Parodie wider Willen

Familienalbum In „Sympathisanten“ scheitert Felix Moeller beim Versuch, in Tagebüchern seiner Eltern zur RAF-Zeit Geschichte zu finden
Ausgabe 21/2018

Ein Spaßvogel könnte sagen: Übertriebenes Anspruchsdenken ist das Problem von Sympathisanten nicht. Gleich zu Beginn des Dokumentarfilms, der das Verhältnis von Filmemacherinnen und anderen Kulturschaffenden zur RAF in den 70er Jahren erhellen will, bescheidet dessen Regisseur Felix Moeller aus dem Off nüchtern und bescheiden: „Und ich werde das auch nicht leisten können.“

Moeller ist Historiker und Filmemacher, vor allem aber Sohn und Stiefsohn. Von Margarethe von Trotta und ihrem langjährigen Lebensgefährten Volker Schlöndorff, die man als linke Boulevardpresse seinerzeit wohl als „Traumpaar des deutschen Films“ bezeichnet hätte. Gemeinsam verfilmten die beiden etwa Heinrich Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975), die vom Denunziantentum der wiederum konservativen Boulevardpresse jener Tage handelte.

Als Sohn und Stiefsohn hat der 1965 geborene Moeller folglich einen privilegierten Zugang zu Protagonisten aus Kunst und Bewegung der Dekade zwischen der 1968er-Revolte und dem sogenannten Deutschen Herbst 1977 („Sie haben Filme über diese Zeit gemacht, wichtige politische Filme, die man heute immer noch kennt“). Das scheint irgendwie auch Anlass gewesen zu sein für Sympathisanten, zumindest lässt sich der Anfang des Films so verstehen. Da ist Moeller in der Wohnung seiner Mutter zu sehen, die ihre Tagebücher aus den nämlichen Jahren aus dem Schrank holt („Ein Dokument, von fast zeitgeschichtlichem Wert“).

Die Dielen knarzen, Musik setzt ein, und Moeller versinkt im Sessel, um in den Büchern zu blättern. Ehe er etwas vorlesen kann, wandert Moeller aber schon durch eine Ausstellung zur RAF, dekoriert sich eine Schautafel mit Zeitungsausschnitten und Fotos zurecht, wie das bei Tatort-Kommissarinnen heute in jeder Folge Standard ist. Von da geht es nach Paris zu Bildern von Mutter und Sohn, die dann in Potsdam-Babelsberg in Bilder von Stiefvater und Stiefsohn münden.

Volker Schlöndorff hat nämlich auch Tagebuch geführt („Wie gut doch diese Hermès-Kalender sind; hat mir übrigens der Louis Malle damals den ersten geschenkt“), und auch wenn deren zeitgeschichtlicher Wert diesmal nicht taxiert wird, so setzen sich Stiefvater und Stiefsohn gemeinsam an einen Tisch, um die Hefte aufzuschlagen. Sie kommen immerhin bis zur Datumsangabe („21. Oktober 1977“), aber dann muss fast drei Minuten lang eine schmissige, durch Popmusik untermalte Collage von Fernsehmaterial aus den 70er Jahren gezeigt werden.

Welch ein Wust

Danach erklärt Moeller mit Blick auf historische Zeitungstexte den Titel seines Films („In einer großen Serie über ‚Sympathisanten‘ im Spiegel tauchen meine Eltern auf als Unterstützer“), um zu einem Filmausschnitt aus Das zweite Erwachen der Christa Klages, einem Film seiner Mutter, überzuleiten: Darin ist er selbst zu sehen als Darsteller eines Jungen, neben den sich im Zug der Darsteller Marius Müller-Westernhagen setzt, was sich wiederum als Überleitung zu einer Ledercouch herausstellt, auf der Moeller dann im Heute neben Marius Müller-Westernhagen sitzt: „Ist wirklich die erste Begegnung nach 40 Jahren.“

Es fängt ein Plausch zwischen den beiden an, den man als zwanglos-locker nur beschreiben kann, wenn man noch nie zwei erwachsene Menschen zwangslos-locker hat miteinander plauschen sehen, was der Film dann auch irgendwann zu begreifen scheint und in einer schmerzhaften Operation auf der Tonspur über das Gerede der beiden die Stimme von Westernhagen legt, der nach ein paar Sekunden endlich auch ein Bild folgt, wie man es aus anderen Dokumentarfilmen kennt: dass da ein Mensch sitzt und in eine Kamera seine Zeitzeugenschaft spricht.

Auf diese Weise sind zehn Minuten vergangen in Sympathisanten, ohne dass der Betrachter verstehen könnte, was der Film ihm erzählen will, weil Moeller mehr Erzählansätze durchprobiert hat, als „Terroristen“-Fotos seinerzeit auf Fahndungsplakate passten. Das geht den ganzen Film so. Sympathisanten wird derart zu einem abschreckenden Beispiel dafür, in welchen Wust an ungeordneten Ideen die auf dem Förderantrag attraktiv wirkende Setzung führen kann, dass ein Sohn und Stiefsohn für einen Film über ein von Deutungsstürmen und Interpretationsfluten umtostes Kapitel der bundesrepublikanischen Geschichte seine prominente Mutter und seinen nicht minder prominenten Stiefvater befragt.

Zumal sich der Film künstlerisch permanent selbst widerspricht: Wieso braucht jemand, der an die Kladden von Primärquellen herankommt, hundertfach kompiliertes und gesendetes Fernsehmaterial? Das zudem nur illustrativ eingesetzt wird, wenn eine Zitat-Montage von Politikerreden das abfällig gemeinte Wort vom „Sympathisanten“ aneinanderreiht.

Halt an, Schwanz!

Beim Versuch, einen Gegenstand für seinen Film festzustellen, wirkt Moeller wie eine Katze, die mit ihrem eigenen Schwanz spielt, der ihr bei jeder Bewegung entwischen muss. Und weil Moeller in seiner Performance als Autor und Interviewer etwas Komisches hat, weil er schnauft und hmmmt, indisponiert in die Gegend guckt und seine Fingernägel prüft, während neben ihm jemand etwas erzählt, könnte man das Ganze für eine subtile Parodie halten auf Presenter-Dokumentarfilme, in denen Kinder über ihre Eltern berichten.

Wenn mit Sympathisanten Förderanstalten und Fernsehredaktionen aufginge, dass solche Familienfilme meistens privaten Unsinn produzieren, wäre das nicht das geringste Verdienst von Moellers Arbeit. Die spannenden Momente im eigenen Material verpasst der Film jedenfalls: Einmal bringt Moeller den Schriftsteller Peter Schneider („Ich finde es so kläglich, dass dann immer alles verdrängt und geleugnet wird“) in die Bredouille. Als der von sich sagt, nach der Nacht von Stammheim, in der Raspe, Baader, Ensslin starben, nicht zu denen gehört zu haben, die auf „Mord“ tippten, kann ihm der Filmemacher eine Notiz aus dem Tagebuch der Mutter vorhalten, die das Gegenteil belegt.

Das leicht erschreckte Lachen von Schneider ist einer jener Momente, die der Film immer wieder streift und die wesentlich interessanter scheinen als das ganze Zeitgeschichtspotpourri: Wie sich das politische Engagement von einst aus den Erfolgskarrieren der Schneiders und Schlöndorffs ausgeschlichen hat. Wie sich heute zum Früher verhalten wird.

Aber das wäre ein anderer Film. Über den seinen sagt Moeller treffend zum Schluss: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt mehr verstanden habe.“

Info

Sympathisanten Felix Moeller D 2018, 101 Min.

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