Sophie Rois. Könnte natürlich auch die Steuererklärung vorlesen, und es wäre eine Freude. Wenn der Sonntagskrimi gezwungen wird, Pause zu machen von der Routine, traut er sich was. Hier ist es die Schwangerschaft von Olga-Lenski-Darstellerin Maria Simon, die zur Vertretungsfolge zwingt. Beim Münchner Polizeiruf war es seinerzeit der überraschende Tod Jörg Hubes: Stefanie Stappenbeck, kaum richtig eingeführt, bekam keinen neuen Partner, sondern durfte nur noch Zeit überbrücken bis zu Matthias Brandts marvellous Meuffels allein beziehungsweise für einmal mit Lars Eidinger, was sehr lustig war.
Sich etwas zu trauen ist deshalb auch zu ungenau als Angabe, weil Sophie Rois (wie auch Eidinger) zuerst natürlich Sicherheit verspricht. Ganz schief kann's nicht gehen, und gleichzeitig kokettiert die Folge mit einer Art von Prominenz, die sie in Serie schwer haben könnte (wobei Sophie Rois auch schon mehrere Auftritte beim Tatort in Österreich absolviert hat). Der Mut zur Variation findet auf einer anderen Ebene statt, zumindest hier: Die Gurkenkönigin ist eine Polizeiruf-Folge, die stark in Skurrile zieht.
Ein Kammerspiel auf dem Lande, genauer in einer Gurkenproduzenten-Dynastie. Iron Pickle Lady Luise (die große Susanne Lothar) wird fast in Flammen gesetzt von einem Dracula-Darsteller modernen Zuschnitts. Der sieht aus wie eine Mischung aus Batman und Joker, weshalb man den ersten Witz, mit dem Sophie Rois als Tamara Rusch sich bei good ol' Krause (Horst ~) vorstellt ("Professor Van Helsing"), nicht gleich checkt. Wir zumindest, aber womöglich ist dieses Wir einfach kein Maßstab für hintersinnigere Witze.
Wie hüübsch
Für dieses Wir steckt im Vorstellungswitz bei unklarem Bezugsrahmen dann aber ein Indiz, das zum Problem dieses Polizeiruf führt: Das Drehbuch von Wolfgang Stauch ist in manchen Momenten zu smart. Kommt jetzt vielleicht etwas merkwürdig rüber – sonst immer schön über die Konfektionsware nörgeln, aber wenn dann einer mal was will, wird das umgehend niedergewalzt. Vielleicht liegt es auch an der Inszenierung von Ed Herzog, dass der Drive der Dialoge in manchen Momenten wie stillgelegte Kraftmeierei anmutet. Das, was hakt, in Die Gurkenkönigin, würde der Schrauber als Kupplungsschaden diagnostizieren: Zum Ende hin wird eher untertourig gefahren, manchmal jault noch ein Witz auf, aber so richtig will man dann gar nicht mehr wissen, wer hier was gewesen ist. Wenn man in Familien kommt, in denen alles zu spät ist, weil die Mutter sich auf einer Reise selbst finden muss, der Vater (der große Bernhard Schütz etwas unterfordert) mit allem abgeschlossen hat und die Töchter sich um den Lover (der Pete Doherty des Spreewalds: Hannes Wegener) streiten, der dann auch noch der Halbbruder der einen (Lisa Wagner) ist – was soll man sagen, es geht einen alles so furchtbar wenig an. Und die Erklärung, dass hier jeder nicht das Leben lebt, dass er eigentlich leben will beziehungsweise das Leben eines anderen leben muss – die ist einfach zu universell als Dachschaden, als das man damit etwas anfangen könnte.
Schön ist, dass das Dynastische, das im Osten (don't forget the Planwirtschaft) zwangsläufig gebrochen sein muss, hier auch in seiner Brüchigkeit erklärt wird. Klaus Manchen, der Bukoff-Vater aus Rostock, macht den Patriarchen, mit dessen mühseliger Vergangenheit Roisens Rusch heiter umspringt, ohne sich lustig zu machen. Überhaupt ist natürlich Sophie Rois eine Schau in ihrer klabauterhaften Naivität, die es faustdick hinter den Ohren hat, und die hier das Miss-Marplige in ihrer diebisch-freudigen Überzogenheit gibt. Allein diese Stimme, die sich immer nicht entscheiden kann, ob sie flüstern, drohen und jubeln soll und deshalb alles gleichzeitig macht. Wie Sophie Rois "wie hüübsch" sagt, es geht einem das Herz auf und nimmer wieder zu. Horst Krause gewohnt souverän in seiner schwer atmenden Anstelligkeit ("Bin überzeugter Junggeselle") und den Anweisungen an den Praktikanten. Aber wie bei Rois wird man das Gefühl nicht los, dass solche prägnanten Charaktere besser sind, wo nicht die ganze Einrichtung darauf abgestellt ist, ihrer Prägnanz den roten Teppich auszurollen.
Nicht ganz klar sind wir uns über diesen prätentiösen Künstler Schnitthelm (Peter Benedict), der überall seine furchtbaren Skulpturen rumstehen hat und dem man mit Schützens Vater permanent zurufen möchte: "Geh mir nicht auf den Sack" oder mit Roisens Rusch: "Der geht mir auf die Nerven". Gleichzeitig motiviert er ein paar schöne Kunstpausen, wann immer jemand Skepsis gegenüber dem "Künstler" oder den "Kunstwerken" zum Ausdruck bringen will.
Die Musik (Tamás Kahane) hat ihre Momente.
