Das Eigenartige an einem Film wie Happy-Go-Lucky wie an den Filmen von Mike Leigh im Allgemeinen zeigt sich schon daran, dass das Schreiben darüber nicht leicht fällt. Nicht weil Leighs Filme - auf den ersten Blick - besonders komplex wären oder übermäßig abstrakt. Im Gegenteil: Leighs Stil firmiert unter Realismus, seine Geschichten spielen im Alltag von gewöhnlichen Menschen und weisen eine Menge von dem auf, wovon zuerst gesprochen wird, wenn vom Kino geredet werden soll: Handlung.
Das Verfahren, mit dem Mike Leigh seit über 20 Jahren Filme dreht, ließe sich, mit einem Begriff aus der Mathematik, als induktiv bezeichnen. Die realistischen Beweise, die der Autor des britischen Working-Class-Kinos liefert, entstehen aus Improvisation, einer frühen Arbeit mit den Schauspielern und den Beziehungen ihrer Figuren untereinander, an deren Ende immer erst das Drehbuch steht. "Ich entdecke den Film, während ich ihn mache", sagt Leigh, und der Zuschauer vollzieht diese Bewegung nach, insofern er den Eindruck haben muss, dass ihm ein Film wie Happy-Go-Lucky eher passiert denn vor die Nase inszeniert wird.
Zentrum des Films ist Poppy Cross, für deren Darstellung Sally Hawkins auf der Berlinale den Preis für die Beste Schauspielerin erhalten hat. Eine Entscheidung, die zweifellos richtig war, weil man sich Sally Hawkins, wenn man sie in Happy-Go-Lucky gesehen hat, nie wieder in einer anderen Rolle, in einem anderen Film vorstellen möchte. Mit einer Formulierung aus der Kinowerbung: Sally Hawkins ist Poppy Cross. Und Poppy Cross ist zwar Grundschullehrerin, 30-jährig, erst Single, dann frisch verliebt, Schwester, Freundin, witzig und auf euphorisierende Weise albern, aber das alles sind Attribute, die den Kern der Figur verfehlen, weil sie als Typencharakteristika austauschbar sind. Die Wahrheit ist: Poppy Cross ist Poppy Cross.
Am besten kann man sich Happy-Go-Lucky vielleicht über die Motive nähern, durch die Leigh seinem Film so leichthändig eine Form gibt, dass man nie das Gefühl bekommt, es würden einem hier Probleme vorgesetzt. So könnte man etwa sagen: Happy-Go-Lucky ist ein Fortbewegungsfilm, der davon erzählt, wie man am besten durchs Leben geht. Am Anfang sehen wir Poppy auf dem Fahrrad durch London fahren, wozu eine gehörige Portion Selbstbewusstsein notwendig ist. Aber wer Poppy auf dem Fahrrad sieht, wie sie schaut und lacht und grüßt und träumt, der wird verstehen, dass Fahrradfahren für eine unaufdringliche Individualistin wie Poppy die beste aller möglichen Fortbewegungsarten ist, weil es sie mit der kleinen Welt in Verbindung hält, der sie zugehört. Das Fahrrad wird leider geklaut (was Poppy nicht zu Ärger, sondern zu heiterer Trauer verführt: "Ich konnte mich nicht einmal verabschieden"), also sehen wir sie am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit im Bus. Eine kurze Szene nur, die dennoch viel erzählt über den Willen, der dumpfen Anonymität des öffentlichen Personennahverkehrs mit flirtender Freundlichkeit ein Lächeln abzuringen. Der Film zeigt Poppy auch als Fußgängerin, wie sie durch die Stadt schlendert gleich einem bummelnden Kind, das die Zeit vergessen hat. Viel Zeit verwendet Poppy des Weiteren darauf, Fahrstunden zu nehmen bei einem Menschen, der das ganze Gegenteil von ihr ist: verbittert, misstrauisch, cholerisch. Der Fahrlehrer Scott, den Eddie Marsan mit Schaum vorm Mund gibt, muss folglich an Poppy verzweifeln, die für das Autofahren nicht gemacht ist: Nicht so sehr, weil sie auch dabei Absatzschuhe trägt, sondern weil es einfach zu schnell geht, um sich an Eichhörnchen zu erfreuen, die über die Straße huschen. An seinem offenem Ende zeigt der Film Poppy mit ihrer Freundin, Kollegin und Mitbewohnerin Zoe (Alexis Zegerman) schließlich im Boot, wo es nicht um Fortbewegung geht, sondern darum, Kreise zu drehen und dem dahinplätschernden Leben angeregt nachzulauschen.
