Patrioten

linksbündig Christoph Hein wird Intendant

Am vergangenen Wochenende saß der ZDF-Fernsehmann Wolfgang Herles in einer Phoenix-Sendung und stellte sich den Fragen dreier Journalisten zu seinem Buch Wir sind kein Volk, das im Untertitel scheinbar frech Eine Polemik heißt. Der selbst ernannte "Verfassungspatriot" Herles versuchte in seinem Buch wie im Gespräch zu erklären, warum die Wiedervereinigung ein Fehler war. Der Grund ist denkbar einfach: "Der Osten zieht den Westen runter." Ein armes Land, mochte man meinen, das "Verfassungspatrioten" nötig hat, die ihr Lippenbekenntnis zur deutschen Einheit hinter bürokratischen Berufungsbezeichnungen verstecken müssen, damit nicht auffällt, dass ihre eigentlichen Motive Neid, Missgunst oder Egoismus sind. Oder was auch immer, denn das war das Rätselhafte an dem übellaunigen, fahrigen "Verfassungspatrioten" Herles: Er wirkte beleidigt und persönlich verletzt durch den Osten. Da reibt man sich dann doch verwundert den Kopf. Was hat der Osten Wolfgang Herles getan, dass dieser ihm so schamlos die Freundschaft aufkündigt?

Immerhin ist Herles nicht der einzige Beleidigte und Verletzte. Das zeigte die Aufregung, die in den Feuilletons losbrach, als bekannt wurde, dass Christoph Hein ab 2006 Intendant am Deutschen Theater in Berlin werden soll. Der Schriftsteller Christoph Hein, Mitherausgeber dieser Zeitung, wird weithin geschätzt. Der potenzielle DT-Intendant Hein sorgt dagegen für heftigen Verdruss bei den "ernst zu nehmenden Theaterkritikern", wie der Berliner Tagesspiegel unbescheiden die Front aus fast allen überregionalen Feuilletons nannte. "Krasse Fehlentscheidung", "Drachenwitz", "Überkompensation" oder auch "gefährliche Entscheidung" tönte der Chor der Gekränkten.

Nun kann man sich fragen, wie das Urteil über eine Intendanz schon gefällt sein kann, die erst in zwei Jahren beginnen soll. Man kann geteilter Meinung sein über die Nicht-Verlängerung von Bernd Wilms, der das Haus vor drei Jahren von Thomas Langhoff übernommen und nicht ohne Erfolg einer Frischzellenkur unterzogen hat. Man kann auch skeptisch sein gegenüber dem Gerede des Berliner Kultursenators Thomas Flierl (PDS) von einem "Nationaltheater". Zuletzt hat der stumpfe Reißzahn Claus Peymann bei der BE-Übernahme gezeigt, wie schnell die Träume von einer herausragenden Stellung in Berlins großer und Deutschlands föderalistischer Theaterlandschaft platzen. Und man kann schließlich die Eignung Christoph Heins hinterfragen, dessen aktive Jahre im Theaterbetrieb ein Vierteljahrhundert zurückliegen, wobei man nicht vergessen sollte, dass er weder Regie führen will, noch - bloß weil er Dramatiker ist - Hausautor sein wird.

All das sind Dinge, die erwogen werden können, nicht aber den Eifer rechtfertigen, mit dem die "ernst zu nehmenden Theaterkritiker" die Chance übergingen, die man in Hein auch sehen kann: den Mut zum Risiko, einen Quereinsteiger zu besetzen und nicht das Intendantenkarussell gelangweilt eine Runde weiter zu drehen. Wurde Bernd Wilms seinerzeit noch als blasser Kulturmanager verhöhnt, fehlt dem Intellektuellen von Format Hein nun angeblich die Bodenständigkeit des Handwerkers. Hein könnte der Jürgen Klinsmann des deutschen Theaters werden - er kommt von außen, verspricht, über den Tellerrand zu schauen, ist freundlich und bestimmt zugleich. Dass die "ernst zu nehmenden Theaterkritiker" dennoch gekränkt sind, ist eine Frage der Himmelsrichtung. Sie haben Angst, dass mit einer Intendanz Hein die DDR oder zumindest das DDR-Theater wiederkommt. Wie man sich das vorstellen soll, ob mit Mauer oder ohne, bleibt offen.

Das Lagerdenken, das hier auf den Osten projiziert wird, ist von Rassismus nicht weit entfernt, wenn es in der Entscheidung eines im Osten geborenen Kultursenators für einen im Osten geborenen Schriftsteller als einziges Kriterium die "Herkunft aus der DDR" erkennen kann. Darüber hinaus ist die Erregung lächerlich: Man sorgt sich um Heins mangelnde Robustheit, die für einen guten Intendanten nicht ausreichend sei oder wirft journalistische Sorgfalt über Bord, in dem Zitate aus einem Freitag-Interview von vor einem Jahr über das DDR-Theater zum aktuellen Programm seiner künftigen Intendanz ideologisiert werden. Das Bemerkenswerte an dem Geschrei ist aber, dass niemand die Entscheidung in dem Sinne begrüßt, in dem sie verdammt wird. Das Neue Deutschland etwa hat nicht in freudiger Erwartung die rote Fahne rausgehängt, sondern die Personalie im Stile einer Nachrichtenagentur vermeldet. Was lehrt uns das? Vielleicht hat Herles doch Recht: Der Westen braucht den Osten nicht. Sogar seine Ostalgie macht er sich selbst.



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