Langer Marsch durch die Vegetationen

Medientagebuch Das waren die Grünen: Peter Lustig hört nach 25 Jahren mit "Löwenzahn" auf
Peter Lustig in seinem Element
Peter Lustig in seinem Element

Bild: Imago/Sven Simon

Die Umfragewerte der vergangenen Wochen werfen auf die Wahl am Sonntag ein diffuseres Licht, als es schien, nachdem Gerhard Schröder im Mai das mangelnde Vertrauen in seine Politik verkündet hatte. Welche Konstellation sich nach der Auszählung in Dresden I auch finden mag, sehr wahrscheinlich ist, dass die Grünen einer neuen Regierung nicht angehören werden. Dieser Umstand wird nach der Wahl genügend Anlass zur Analyse bieten, und das bevorstehende Ende der Ära Fischer den Blick schärfen für eine Zäsur, die dieses Ende bedeutet. Im 26. Jahr ihres Bestehens werden die Grünen vermutlich im wahren Alltag des politischen Geschäfts ankommen, wenn die Erfolgsgeschichte des langen Marschs durch die Institutionen um die Erfahrung eines Machtverlusts bereichert ist.

Man kann die Entwicklung der Grünen mit vielen Bildern beschreiben, anhand der Gesichter der Macht etwa, wie es die Fotografin Herlinde Koelbl am Beispiel Joschka Fischers vorgeführt hat. Oder anhand der Bilder, die im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind und in denen der Weg der Grünen vom Stricken an einer tatsächlichen Alternative in die Staatsraison des Dreiteilers führt.

Man kann aber auch Fernsehen schauen. Seit 25 Jahren läuft im ZDF die Kindersendung Löwenzahn mit Peter Lustig. Ein Magazin, das zur selben Zeit und aus dem selben Geist angetreten ist wie die Partei. Und das zur selben Zeit zu Ende gehen wird: Im Frühjahr hat Peter Lustig seinen Rücktritt angekündigt, der sich in Erinnerung an die vorzeitig beendete Legislaturperiode aber bis 2006 hinziehen wird. Solange will das ZDF Folgen aus dem Archiv senden, die tatsächliche Arbeit von Lustig wird aber einen Monat nach der Wahl in einem großen Geburtstagswochenende terminieren. Das ist ein Unterschied der Karrieren von Politik, wie wir sie kennen, und dem Fernsehen, wie man es einmal kannte.

Den zweiten, gravierenderen Unterschied zu den Grünen, der Löwenzahn zum Medium eines Eingedenkens prädestiniert, markiert die Tatsache, dass sich Löwenzahn in all den Jahren nicht verändert hat. Das lässt sich jedes Wochenende aufs Neue überprüfen, wenn ZDF und Kinderkanal alte und neue Folgen der Reihe munter durcheinander senden. Eine Glatze hatte Lustig früh, auch graue Haare, und so wirkt der Mann mit der Nickelbrille und der Latzhose auf eine eigentümliche Weise alterslos. Sein Gesicht ist wach, und von den sieben Operationen, die er seit 1985 wegen Lungenkrebses über sich ergehen hat lassen, erfährt man nur aus der Zeitung. Die Serie lief und lief und lief.

Löwenzahn ist ein Wissensmagazin für Kinder, das geboren wurde aus dem Geist der Ökologie und der Vorstellung einer Wirklichkeit außerhalb des Fernsehens. Wo das, was heute auf dem Bildschirm unter Wissen firmiert, erklärt, wie Tiefkühlpizza in die Tiefkühltruhe kommt, meint Peter Lustig mit Umwelt eine Gegend jenseits des Kaufhausregals. Für den idealtypischen Zuschauer von Löwenzahn ist der Fernseher kein Gerät, das wie ein Kühlschrank den ganzen Tag in Betrieb ist, sondern eine Form des Lernens, vergleichbar nur mit der Sendung mit der Maus. Bis heute beendet Lustig seine Abenteuer mit dem - in den Zeiten von Privatfernsehen und Zapping anachronistisch anmutenden - Hinweis: "Abschalten". Die Aufforderung ist nichts anderes als ein Aufruf zur Praxis. Das Kind, das vom Löwenzahn-Gucken auf den Spielplatz zurückkehrt, wird noch die mickrigste Brennnessel und den kleinsten Wurm mit anderen Augen betrachten.

Peter Lustig versöhnt in sich die beiden Seiten der grünen Medaille. Fundi ist er in seinem Verhältnis zur Natur, das noch dem letzten Unkraut seinen Platz im Kreislauf zuerkennt; Realo im pädagogischen Zugriff: Jede neue Folge nimmt ihren Ausgang von der fiktiven Lebenssituation Lustigs in einem Bauwagen im ebenfalls fiktiven Bärstadt. Als Opposition fungieren in dem begrenzten Horizont von Lustigs Mikropolitik die Nachbarn, die entweder Gründlich oder Paschulke heißen, und deren Gärten auch so aussehen. Die Ordnung der göttlichen Dinge ist bei Peter Lustig ein antiautoritäres Durcheinander, zu dem auch gehört, was die Gründlichs dieser Erde Schädling nennen oder Unkraut. Löwenzahn zum Beispiel.

Peter Lustig, der Dreher, Fräser und Elektromechaniker gelernt hat, kam in fünfziger Jahren zum Radio, später zum Fernsehen. Als Umwelterklärer für Kinder wurde er bei einer Tonprobe entdeckt, bei der er geduldig und ausführlich Anweisungen gab. Lustigs Art zu erzählen ist neben den Attraktionen von Abenteuern in der Großstadt einer der Hauptgründe für den Erfolg von Löwenzahn. Sein Reden ist ein unaufhörliches Gespräch mit sich selbst, in dem sich der naive Ton der rhetorischen Frage durchsetzt von vielen "Mms" und "Nas" mit dem bestimmten, aber ruhigen Ton der Erklärung mischt. Peter Lustig will nicht durch starke Worte überzeugen, sondern natürlich - in dem Sinne, dass der Zuschauer die Entwicklung des Gedankens nachvollziehen kann und für schlüssig halten muss.

Den wechselnden rhetorischen Posen des Joschka Fischer ist eine solche leise Form der Auflösung von Zweifeln fremd wie den meisten Berufspolitikern. Interessanterweise sind Paul Kirchhofs Ausführungen im Ton denen Lustig nicht unähnlich: Das deutsche Steuersystem muss man sich als einen Dschungel vorstellen, angesichts dessen der Laie zum Kind wird. Das Ende von Peter Lustig soll nicht das Ende von Löwenzahn bedeuten. Das ZDF sucht nach einem Nachfolger, was bei aller Sympathie für die Sendung eine Aufgabe ist, die nur scheitern kann. Es gibt nur einen Peter Lustig. Und der heißt übrigens wirklich so.

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