Nymphe

Massenkultur Gerhard Schweppenhäuser will "Naddel" vor ihren Feinden retten

"Bach gegen seine Liebhaber verteidigt" heißt ein Aufsatz von Theodor W. Adorno, der sich in dem schmalen Bändchen Prismen findet. Adorno geht es um "Kulturkritik und Gesellschaft", so der Untertitel der Prismen, worüber er das ästhetische Detail aber nicht aus dem Blick verliert. Wenn nun Gerhard Schweppenhäuser, der vor Jahren eine kluge Einführung in Adornos Werk vorgelegt hat, das "Jahrbuch für Kritische Theorie" mit herausgibt und mittlerweile als Professor für Ästhetik in Bozen lehrt, seine jüngste Publikation "Naddel" gegen ihre Liebhaber verteidigt nennt, so schürt das kühne Erwartungen: dass bei der Betrachtung von Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur, so der Untertitel, gleichsam eine Interpretation des, nun ja, "Werks" der Boulevard-Ikone und ehemaligen Dieter-Bohlen-Freundin Nadja Abd el Farrag mitgeliefert würde.

Das "Werk", das Schweppenhäuser als Anstoß seiner Überlegungen bezeichnet, ist eine Brauereireklame vom Ende des 20. Jahrhunderts. Wo Adorno mit feinem Besteck und scharfem Blick vom Buffet der Kunst sich genau jene Häppchen auflädt, die seine kulturkritischen Schriften zugleich zu präzisen Werk-Interpretationen machen, ist Schweppenhäuser einmal zu oft mit dem Verlesen der Anweisungen beschäftigt, nach denen er filettieren möchte. Auf die politische Ikonologie soll seine Analyse der Werbebilder sich ebenso stützen wie auf Kritische Theorie, Gender Studies und Cultural Studies, Semiotik und Systemtheorie. Am Ende kommt vor lauter Anweisungen die Ausführung etwas kurz: Die Bild-Lektüre verbleibt an der Oberfläche von Benennung, wo man etwa die rassistischen oder sexuell-pornographischen Implikationen von Naddels Bierwerbung gerne ausführlicher ausgebreitet bekommen hätte. So ist der kunsthistorische Link zur antiken Quellnymphe mit Amphore, der so genannten Najade, als deren zeitgenössische Variante Naddel auf dem Motiv erscheint, auf dem sie eine Bierkiste scheinbar schultert, eine der wenigen Trouvaillen.

Der Titel "Naddel" gegen ihre Liebhaber verteidigt entpuppt sich als etwas irreführend, zumal man sich fragt, wer die Anhängerschaft einer hauptberuflichen Skandalnudel eigentlich bildet. Es empfiehlt sich, die Anführungszeichen um den Spitznamen nicht als höflich-distanzierte Geste zu lesen. Sie stecken vielmehr ein größeres Feld ab: "Naddel" dient als Chiffre, als Schauplatz eines Klassentreffens kulturwissenschaftlicher Theorien zum Zwecke der "Rehabilitierung" einer Massenkultur. Das ist der thematische Horizont, in den sich die sieben Kapitel fügen, die nicht einem essayistischen Entwurf folgen, sondern auf verschiedenen Vorträgen basieren. Entsprechend unterschiedlich ist ihre sprachliche Qualität. Stilistisch souverän ist Schweppenhäuser, wenn er Texte aus Literatur und Wissenschaft diskutiert - etwa eine Passage aus Nathaniel Hawthornes Roman Der scharlachrote Buchstabe, an der er die Transformationen der europäischen Feiertagskultur bei ihrem Transfer nach Amerika zeigt. Sprachlich holpriger wird´s dagegen, wenn er sich auf den ungesicherten Boden des Trivialen begibt, also etwa Rudi Völlers Wutausbruch ("Ich kann den Scheiß nicht mehr hören") als Beispiel für den "rekursiven Kommunikationszusammenhang" skizziert, in dem Reklame und Boulevardzeitung beziehungsweise -fernsehen sich gegenseitig die Skandale zur Ausschlachtung zuschieben. Das ist enttäuschend, insofern der Reiz der intellektuellen Anstrengung ja auch darin liegt, das Triviale in einen komplexeren Diskurs einzuhegen.

Dabei will Schweppenhäuser seinen Begriff der Massenkultur just aus dem Dualismus befreien, in dem er nur der Abgrenzung einer vermeintlichen Hochkultur dient. Massenkultur, als Erbe der großen bürgerlichen Kunstwerke des 19. Jahrhunderts, ist vielmehr "die Gesamtheit der kulturellen Praxisformen" im Umgang mit "ästhetischen Gebilden". Diese sind für einen Markt produziert, also immer schon kommerziell - ein Umstand, der hier als Bindeglied zur Hochkultur und Kunst fungiert. So gesehen verteidigt Gerhard Schweppenhäuser "Naddel" nicht gegen ihre Liebhaber, sondern, um ein anderes Adorno-Wort zu zitieren, rettet "Naddel" erkennend vor Feinden.

Gerhard Schweppenhäuser: "Naddel" gegen ihre Liebhaber verteidigt. Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur. Transcript, Bielefeld 2004, 192 S., 23,80 EUR


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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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