Prager Liebling

Entdeckung Zbyněk Brynych drehte kuriose „Derrick“- Folgen und waghalsige Kinofilme. "Die Weibchen" ist jetzt auf DVD erschienen, der Rest in einer Berliner Retrospektive zu sehen
Ausgabe 26/2017

So schön muss man über Film erst einmal reden können. Zum Bonusmaterial der DVD-Edition von Die Weibchen, die gerade beim Kölner Label Bildstörung erschienen ist, gehört ein 40-minütiger Clip. In dem erzählen Rainer Knepperges, Dominik Graf und Olaf Möller über den Film und seinen Regisseur Zbyněk Brynych.

Der Tscheche wurde 1927 geboren. Mit 17 Jahren hatte er seinen ersten Kontakt mit dem Kino – als zweiter Trompeter in einem Orchester, das einen Willi-Forst-Film vertonte. Ab Ende der 1950er Jahre machte er Filme, die auf den Festivals in Cannes oder Locarno liefen. Nach dem Ende des Prager Frühlings landete er schließlich in München und drehte in kurzer Folge drei Kinofilme (Oh Happy Day; Engel, die ihre Flügel verbrennen und eben Die Weibchen), die binnen des zweiten Halbjahres 1970 in die Kinos kamen. Brynych wechselte wegen des kommerziellen Misserfolgs jedoch zum Fernsehen und führte bei den Herbert-Reinecker-Serien des Helmut-Ringelmann-Universums Regie (Der Kommissar; Derrick; Der Alte). Zwischendurch drehte er auch wieder in der Tschechoslowakei.

Kurz vor seinem Tod 1995 in München wurde Brynych von Filmliebhabern wie Knepperges entdeckt und noch einmal beziehungsweise überhaupt einmal interviewt: Allein in dieser Geschichte steckt die Schönheit der gesamten DVD-Box. Wissensakkumulation und Rechercheaufwand des analogen Zeitalters treten hervor, wenn Knepperges berichtet, wie der cinephile Freund Stefan Ertl ihm begeistert von Kommissar-Folgen erzählte, von denen, die Brynych gemacht hat. Der Tscheche begriff Reinecker-Drehbücher nur als Vorwand für seine Schwenks und Zooms und Blicke in die Kamera. Er ließ Erik Ode tanzen und folterte Verdächtige mit redundant eingesetzter Musik zum Geständnis.

Es war eine echte Entdeckung, diesen Künstler inmitten von Ringelmanns unendlicher Fernsehproduktion zu finden, herauszubekommen, ob er überhaupt noch lebt, und schließlich nach München zu fahren, um mit ihm zu reden. Das Interview ist im Booklet von Die Weibchen nachzulesen.

Kreisbewegung zur Freiheit

Zbyněk Brynych ist spätestens seitdem, seit 1993 eine feste Größe in cineastischen Kreisen. Seine Bedeutung für die große, die offizielle Filmgeschichte lässt sich vielleicht auch deshalb schwerer fassen, weil sie sich in Fernsehserien versteckt und über ein auf zwei Länder verteiltes Werk erstreckt. Ganz gewiss aber auch, weil der Ekstatiker Brynych, der sich aus Regelbrüchen eine Ästhetik gezimmert hat, also das macht, was man eigentlich nicht tut mit der Kamera und dem Schnitt und der Musik, und der dabei aber ein Souverän ist: Seine Filme mögen den Sehgewohnheit genannten Erwartungen entgegenlaufen, aber sie erschöpfen sich nicht in Provokation.

Sie finden vielmehr zu einer ganz eigenen Form, wie man in Die Weibchen sehen kann. Der Film liegt in gleich zwei Fassungen in der Edition vor, einer knapp 90-minütigen Ur-Version, die wohl aus der Erfahrung der beiden anderen, an der Kinokasse gefloppten Filme auf eine um 15 Minuten kürzere Fassung komprimiert wurde, zu der Peter Thomas eine eigene, grellere, umfassendere Musik komponierte.

Die Weibchen kokettiert mit Horrorfilm und Satire – wenn Uschi Glas als Darling der damaligen Zeit zu Beginn im Zug sitzt auf dem Weg zu einer Kur, erscheint die Außenwelt verzerrt und gekrümmt durch die Perspektive des Fischauges. Es ist eine Verschwörung im Gange, unklar bleibt lange, auf wen sie zielt. Valerie Solanas’ S.C.U.M. Manifesto ist nicht nur ein visuelles Motiv des Films, die wenigen Männer, die in den matriarchalen Zusammenhängen auftauchen, werden kaltblütig ermordet. Auch für den in Mönchskutte gewandeten Eiferer, der eine Demonstration von lauter Frauen stören will, geht die Sache nicht gut aus.

An der Oberfläche erscheint Die Weibchen popkulturell reizend, aber im Kern entpuppt sich der Film als Fantasie über den Umgang mit einer Gewalterfahrung, wie sie die Uschi-Glas-Figur gemacht hat, die sexuelle Exploitation durch den Chef, gegen den die Sekretärin nichts tun kann. In Reinecker-Büchern wäre die Frau selbst schuld an der Gewalt, die sie auf sich zieht – in Die Weibchen findet sie am Ende der Kreisbewegung, die der Film vollzieht, zu ihrem Recht. Und wer die Bewegungen im Werk von Brynych verfolgen will, dem sei die große Retrospektive im Berliner Zeughauskino empfohlen.

Info

Die Weibchen Zbyněk Brynych D/ITA 1970, 70/ 86 Minuten, DVD & Blu-Ray, Bildstörung, 20 €

Die Brynych-Retrospektive läuft vom 1. bis 30. Juli im Zeughauskino Berlin: bit.ly/2t9fRmk (Offenlegung: Am 20. Juli wird Matthias Dell in das Programm einführen)

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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