Der Tod eines Musterhauses wurde gleich am ersten Abend vermeldet. In Janec Müllers Poetniks, der Eröffnungsinszenierung des diesjährigen Theater- und Performance-Festivals Reich berühmt, trauern zeitgenössische Cowboys: "Dieses Haus existiert nicht mehr - es ist tot." Sie reden von der Zukunft eines imaginierten Musterhauses im thüringischen Gewerbegebiet Süßenborn. Aber es ist nicht auszuschließen, dass sie auch von der Zukunft des Hauses reden, in dem sie sich ganz real befinden: Dem Berliner Podewil, einem Musterhaus des experimentellen Bühnenwesens. Das Haus der jungen Talente in der Klosterstraße ist in den Sucher der städtischen Sparpolitik gerückt, die nicht anders als absurd zu nennen ist. Bei der Verabschiedung des
er Verabschiedung des Doppelhaushaltes für dieses und das kommende Jahr vor zwei Monaten hielt es Kultursenator Thomas Flierl (PDS) für eine gute Idee, seine Kürzungsvorgaben durch Einsparungen bei Podewil, dem Künstlerhaus Bethanien, dem Kino Arsenal und der Stiftung Deutsche Kinemathek zu erfüllen. 715.000 Euro sollten der Berliner Kulturveranstaltungs-GmbH (BKV), die Träger des Puppentheaters Schaubude, des Theater am Halleschen Ufer und des Podewil ist, gestrichen werden. Bei einem Gesamtetat von knapp über zwei Millionen Euro, von dem etwa die Hälfte auf das Podewil entfällt, käme die Kürzung einer Schließung gleich, weil die BKV allein bei den Programmmitteln (derzeit etwa 350.000 Euro) sparen könnte. Zurück bliebe ein Haus, das sich selbst verwaltet und die Betriebskosten abrechnet. Die leer gewordenen Räume sollten dem Museumspädagogischen Dienst zur Nutzung übergeben werden, der sein angemietetes Domizil in der Chausseestraße verlassen muss. Es ist schwer zu glauben, dass bei dieser Form der Sparpolitik die Vernunft mit am Tisch gesessen hat. Dass Flierl mit seiner Ankündigung, Kleinkultur zu stärken, gebrochen hat, ist dabei noch das Geringste. Wäre Berlin eine Leuchtwerbung, käme die Einlösung dieser Überlegungen der Abschaltung eines Buchstabens gleich - die Kenntlichkeit des herausragenden Kulturstandorts Berlin wäre gefährdet. Gerade Podewil, Arsenal und das Künstlerhaus Bethanien sind Einrichtungen, die Berlin von anderen deutschen Städten unterscheiden und deren Bedeutung nicht parallel zur Stadtgrenze verläuft. René Pollesch etwa gastierte noch beim letzten Reich berühmt-Festival, in diesem Jahr wurde seine Prater-Trilogie zum amtlichen Theatertreffen eingeladen. Solche Wertschätzung teilte er mit Meg Stuart und Stefan Pucher, deren Wurzeln ebenfalls im Podewil liegen. Wenig durchdacht wirken die Umzugspläne für den Museumspädagogischen Dienst, der Büroräume braucht und keine Tanzstudios oder Probensäle, wie sie in der Klosterstraße im Laufe der Jahre eingerichtet wurden. Für einen finanzplanerischen Schnellschuss spricht weiterhin die Tatsache, dass die Sparmaßnahmen, kaum verkündet, teilweise schon wieder zurückgenommen wurden. Die öffentliche Entrüstung bewirkte im Falle des Podewil die Korrektur der Vorgaben auf 215.000 Euro. In der Klosterstraße ist man nun besorgt, dass der scheinbar erfolgreiche Protest von den weiterhin bestehenden Existenzsorgen ablenkt. Abgesehen von den annoncierten Kürzungen haben sich die städtischen Zuschüsse in den letzten Jahren stetig verringert, über längere Zeit: halbiert. Auch in diesem Jahr wird mit 100.000 Euro weniger gerechnet. Das Podewil ist damit am Rande der Leistungsfähigkeit angekommen, also in bester Berliner Kulturgesellschaft, siehe Volksbühne oder Staatsoper. Der neue Kultursenator hat in der Tradition vieler Vorgänger den großen Schnitt gescheut; selbst wenn keine Einrichtung glücklich darüber sein wird, geschlossen zu werden, scheint ein Ende des Podewils wegen 215.000 Euro sinnlos angesichts der ungeklärten Frage, wo weitere fünfundzwanzig Millionen eingespart werden sollen. Bleibt es bei dem Stand der Dinge, wäre