Madame Frankreich

Klischee Zum Start von „Monsieur Chocolat“: über die putzigen deutschen Titel von französischen Filmen
Ausgabe 20/2016

Im Januar 2011 kam ein Film in die französischen Kinos, der zu einem globalen Erfolg werden sollte. Fast 400 Millionen Euro spielte die Komödie Unberührbare ein, deren Produktion nicht einmal 10 Millionen Euro gekostet hatte. „Unberührbare“ hätte der Film allerdings nur geheißen, wenn sein Titel (Intouchables) wortwörtlich ins Deutsche übersetzt worden wäre – so wie für die Auswertung im englischen Sprachraum (Untouchable in Großbritannien, The Intouchables in den USA und Australien) oder in Spanien (Intocable). Der hiesige Verleih entschied sich für eine andere Variante, Ziemlich beste Freunde, womit das in Sachen Titelwahl traditionell recht unbekümmerte Deutschland (aus The Good, the Bad and the Ugly wurde Zwei glorreiche Halunken) allerdings einmal nicht allein war: In Peru, Mexiko und Chile hieß der Film Amigos, in Italien Quasi amici, in Russland und der Ukraine 1 + 1.

Die Wahl eines Titels mag selten Gegenstand von Reflexionen sein, unwichtig ist sie nicht. Im Titel ringen Kunstanspruch und Marketing miteinander, die treffende Bezeichnung eines Kunstwerks wird von der Möglichkeit attackiert (zumal bei Übersetzungen), Werbung schon mit dem Namen des Produkts zu machen. Intouchables akzentuiert anders als Ziemlich beste Freunde, der Titel wirkt ernsthafter und politischer, weil mit den „Unberührbaren“ zwei gesellschaftliche Außenseiter gemeint sind – der eine, weil er in der Banlieue lebt, wo die Chancen auf ein bürgerliches Leben geringer sind, der andere, weil er nach einem Unfall in einer Krise steckt.

Dass der Name des Films nicht buchstäblich übertragen wurde, mag neben dem allgemeinen, für eine Komödie wenig zupackenden Begriff Intouchables mit einem einfachen Umstand zu tun haben: Im deutschen Kino gibt es bereits Die Unberührbare, einen Film, in dem Oskar Roehler von seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, erzählt. Der elegische Titel wird darin durch kontrastreiche Schwarzweißbilder adäquat belegt, in deren Assoziationsfeld die französische Gute-Laune-Gesellschaftsversöhnung wohl nicht erst geraten sollte.

Außerdem ist, wie immer man zur freien deutschen Übersetzungspraxis steht, Ziemlich beste Freunde eine originelle Wahl – eingängig wie ein Slogan verführt der Titel zum wortspielenden Nachahmen (Ziemlich feste Freunde heißt ein Sachbuch der vormaligen Freitag-Redakteurin Susanne Lang). Dabei ist Ziemlich beste Freunde relativ unfranzösisch – aus deutscher Sicht. Oder anders gesagt: Wäre Intouchables erst 2015 ins Kino gekommen, nach dem Erfolg von Monsieur Claude und seine Töchter (vier Millionen deutsche Zuschauer), womöglich hätte der Film als Der neue Freund des Monsieur Philippe die Massen erfreut.

Es klingt nach Puppenhaus

Denn das leichteste Erkennungsmerkmal eines französischen Films im deutschen Kinoprogramm ist die penetrante Monsieurisierung. Zwar ist die französische Anredeform im Titel nichts Neues, Filme wie Die Ferien des Monsieur Hulot (1953) oder Die Verlobung des Monsieur Hire (1989) haben aber den Vorteil, dass die damit bezeichneten Kunstwerke schon im Original so heißen (Les Vacances de Monsieur Hulot; Monsieur Hire). Die verschärfte Monsieurisierung dürfte durch den Erfolg von Éric-Emmanuel Schmitts 2003 mit Omar Sharif verfilmten Roman Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran begründet sein.

