einige Filmer der so genannten "Berliner Schule" gefunden. Deren radikale Lakonik ist nicht nur filmästhetisch eine Reise zu den Rändern der Wahrnehmung, die Filme spielen auch häufig da. Valeska Grisebachs Sehnsucht erzählt eine zeitlose Dorfparabel in Brandenburg, in Ulrich Köhlers Montag kommen die Fenster (beide 2006) führt die Flucht einer jungen Ärztin vor dem geregelten Leben in den Harz. Der Beschwörung von "Heimat" entschlagen sich beide, in dem sie nicht die Motive von Naturpostkarten zeigen, sondern die Schönheit des Durchschnittlichen in Szene setzen. Für den Siebziger-Jahre-Hotelbetonkasten, in den sich Köhlers Protagonistin verirrt, hätte kein Heimatfilm die Baugenehmigung erteilt. In Montag kommen die Fenster erscheint gerade die früh vergreiste Modernität des Hotels als Ausweis einer traurigen Schönheit wie auch die Bilder in Grisebachs Film die standardisierten Zäune, Gartentore und Nachwendeneubauten nicht meiden, sondern zeigen.
So wie Montag kommen die Fenster das neue Hotel aus den Kindertagen des Regisseurs in das Bild vom Land einfügt, hat die Modernisierung auch vor den Beiträgen nicht haltgemacht, die noch oder wieder mit Begriff vom Heimatfilm assoziiert werden. Vor dem plumpen Zurück in einen auf Idylle getrimmten Urzustand Natur schützt die Ästhetik einer zweiten Erinnerung, die in die Landschaftsaufnahmen eingeschrieben wird. So lässt Marcus H. Rosenmüller in seiner Komödie Wer früher stirbt, ist länger tot (2006) die achtziger Jahre wieder aufleben, während Hans Steinbichler in Hierankl (2003) zwar Berg und Wald zeigt, wie sie Luis Trenker noch gekannt haben mag, die Natur aber durch seinen fragmentarischen Stil und die Gebrochenheit der Geschichte (Lug und Trug in der Familie) versehrt.
Schröders wunderbare Welt heißt nun Michael Schorrs jüngster Film, bei dem schon der Titel einen ironischen Kommentar auf das Paradiesische an der Heimat liefert. Der Film liest das Genre gleich zweimal gegen den Strich. Zum einen zeigt sich das dörfliche Leben im fiktiven sächsischen Tauchritz äußerlich auf der Höhe von Zeit und Welt. Frank Schröder (Peter Schneider) startet in den Tag mit Tai Chi, sein Vater, der Bürgermeister Theodor Schröder (Karl-Fred Müller) joggt sich die Pfunde von Mutters schwerer deutscher Küche - wenn auch widerwillig - vom Leib und baut nicht etwa eine Sauna, sondern einen Hamam ins eigene Haus ein. Zum anderen ist nicht nur das Dorf, sondern sind auch die umliegenden polnischen und tschechischen Gemeinden von Franks Idee zu begeistern, in der postindustriellen Brache des Braunkohletagebaus eine Freizeitlandschaft namens "Lagunenzauber" zu errichten, die ein per Hubschrauber anreisender amerikanischer Großwildjäger (Jürgen Prochnow) finanzieren will. Im gebeutelten deutschen Osten beißt der konservative Widerstand jeder Dorfgemeinschaft des westdeutschen Heimatfilms auf Granit, da selbst die Nazis mit dem Argument von Arbeitsplätzen und Blüte scheinbar zu disziplinieren sind. Nazis gibt es in Schröders wunderbare Welt auch, angeführt werden sie von Franks schlesienseligem Onkel Wigbert (Gerhard Olschewski), und meistens sind sie ein Witz wie der Wimpel in Onkel Wigberts Kleinbus: "Nicht hupen, Fahrer träumt von Schlesien".
Auf den ersten Blick scheint sich Schorr auf ein recht erfrischendes Spiel mit dem Klischees einzulassen. Aber je länger der Film dauert, desto deutlicher treten sie hervor: Die Ehefrauen-Figuren der Dreiländereck-Bürgermeister etwa sind allesamt dem Ulk des Herrenwitzes entstiegen, also entweder Drachen oder verwöhnt. Der Film, Buch und Regie: Schorr verheddert sich, weil die Entscheidung zwischen Komik und Lakonik nicht fallen will. Schon bei Schultze gets the Blues war zu beobachten, dass der Regisseur den Witz, den die Langsamkeit seines frühpensionierten Protagonisten erst zu entfalten suchte, am liebsten gleich verraten hätte. In Schröders wunderbare Welt geht es nun zwischen nahe liegendem Slapstick und sanfter Skurrilität so unentwegt hin und her, dass der Betrachter irgendwann das Interesse verliert. Der Film lacht sich selbst kaputt.
Überdies ist das Ost-West-Gefälle in Schröders wunderbare Welt ideologisch motiviert. Der Film wirkt wie ein Remake der Nachwende-Klamotte Go, Trabi, Go 2 von Wolfgang Büld und Reinhard Klooss (1992), in der der "Beutelgermane" Wolfgang Stumph im deindustrialisierten Sachsen ums wirtschaftliche Überleben kämpft, Nazi-Witzfiguren inklusive. Hilfe kommt auch hier aus Amerika, und dort darf man das Vorbild für den in Schröders wunderbare Welt im Film wieder unterworfenen Osten suchen: Als Frank zu Hause die Vorstellung beim amerikanischen Investor probt, kommt er auf die Formulierung: "I´m the Son of the Chief". Ich bin der Sohn des Häuptlings. Howgh.
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