Wenn man häufiger Wörter benutzen muss, hat man Angst, dass einem irgendwann die Sprache ausgeht, dass man wie Reinhold "Beckes" Beckmann wird, der die Welt nur noch durch ein überschaubares Set an Abstraktionen wahrnehmen kann. Wann immer etwa eine Fußballmannschaft einen relativ niedrigen Altersdurchschnitt aufweist und erfolgreich ein paar Spiele bestritten hat, würde Beckmann standardisiert von "Jungen Wilden" sprechen (vielleicht noch von "Jugendstil", das ist genauso nichtssagend), und dabei wäre es dann ganz egal, ob die Mannschaft jetzt besonders "wild" ist – die Tatsache, dass sie "jung" ist, zieht in der Beckmann'schen Sprachverarmung das "Wilde" zwangsläufig nach sich. Das ist wie mit den Vorschlägen, die einem Google beim Suchen macht. Autovervollständigen.
Die prekäre rhetorische Figur des "Jungen Wilden" lässt sich im neuen Stuttgarter Tatort: Happy Birthday, Sarah besichtigen. Regisseur ist nämlich Oliver Kienle, Jahrgang 1982, aus der Gegend, Absolvent in Ludwigsburg. Kienle hat 2010 einen Film mit dem ungelenkem Titel Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung gedreht, der sich sehr für die Krassheit seiner Jugendlichen vor explizitem und weniger expliziterem Migrationshintergrund begeistern konnte. Ein "Junger Wilder".
Auf diesem Ticket reitet Kienle nun in die allerliebste Sonntagsabendkrimireihe ein, und man weiß nicht, ob man Herzlichen Glückwunsch sagen soll oder Gute Nacht. Denn die ambitionslos vor sich hin routinierenden SWR-Tatort-Folgen des produzierenden Monopolisten Maran Film (Geschäftsführung: Sabine Tettenborn, SWR-Redaktion: Brigitte Dithard, Manfred Hattendorf) sind kein Umfeld, in dem einem künstlerische Kategorien wie Konsequenz oder Wagemut begegnen könnten. Kienle kann hier also nur im Sinne Beckmanns ein "Junger Wilder" sein, das heißt jung, was sich daran zeigt, dass etwa die Hauptdarstellerin der titelgebenden Sarah (what a Name: Ruby O. Fee) während der Folge auf ihren 14. Geburtstag zusteuert.
Der Klaus-Haus-Lover
Das Drehbuch, für das Wolfgang Stauch verantwortlich zeichnet, hat daraus eine nicht uninteressante Idee abgeleitet: dass Sarah einen Mord gestehen kann, weil sie noch nicht strafmündig ist. Was man mit diesem Kniff hätte alles an Spannung und Thrill mobilisieren können, ist eine Frage, die sich der Zuschauer nur rhetorisch stellen kann. In dem moralisch aufgeheizten Umfeld eines deutschen Sonntagabendkrimis wäre die kalte Ökonomisierung einer solchen Idee – das Kind als Mordwerkzeug – schwer denkbar. Entsprechend lahm fällt der Showdown aus, bei dem Lonely Lannert (Richy Müller) auf dicke Hose machen und sich als Opfer anbieten kann, während der Klaus-Haus-Lover (Tobias Oertel) trotz countdownesken Umständen survived.
Die abgebrühtesten Zuschauer werden sagen, dass das doch Tatort ist, wie Tatort sein sollte: Nicht zu aufregend, einmal quer durch die Gesellschaft, was sich im Stuttgarter Talkessel immer besonders schön zeigen lässt, weil das Geld oben wohnt und die Krassheit, für die Kienle angestellt wird, unten – also etwa in der Figur Ronald Prager, die Antonio Wannek rudimentärgrammatisch spricht, die aber nie eine wirklicher Depp werden könnte. Das ist dann genauso ausgedacht wie dieser kunstsinnige Keilriemen-Erbe ("Schöllhammer, der Hammer unter den Keilriemen"), der zwar Geld aus der Stiftung abzieht, weil er sich mit "jungen wilden" Malern verspekuliert hat, die Prekärkinder aber trotzdem zum Baden in seinen Hauspool lädt, wo die ganze teure Kunst rumhängt und Lannert dann missmarplig durch die Villa tigern kann.
Auf die schwierigen Verhältnisse der Sozialarbeit heute wird ebenso hingewiesen wie auf die Existenz einer "Erbengeneration", die sich im Tatort Stuttgart quasi mit Visitenkarte als solche vorstellt. Der Zuschauer vor der Knipse soll es nicht zu schwer haben, weshalb das Autovervollständigen es bis zum Inszenierungsprinzip gebracht hat: Wenn etwa Busy Bootz (Felix Klare) mit seinen Kindern die neue Wohnung anmalt, dann weiß man schon, dass drei Bilder später sich alle lustig gegenseitig anmalen werden.
Die Wegorganisier-Dienstreisen-Logistik
Das Ende von Busy Bootz als Head of Familie in Zeiten von Ursula von der Leyens Gleichstellungspolicy ist sowieso das Schlimmste, was Stuttgart passieren konnte, weil dieses normale Privatleben das Aufregendste des ganzen Entwurfs war (aufregender jedenfalls als das Buddy-Getue zwischen Bootz und Lannert, der dem Kollegen beim Malern hilft und dann auch so, autovervollständigenmäßig, Bier fordert). Es hat wohl damit zu tun, dass die Darstellung der Mutterrolle undankbar ist: kurze Einsatzzeiten und für die Champions League-Spiele anderer Tatort-Schauplätze gesperrt.
Andererseits müsste sich doch auch hier eine Claudia Pizarro finden lassen, also jemanden, der auf der Bank nicht mehr murrt beziehungsweise noch nicht, sondern sich in den Dienst der Mannschaft stellt. So jedenfalls wird es jetzt diese unglaubwürdige Wegorganisier-Dienstreisen-Logistik geben, die in Hangover bei Furtholms Kind schon nervt. Und die auch Merkwürdigkeiten produziert, wie den gehörnten Bootz, der Brass schiebt auf seine Ex und ihren neuen Lover (bei dem man immer nicht versteht, was am Rollifahren zentral oder hinderlich für Bootzens Frust ist), dann aber nicht die Chance ergreift, den beiden einen einzuschenken, als die Kinder maulen am Telefon, sie wollten zu ihm.
Ist alles irgendwie egal. Wie der Umstand, dass die gewählte Musik (Stones, Prodigy, Aerosmith) eine Jugend illustriert, die sich geschichtsbewusst in den neunziger Jahren ereignet haben müsste. Oder wie diese dumpfen Überlegenheitsmoves von Lannert, der im Klaus-Haus mit den Boyz aus der Hood rangelt, und der Staatsanwältin (Caroline Vera), die mit einer Supererpressung beim Das-sagt-man-heute-"neudeutsch"-so-"Afterworkdrink" den Ex-Kommilitonen zur Herausgabe fallrelevanter Daten drängt – Smartness für die letzte Reihe.
Hübsch ist dagegen der nach 2001: Odyssee im Weltraum zweitgrößte Match Cut der, man muss es so sagen, Filmgeschichte, wenn Busy Bootz Problem-Sarah vom Herbst in den Winter ihres Problemwohnungsgebiets stalkt.
Ein Luxus, den sich der Landwirt nicht erlauben kann: "Wir haben hier eine Bullenallergie"
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Sind so seltsam unausgeglichen"
Eine Frage, die immer ihre Berechtigung hat: "Warum Freiburg?"
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