Nicht ohne seine Tochter

Familienfilm Im Kinoerfolg „Honig im Kopf“ von Til Schweiger steht trotz Dieter Hallervorden und Demenzproblematik das Kind eindeutig im Zentrum
Ausgabe 02/2015

Am Ende dieses Jahres, so viel ist sicher, wird kein Hobbit-Sequel zu den meistgesehenen Filmen zählen. Anders als 2012, 2013 und 2014, als der abschließende Teil von Peter Jacksons Trilogie gar auf Platz eins landete, weil Die Schlacht der Fünf Heere binnen 20 Tagen 4,2 Millionen Zuschauer in die Kinos bewegte. Die größte Überraschung besorgte im vergangenen Jahr die französische „Rassismus-Komödie“ (Süddeutsche Zeitung) Monsieur Claude und seine Töchter, die 3,6 Millionen Zuschauer sehen wollten; fast so viele wie bis 31. Dezember den ersten Teil des dritten Teils von Die Tribute von Panem.

Der populärste deutsche Film 2014 war Matthias Schweighöfers Komödie Vaterfreuden mit 2,3 Millionen Besucherinnen. Wobei die nach Jahren geordnete Bilanzierung die Größenverhältnisse verzerrt: Von den 3,6 Millionen Zuschauern, die schließlich Philipp Stölzls deutsche Adaption von Noah Gordons Bestseller Der Medicus gesehen hatten, war mehr als ein Drittel schon in den ersten Tagen nach dem Start (25. Dezember 2013) im Kino.

Ähnlich verhält es sich aktuell mit dem neuen Til-Schweiger-Film Honig im Kopf, der, Weihnachten gestartet, es in nur sechs Tagen mit ungefähr 700.000 Zuschauern noch unter die 50 meistgesehenen Filme des vergangenen Jahrs geschafft hat. Bislang haben 1,75 Millionen Menschen den Film gesehen; am Ende könnten es um die 4 Millionen sein, wie bei Schweigers größten Erfolgen Keinohrhasen/Zweiohrküken.

Spaßvögel würden, mit Blick auf den Hobbit, womöglich auch von einer Idee des Sequels sprechen, die den Blockbusterbereich des deutschen Kinos dominiert als leichte Variation des immer gleichen Films – des Familien-/Paar-Dramas mit lustigen und traurigen Momenten. Schweiger hat selbst registrieren müssen, dass Abweichungen von dieser Mischung durch Zuschauerzahlen nicht honoriert werden: Der Kostümfilm 1 1/2 Ritter blieb 2008 unter der Zwei-Millionen-, die Bundeswehr-in-Afghanistan-Action Schutzengel 2012 als bislang einzige Schweiger-Regie gar unter der Eine-Million-Zuschauer-Marke.

Allerdings tut den Ambitionen von Schweiger Unrecht, wer dessen Filme nur mit Blick auf ihre unbestrittenen Stärken diskutiert, also ökonomisch. Aller Feuilleton-Verachtung zum Trotz steht hinter dem Werk, an dem Schweiger seit seiner Rückkehr aus den USA arbeitet, nämlich die romantische Idee eines auteuristischen Filmemachens, die sich produktionell auch realisiert (Schweiger als Produzent, Autor, Regisseur, Schauspieler, Cutter).

Der Werkauftakt von vor zehn Jahren (Barfuss), dem eine von Schweigers Produktionsfirmen ihren Namen verdankt („Barefoot“), wäre in dieser Perspektive der Scharnierfilm. Er unterhält durch seinen ästhetischen US-Amerikanismus (Oldtimer) noch eine lose Verbindung zum Debüt – der frühen Tarantino-Appropriation Der Eisbär (1998) –, zielt thematisch aber schon in die Verantwortungsübernahme-Erzählung, die zum Charakteristikum von Schweigers Œuvre geworden ist. Keinohrhasen/Zweiohrküken fungieren darin als Einübung in die präfamiliäre feste Beziehung, in den Kokowääh-Filmen folgt die Wahrnehmung der Erziehungspflicht als (Patchwork-)Vater.

Honig im Kopf schließt hier an, insofern erstmals in Schweigers Werk eine kriselnde, aber formal intakte Familie gezeigt wird (Vater, Mutter, Kind). Weil der Film die Verbindung von dementem Opa (Dieter Hallervorden) und liebender Enkelin (Emma Schweiger) fokussiert, geraten die Eltern Niko und Sarah (Schweiger, Jeanette Hain) in den Hintergrund. Auffällig bleibt dennoch, wie schwer dem immer nur männlich kodierten Freiheitsdrang die Praxis der monogamen Paarbeziehung fällt: Niko geht fremd, ist aber eifersüchtig bis zum Faustschlag (dem Nebenbuhler gegenüber), als Sarah ihrerseits mit ihrem Chef (Jan Josef Liefers) etwas hat.

High Heels, sehr symbolisch

Noch markanter freilich ist, wie Honig im Kopf in seiner Vorstellung von Demenz als Prüfstein von Liebe und Moral Opas Krankheit benutzt, um die Mutter als hartherzig und humorlos aus dem familiären Konsens zu drängen. Während Vater und Tochter sich einig sind im Schmunzeln über Opas verrücktes Tun und schon das Aufbringen einer klinischen Wahrnehmung von Handlungen wie Hecke-Roden und Schuhe-Anzünden (sehr symbolisch: die High Heels von Sarah) als mangelnde Sympathie auslegen. Das große Glück der Sommerferien wird entsprechend ohne Mutter genossen (die mit ihrer Mutter, gespielt von Katharina Thalbach, verreist). Und das übermäßige Arbeiten der Eltern, das vage die Verbindung von Enkelin und Opa zu motivieren versucht, wird am Ende dadurch versöhnt, dass Sarah ihren Beruf aufgibt.

Im Zentrum aller Sympathien des Films, der dramaturgisch eher postnarrativ lauter immer wieder in Glücklichkeitsinszenierungen aufgehellte Zeitlupenclips aneinanderreiht (sogar Claudia Michelsens Nonne lacht im Spiel mit der Enkelin), steht unumstritten die Jüngste. Daran ändert auch ein etwas unvorteilhaft gefilmter Unterhosenwechsel bei Opa nichts, bei dem der Mann nur knapp über dem Kopf des Mädchens zweimal pupst.

Honig im Kopf Til Schweiger D 2014, 139 Min.

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