Maike Kohl-Castorf

Theater Das war nur ein Moment: Der lange Abschied von der Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, deren Größe bleiben wird - wegen und trotz des scheidenden Intendanten
Ausgabe 27/2017
Zum Abschied ein Kuss (Alexander Scheer, links, und Frank Castorf)
Zum Abschied ein Kuss (Alexander Scheer, links, und Frank Castorf)

Foto: Rolf Zöllner/Imago

Das war nur ein Moment, aber ein sehr schöner: Wie am 1. Juli um 20.33 Uhr das allerletzte Stück aus den vergangenen 25 Jahren an der Berliner Volksbühne aufhörte, der Applaus anhob, das Publikum aufstand, die Smartphone-Kameras in Richtung Bühne gereckt wurden, und wie unter dem finalen Applaus dann Musik ertönte, und zwar zuerst Manfred Krugs schönes Lied Das war nur ein Moment, das hin- und hergerissen ist zwischen Augenblicksbeschwörung und der Vergeblichkeit des Festhaltenkönnens. Er währte eine halbe Stunde: der Applaus, die Musik, das innige Gegenüber von Künstlerinnen und Zuschauern, das in den letzten Wochen die vierte Wand mit sehr viel Zuneigung permanent durchbrochen hatte.

Es ist schmerzvoll, dass die Ära Castorf nun vorüber ist. Eine Ära, die in 25 Jahren zum Synonym des Ortes wurde, an dem sie sich ereignete – dass „Volksbühne“ also genau diese Zeit und dieses Gefühl meint (und nicht mehr die Leere etwa der 1980er Jahre an dem Haus), dass hier Theater geprägt wurde und in die Gegenwart Berlins kommuniziert auf eine Weise wie nirgendwo sonst (auch weil diese Volksbühne einer der wenigen Plätze im neuen Deutschland war, an dem ein dissidentes DDR-Erbe hegemonial sein konnte).

Der Schmerz kennt eine biologisch-philosophische Erklärung: Dass überhaupt etwas zu Ende gehen muss, tut weh („Nichts ist unendlich / So sieh das doch ein“, heißt es im 1989er Smash-Hit Als ich fortging von Karussell). Die Volksbühne hatte aber – bei aller Insuffizienz des einstigen Kultursenators Tim Renner in Sachen Neubestellung – zwei schöne lange Jahre, um ihr Goodbye zu genießen. „Angstblüte“ heißt das in der Botanik; kurz vor dem Ende kommt noch einmal Schönstes hervor.

Gestört wurde, und auch dafür lieferte der letzte Abend den Beweis, die Feier der eigenen Größe ausgerechnet durch den vermeintlich Größten: durch den In-aller-Freundschaft-Fan Castorf, der etwa das Räuberrad vor dem Haus – ein Denkmal von unten, ein Stück Geschichte für viele, ein Anderes im von Trademarks und reaktionärem Historismus geprägten Berliner Stadtraum – mit Gewalt und in zwei Anläufen aus der Erde rupfen ließ, um als Gouverneurswitwe Natella aus Brechts Kreidekreis zu reüssieren.

Dieses Rad, das sinnloserweise zum letzten Gastspiel beim Festival von Avignon gekarrt werden muss wie die Trophäe eines Kriegs und das nur vielleicht an den einzigen seiner würdigen Ort zurückkehrt, den Rosa-Luxemburg-Platz, dieses Rad, brüllte Castorf, besoffen von seiner Hybris am Samstagabend ins Mikro, stehe für: „Achtung, Volksbühne, hier lauert Gefahr!“ Man kann sich schon jetzt vorstellen, wie der bourgeoise Kulturtourismus von Avignon mit den Zähnen klappert, wenn er sich nicht gerade die Plautze vollhaut in schicken Restaurants.

Es ist nicht ohne Ironie, dass am 1. Juli auch Helmut Kohl beerdigt wurde. Mit dem Politiker verbindet den ewigen Theaterintendanten gnadenloses Beleidigtsein und monarchisches Nicht-aufhören-Wollen – vermutlich konnte nach Castorf nur jemand wie Chris Dercon aus London kommen, der so weit weg und naiv war zu glauben, er trete hier mal eben eine Nachfolge an. Die hiesigen Kandidaten wussten, warum sie immer wieder abgelehnt haben. Aber auch wenn Castorf sich zur eigenen Bedeutung phasenweise verhält wie die Kohl-Witwe zum Werk ihres Mannes: Die Größe dieser Volksbühnen-Zeit wird bleiben. Nicht nur wegen, auch trotz Frank Castorf.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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