das Artist-in-residence-Programm bedroht, das jungen Künstlern Betätigung ermöglicht, weil es ihnen Raum und Technik zur Verfügung stellt. Richtiges Theater wurde auch noch gespielt. Es geht - das lässt sich resümieren, nachdem zwei Drittel der elf Veranstaltungstage vorüber sind - der Frage nach dem Platz des Menschen in einer globalisierten Welt nach. Die Luzerner Performance-Gruppe Schauplatz veranstaltete mit Passion Arbeit eine Andacht für die (einst?) treffendste menschliche Lokalbestimmung: die Arbeitsstelle. Manch einem mag dieser Abend zu humorig ausgefallen sein, als Indiz für ein feines Ironieverständnis konnte aber der eindringliche Fußgeruch im Saal gelten. Um der immerfort evangelisch-freundlichen Liturgie von Lars Studer, Susi Wirth, Anna-Lisa Ellend und Albert Liebl zu folgen, war der Besucher aufgefordert, in Socken zu erscheinen. Der schwere Duft der Harmonie: Verständnisvoll lächelnd arbeiteten sich die Performer durch die Stationen des Berufslebens. Von den heutzutage wenig bodenständigen Kinderwünschen über typische Handbewegungen bis zu "Menschen, die nicht mehr arbeiten" und dennoch imaginierte Tennisturniere gewinnen. Das Leid der Arbeit wurde durchgehend als Loblied intoniert, bei dem kritische Zwischentöne hinter dem Zwang zur guten Laune nur scheinbar verschwanden. Äußerlich leicht konsumierbar kam auch Jochen Rollers Welterkundung Around the world zu dem Schluss: "Die Reise bin ich". Der Ballettschüler und Absolvent des Instituts für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen inszenierte den entnationalisierten Menschen in properer Sixties-Deko zu Easy Listening-Klängen. "Pogo in Togo, Coca-Cola in Angola, Samba in Uganda" oder sechs Performer trimmen die Welt auf Wohnzimmergröße. Weil heute der einzige Maßstab zur Ich-Versicherung in der Beziehung zu Anderen liegt, ist es völlig egal, wo man sich befindet, solange die Anderen auch da sind. Distinktion prägt den Dialog, Reproduktion und Repetition den Bewegungsablauf. In schönster Strenge lässt Roller seine Akteure Sehenswürdigkeiten darstellen oder Alltagsbeobachtungen abstrahieren. Nebenbei erbringt er den philosophischen Beweis der vollständigen Reduktion auf das Ich als Zentrum aller Bewegung oder denkt über das Paradox der Zeit nach. Die Nomaden von Otmar Wagner, Bildender Künstler und Gießen-Schüler, schweben eine Umlaufbahn höher. Bis ins Weltall reichen seine Verschwörungstheorien, die "Ausradierung des Podewil" kommt darin auch vor. Dem Zuschauer macht es Wagner mit Clash Bum Bang - a eurovision so leicht wie dem Mann im weißen Schutzanzug mit weißem Motorradhelm, der als einziger der sieben Akteure die gesamte Stunde unbewegt verbringt: über einem Puzzle aus weißen Teilen. Dramaturgisch ist Wagners Performance ein Höllenritt: Was anfangs manchmal aussieht wie ein heiteres Schlagerprogramm ("Wir schwe-ben, wir schwe-ben") steigert sich zur Kakophonie, in der "Ich" schreit, wer sich den Sheriff-Stern an die nackte Brust steckt. Wagner präsentiert nur die Schattenseite von Rollers Asepsis: Auch er versucht den Überblick zu behalten, wenn die Welt im globalen Dorf zusammenkommt. Ehe der österreichische Hotelbar-Sinatra Louie Austen am 1. Juni mit einem Konzert die diesjährige Reich berühmt-Schau beschließt, wird es im letzten Programmdrittel neben anderem noch neue "Shorts" der in Berlin lebenden amerikanischen Performance-Künstlerin Lindy Annis zu sehen geben sowie das neue Stück der Dramatikerin Gesine Danckwart Warmes Wasser für alle. Von den ausbleibenden oder fließenden öffentlichen Zuschüssen wird indes abhängen, ob, wie und wo im folgenden Jahr das wichtigste und ambitionierte Berliner Festival für Bühnennachwuchs stattfinden wird. Als Maßgabe für politisches Handeln könnte das Resümee von Janec Müllers Poetniks gelten: "Ich hatte auf Ideen gesetzt."
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