Nein, natürlich nicht

Tatort Kann nicht schaden: Mal wieder ein großer Name von auswärts, der "Tatort" macht – die Idee zur Geschichte von "Borowski und der vierte Mann" stammt von Henning Mankell

Beim Tatort ist es mitunter so wie in dem einst beliebten Planwirtschaftswitz, der eigentlich ein Hauptstadt-der-Republik-Hass-Witz ist. "Gorbatschow klagt gegenüber Honecker, dass mit es mit Warenverteilung nicht hinhaue; die Bademoden gäbe es in Sibirien zu kaufen, während die Winterschuhe auf der Krim landeten. Sagt Honecker: 'Das kann uns nicht passieren. Wir schicken einfach alles nach Berlin, da holt sich jeder ab, was er braucht.'" Der Tatort wäre in diesem Fall die Sowjetunion: Zwar ist er treuer Begleiter der Gegenwart, nur mit den Jahreszeiten haut es meistens nicht hin, weil zwischen Dreh- und Sendezeit meist kein ganzes Jahr liegt. Im Winter sehen wir Bäume in dickstem Grün und im Sommer schneebedeckte Landschaften.

Das ist in Kiel diesmal anders: Es liegt Schnee und zwar nicht zu knapp, der Winter war lang vom letzten Jahr (Drehzeit 16. Februar bis 17. März 2010). Auch sonst ist einiges anders: Die Vorlage zu Borowski und der vierte Mann stammt von dem beliebten schwedischen Krimiautor Henning Mankell, der renommierte deutsche Drehbuchautor Daniel Nocke (Dutschke) hat sie dann umgearbeitet.

Und tatsächlich ist dann auch das Setting anders. Auf einem Gutshaus trifft sich eine dekadente Wochenendgesellschaft aus lauter depravierten Finanzmanagern und Brokerbubis. Sturmfreie Bude, und wie der Geldadel von heute eben so druff ist, werden dann absonderliche Hobbys gepflegt wie die Jagd auf eigens importierte Bären und Tiger. Das hat was von James Bond (Moonraker), allerdings geht den Kindern in Kiel die snobistische Grandezza gepflegter Schurken ab (wie sie Michael Lonsdale als Drax besaß). Geld mag es geben, aber das Denken dreht sich bei diesem Pelzkragenreichtum (der sich im Notfall dann doch Pizza bestellt) in kleinen Kreisen – wenn die Gastgeberin Maja Stevens (schon schön arrogant: Susanne Wolff) Kommissar Borowski (Axel Milberg) erklärt, sie arbeiteten hart und wollten eben auch mal entspannen. Das erinnert an die Argumentation, mit der Hape Kerkeling einmal als Kleingärtner Rico Mielke Heinrich Lummers, nun ja, Talkshow aufgemischt hat (bei 2:01): "Der Schrebergarten ist unsere einzige Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen."

Frieda-Jung-Trauerarbeit

Wo die Nase hoch getragen wird, muss es auch die da unten geben. Das Gefälle ist groß, Sven Pippig gibt als Hausmeister Timo Pross den Subalternsten von allen, der aufgrund einer Prothese auch mal kurz ins Visier des Verdachts gerät. Für den Umgang mit der Pippig-Figur sollten sich die Schnösel im übrigen was schämen. Auch dieser Kürschner-Manager, den wir nie zu Gesicht bekommen, dessen Sohn aber einen sympathischen Eindruck macht, ist in seinem Entwurf etwas nah an dem, was man für Sozialhorror halten kann: Dass diese armen Armen immer alles verlieren (Gesundheit, Familie) und dann den Rest noch aufs Spiel setzen (Pyramiden-Spiele – don't try this at home), damit sie, wenn nicht die Gesundheit, wenigstens die Familie zurückgewinnen können, wirkt wie eine Mittelstandsfantasie; damit nach dem Blick in den dirty Abgrund das wohlerzogene Sprotten-Vollkornbrot gleich noch mal besser schmeckt.

Der Fall ist hübsch aufgebaut, ein Serienmord mit künstlerischer Ambition (wenn das kein Pleonasmus ist), der immer neue Gewerke (die Kürschnerei!) ins Zwielicht rückt, dazu der große Matthias Matschke als geschasster Betrugskriminaler und angenehm unscheinbarer Psychopath (wenn das kein Pleonasmus ist); Spannung gibt es durchaus, vieles ist also zur Zufriedenheit.

Nervend ist allein diese unendliche Frieda-Jung-Trauerarbeit, die hier in Szene gesetzt wird durch das recht naheliegende Bild der sich über die Folge ziehenden Renovierung des Büros, an dem Boro dann immer versonnen stehen bleiben muss. In der nächsten Folge zieht da hoffentlich Sarah Brandt aka Sibel Kekilli ein – und dann ist auch mal gut.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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