Wenn ein Festival wie der Max Ophüls Preis in Saarbrücken sich programmatisch dem deutschen Nachwuchsfilm widmet, sollte das Rückschlüsse auf die Entwicklungen im deutschen Kino zulassen. Weniger getragen formuliert: Eigentlich müsste man in Saarbrücken erfahren können, was der nächste heiße Scheiß ist.
Eigentlich, erstens, weil der deutsche Film in seiner filmhochschul- und fernsehsenderverwalteten Gewöhnlichkeit den Konjunkturen popkultureller Erregung eher ferner zu stehen scheint. Und eigentlich, zweitens, weil man wissen müsste, was das sein wird – der nächste heiße Scheiß.
Eine Antwort, die bei der 35. Auflage des Max Ophüls Preises von der Jury des Spielfilmwettbewerbs gegeben wurde, war die nächstliegende. Love Steaks von Jacob Lass ist ein Film, der Furore macht, seit er beim Münchner Filmfest letzten Sommer kurzerhand alle Preise gewonnen hatte. Auch den für das beste Drehbuch, wo Love Steaks kein Drehbuch im klassischen Sinne hat, sondern ein „dramaturgisches Skelett“ oder auch „Skelettwirbel“, wie es in den mitunter eigenwillig formulierten Regeln heißt. Verkündet werden diese unter dem Namen „Fogma“, dessen Nähe zum dänischen „Dogma“-Manifest aus den Neunzigerjahren kein Zufall ist. Dadurch weiß man immerhin, dass solches Selbstetikettieren zuerst dem Selbstmarketing dient.
Lass und seine Mitstreiter von der HFF in Potsdam-Babelsberg sind also zu den sichtbarsten Vertretern eines Films geworden, der sich durch Selbstbewusstsein gegenüber der Förderlandschaft auszeichnet und einen semidokumentarischen Stil pflegt. Zu dieser Reihe ließe sich mit Familienfieber von Nico Sommer auch der Gewinner des Preises der Saarländischen Ministerpräsidentin rechnen.
Spaß und Musik
Die Filme bleiben derweil hinter ihrem eigenen Furor etwas zurück. Ohne den jugendlichen Übermut umgehend abwürgen zu wollen: Wenn ein Problem des deutschen Films in seinen mittelmäßigen Drehbüchern besteht, dann befördert deren Abschaffung nicht automatisch eine Verbesserung. Durch die Improvisation wird die Geschichte in gewisser Weise an die Schauspieler outgesourcet, die sich dann in Witze flüchten, um Punkte zu machen.
Bei Love Steaks wird daraus eine Art digitales Erzählen der Liebe zwischen der draufgängerischen Köchin Lara (Lana Cooper) und dem schüchternen Masseur Clemens (Franz Rogowski), die beide in einem Luxushotel an der Ostsee arbeiten. Es gibt Einsen und Nullen, die Szenen mit Gefühl und Musik und die Szenen mit Spaß und Musik, etwa Slapsticks auf dem nassen Boden des Wellnessbereichs oder die Streiche, die sich die Alkoholikerin Lara permanent einfallen lässt. Man kann sich vorstellen, dass diese Momente auf Youtube sich einiger Beliebtheit erfreuten. Auf die Dauer eines Langfilms ist das entwicklungsarme Hin und Her aus schönen Einfällen etwas ermüdend. Zumal die strenge Hierarchie im Hotel als möglicher Zwang von außen allenfalls angedeutet wird.
Dabei besteht in der Entdeckung eines solchen Außens die interessante Erfahrung des diesjährigen Max Ophüls Preises. Gemeint ist damit der Standort des Erzählens, der in ganz unterschiedlichen Filmen neue Perspektiven eröffnete. Das gilt in gewisser Weise für den Sieger im Dokumentarfilmwettbewerb, Earth‘s Golden Playground. Der Österreicher Andreas Horvath holt darin die Geschichten von Goldsuchern aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart: Noch immer hoffen einsame Männer an den legendären Orten Nordamerikas auf Gold; im Unterschied zu früher mit jährlich viermonatiger Auszeit auf den Philippinen.
Einen unkonventionellen Bildungsroman erzählt die Schweizerin Anna Thommen in dem Dokumentarfilm Neuland (Lobende Erwähnung). Ein rührend rühriger Lehrer unterrichtet eingewanderte Jugendliche, die zwei Jahre Zeit haben, um in Integrationskursen ihre Chancen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Spione auf DDR-Besuch
Eric Asch, Absolvent der Münchner HFF, geht in Deckname Pirat dem von Stasi-Akten genährten Verdacht nach, sein Vater, ein amerikanischer Linguist, der erst für das Militär in West-Berlin und später in Tübingen an der Uni gearbeitet hat, könne ein Spion gewesen sein. Der Film ist – mit Station bei der NSA – eine leicht paranoide Reise in die Mentalität des Agenten, in eine Welt, in der die Dinge mehrere Bedeutungen bekommen. Dass die Studenten von Aschs Vater nach DDR-Reisen Berichte mit Fotos über Beobachtungen und Gespräche anfertigen sollten, lässt sich im Zwielicht des Verdachts als großangelegtes Informationensammeln verstehen.
„Für meine Leute“ lautet des letzte Insert der Komödie Poka, die im – für hiesige Sehgewohnheiten – grobschlächtigen Humor russischer Komödien von Träumen und Enttäuschungen russlanddeutscher Einwanderung um 1990 herum handelt. Der Erzähldruck der selbst in Kasachstan geborenen Regisseurin Anna Hoffmann war spürbar groß, dass man sich ihm schwer entziehen konnte. Gäbe es hierzulande eine existierende Serienkultur, solch ein Stoff müsste der nächste heiße Scheiß sein. Eigentlich.
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