Man könnte aber genauso gut sagen, dass Happy-Go-Lucky ein Erziehungsfilm ist. Der würde davon erzählen, wie man sich den Anforderungen, die das Leben stellt, am besten anpasst. Die stolze Flamenco-Lehrerin, deren Kurs Poppy einmal besucht, empfiehlt das Lernen durch Einfühlung, die sie so sehr beherrscht, dass sie von den Fiktionen ihres Rollenspiels selbst zutiefst deprimiert wird. Fahrlehrer Scott vertraut dagegen auf ein festes Regelsystem, das durch Wiederholung und einprägsame Bilder Sicherheit stiftet und in dem jeder Rückspiegel Teil eines verschwörungstheoretischen Memorierungsprogramm ist. Poppys Schwester, die gerade ein Kind bekommen hat und ihrem Mann in der Vorstadt jegliche Regung spontaner Begeisterung untersagt, hängt zum dritten einer Idee von Verantwortung nach, die von außen kommt und sich wie Mehltau über ein Leben legt, in dem jede Bewegung vorgezeichnet ist. Poppy selbst dagegen will nur spielen: In jeder Sekunde ihres Lebens wie beim Basteln in der Klasse, bei dem sie, anders als Zoe, die immer Lehrerin bleibt, völlig aufzugehen scheint im ziellosen Herumalbern mit den Kindern. Was im Übrigen nicht zu verwechseln ist mit der Verantwortungslosigkeit, die ihre Schwester ihr unterstellt: Sehr wohl registriert Poppy die Aggressionen eines Schülers, der seine Klassenkameraden malträtiert, woraufhin ein Sozialarbeiter einbestellt wird zur Hilfe.
Happy-Go-Lucky ist ein Film, der vieles offen lässt, ohne die Augen zu verschließen vor den Schieflagen in der Wirklichkeit. Seine Politik ist eine der kleinen Witze, was manchem Betrachter mit ausgeprägtem Unrechtsbewusstsein womöglich etwas lasch daherkommen mag. Der Zauber, den Poppy verbreitet, besteht aber gerade in der privaten Definition eines gesellschaftlichen Auftrags: "Was kann ich anderes machen, als zu jedermann nett zu sein." Das ist keine Ideologie, wie sie das so genannte Feel-Good-Movie ausgibt, das sich über die Zumutungen des Lebens mit krampfhaftem Lächeln hinwegzutrösten versucht. Es ist vielmehr das Maß an spielerischer Leichtigkeit, dass gute Laune als eine Voraussetzung zum Glücklichsein in zweifelnder Konsequenz begreift.
Die Scheu über Mike Leighs Filme zu schreiben und über Happy-Go-Lucky im Besonderen, rührt also aus dem zärtlichen Wissen, ihrem tiefen Reichtum unmöglich gerecht werden zu können. Das ist ein Dilemma, vor dem die Kritik immer steht, und doch wird es deutlich vor allem bei Mike Leigh. Wenn man zwei Stunden mit Poppy Cross verbracht hat, dann wird einem bewusst, was das Kino doch immer nur ist: ein Lichtspiel, ein schöner Traum im abgeschiedenen Dunkel eines großen Saales. Am liebsten würde man ihn nach dem Abspann gleich noch einmal träumen, und das Treffendste, was man anderen darüber sagen kann, ist: Schaut ihn euch selbst an.
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