Eine Weisheit, die man sich auf Kopfkissen sticken kann: "Wer immer zu früh kommt, kommt nie zu spät"
Eine bittere Wahrheit über den Karrierismus: "Kann nicht jeder berühmt werden, der kein Talent hat"
Eine falsche Vorstellung vom gelingenden Leben: "Sie hat das hier gewollt, es war ihr Traum"
Kommentare 11
spätes wallace immitat mit schrulligen charakteren und einem normalem - dem hund.
Die beste Textzeile: "Wuff" .
Schad', daß es halt doch noch eine Leich' für die Roxane hat geben müssen. So richtig unkonventionell wär's ohne Leich g'wesen: Die Mutter fliegt davon, und der Vater schmeißt dem Krause seine Krachn mit Ladehemmung in den Fließ.
Dell! In den Keller! EC 1835 ölen!
Der Professor van Helsing war doch harmlos. In einer englischen Comedyserie übers Dracula-Thema (muß in den frühen 1980er gewesen sein) hieß der Professor "Hertz Van Rental" ...
Ich hätte mich doch sehr gefreut, wenn man die Leiche nicht gefunden hätte. Aber dann wäre diese tolle AufbahrDramaSzene nicht gewesen.
Es gibt ihm nachhinein sicherlich ne Menge zu kritisiren, wenn man diesen Polizeiruf auseinandernimmt. Das Faszinierende für mich allerdings war, dass er eben doch so gut funktioniert hat. Ich für meinen Teil hatte Spaß und bin froh, dass ich beim Auftauchen Draculas nicht abgeschaltet habe.
Sophie Rois als moderne Miss Marple im Spreewald. Saukomisch war das. Großartig gespielt von Sophie Rois und Susanne Lothar.
Was es uns angeht. Auch nicht mehr als das Familiendrama in Paddington. Aber es hat mich auch nicht gestört. Muss der Polizeiruf/Tatort immer dicht am Leben sein? Normalerweise würde ich sagen: Jaaaa. In diesem Fall nicht. Und wie oft tut er nur so.
Die Geschichte hatte deutlich Soapniveau. Allein dieses Bruder und Schwester Ding. Das kommt in der Soapwelt gleich nach dem plötzlich auftauchen Vater von dem nie jemand vorher etwas wusste. Soapiges im Sonntagskrimi bringt sonst auf die Palme. Aber es hat so funktioniert. Als sie im Schuppen vögelten, dachte ich kurz: Nee, wie billig. - Aber die Auflösung der Szene.durch Rois hat es gleich wieder gerettet bzw. stimmig gemacht. Ein Klische folgt dem anderen, da wird wirklich alles abgefrühstückt. Und doch fand ich diesen Polizeiruf ganz groß. Man muss den Krimi nicht immer neu erfinden. Es kommt eben auch einfach darauf an, wie man es macht.
Schütz war hier allerdings unterfordert. Wenn schon Soap hätte er sich auch an Rois ranmachen können um seien Frau eifersüchtig zu machen. Ich hätte den beiden gerne dabei zugesehen. Und nach der Ansage mit Anlauf bezüglich des Leichenfundes durch den Praktikanten, hätte dieser die Leiche zumindest vollkotzen können.
Schön auch, wie Frau Rois am Ende simplen Wahrheiten fast etwas PhiloSophisches gibt:
Schuld hat der, der abdrückt.
War auch sehr begeistert vom Krimi. Die gute Kritik ist gerechtfertigt. Warum kannte ich Sophie Rois eigentlich nicht? Und warum habe ich so lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Szenerie eben nicht drauf und dran ist, sich in irgend ein Polizeipräsidium mit durchklingelnden Telefonen, miesepetrigem Oberchef und einer schrulligen Sekretärin zu verwandeln, die dem Papierstau im Kopierer nicht Herr wird? Schlecht von mir.
war gerade unten, er hat so komische geräusche gemacht und die rechts sind zwei platten von der verkleidung abgefallen, weshalb da jetzt so rostfarbene flüssigkeit rausläuft, aber eigentlich läuft er gut.
"hertz van rental" ist schick, ich fand den witz auch nicht schlecht, er hat mich nur überrascht, weil ich diese moderne interpretation eines dracula nicht sofort erkannt habe. vielleicht auch nur zuviel kinski geguckt
"Warum kannte ich Sophie Rois eigentlich nicht?"
eben. anfang mai bekommt sie den preis der stiftung preußische seehandlung, klingt etwas sperrig, ist aber eine sehr hohe ehrung in der welt des deutschen theaters. eigentlich müsste sophie rois an jeder hand natürlich für gertrud-eysoldt-ringe tragen
diese diskussion mit dem "dicht am leben" ergibt sich hier ja öfter. realismus als solcher ist ja eine fiktion, zuerst muss der film in sich "wahr" sein, und dann kann er, mal abstrakter, mal konkreter, bezüge zu dem "dicht am leben" haben. vermutlich könnte man auch in dem gurken-setting fragen verhandeln, die gesellschaftlich relevant sind. und das ist das schöne, die pflicht, möchte ich fast sagen, auch wenn es meist nicht gelingt.
ende april startet im kino ein kleiner film, "totem", der ist auf eine weise total künstlich und "unrealistisch", und trotzdem erzählt er was über eine gerade sehr konkrete gesellschaftliche wirklichkeit. da wird es dann interessant, imho
Spielte der Stoff eigentlich mit Nöstlingers 'Wir pfeifen auf den Gurkenkönig'? Erinnere mich nicht mehr wirklich an die Handlung des Buches.
Ein bisschen war es aber auch: Ziegen die auf Männer starren.