Da wurde zwar auch wörtlich übersetzt (Monsieur Ibrahim et les Fleurs du Coran), dadurch aber jene exotisierend-despektierliche Kindersprechweise geprägt, die die Anredeform mit einem Vornamen kombiniert. Solche Simplifizierungen sind vorzugsweise für, aus westlicher Sicht, Unterprivilegierte reserviert (Monsieur Ibrahim ist ein „Araber“, der von einem Jungen derart adressiert wird), die der vollen, bürgerlichen Namensnennung nicht würdig sind – Herrschaftsgesten, die man in Artikeln über „Afrika“ oder bei Credits für Nebenfiguren of Colour nicht lange suchen muss.

Für das deutsche Frankreichbild bedeutet die gehäufte Verniedlichung durch angeredete Vornamen nichts Gutes. Titel wie Monsieur Claude und seine Töchter (im Original und den meisten Übersetzungen entsprechend: Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu? – Was haben wir dem lieben Gott bloß getan?), Die Schüler der Madame Anne (Les Héritiers – Die Erben) oder Mademoiselle Hanna und die Kunst, Nein zu sagen (Je suis à vous toute de suite – Ich bin gleich für Sie da) heißen drei jüngere Beispiele, auf die Die Kinder des Monsieur Mathieu (Les Choristes – Die Chorknaben) von 2004 wie eine vorweggenommene Ironie wirkt: Mathieu ist hier der Familienname.

Die gesellschaftlichen Realitäten, die die Filme mitunter verhandeln, werden durch die Monsieurisierung auf einen arg putzigen Begriff gebracht. Das sogenannte Arthousekino, für das französische Filme in Deutschland herhalten müssen als Klischee dessen, was der Autorenfilm einmal war, suggeriert mit solchen Namen immer nur Puppenhauskonflikte.

Durch die Monsieurisierung werden zudem Filme in einen Topf geworfen, die sich auf Facebook niemals befreunden würden: Mademoiselle Hanna etwa schaut auf die Realität der Einwanderungsgesellschaft empathisch-differenziert, während bei Monsieur Claude bräsig das Ressentiment regiert. Diese Woche kommt nun Monsieur Chocolat in die deutschen Kinos, ein Film über einen schwarzen Varieté-Star im Paris des frühen 20. Jahrhunderts. Der Sklave Rafael Padilla wurde damals nicht einmal auf seinen Vornamen reduziert, sondern genannt, wie man Schwarze eben hieß. Der Film leitet aus dem nicht frei gewählten Künstlernamen seinen Titel ab: Chocolat.

Gespielt wird Padilla von Omar Sy, der durch den Erfolg von Ziemlich beste Freunde zu einem Superstar geworden ist, dessen Appeal sich bis nach Hollywood exportieren lässt (X-Men, Jurassic World). Gleichzeitig bleibt das Rollenfach von Sy überschaubar. Sein Rafael Padilla ist zwar die Hauptfigur in Roschdy Zems Film, aber er erscheint nicht nur historisch bedingt eher als Objekt denn als Subjekt seiner Geschichte. Sy wird vor allem in netten, gutmütigen, einfachen Charakteren besetzt, die keine Angst machen, sondern Freude bereiten.

Deliranter Effekt

Von problematischer Ambivalenz ist auch Monsieur Chocolat: Einerseits ist es begrüßenswert, dass die vergessene Geschichte des schwarzen Unterhaltungskünstlers erzählt wird. Andererseits ersetzt der Film den Diskurs über Rassismus, der sich etwa infolge der Dreyfus-Affäre verschärfte, durch unpolitischen Kitsch. Monsieur Chocolat dramatisiert eckig und in ungelenker Inszenierung die für den Film veränderte Lebensgeschichte (Padilla versuchte sich nicht in Othello als seriöser Schauspieler, sondern in Moïse von Edmond Guiraud).

Der deutsche Verleihtitel bewirkt dabei immerhin einen deliranten Effekt, weil er die Exotisierung potenziert. Hierzulande wird die rassistische Abwertung absurd höflich mit „Monsieur“ angeredet.

Info

Monsieur Chocolat Roschdy Zem Frankreich 2015, 110 Minuten

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