Napola ist nicht nur ein historisch unsauberer Film, Napola ist überhaupt kein historischer Film, insofern man darunter eine Auseinandersetzung mit Geschichte versteht und nicht bloß das Raushängen der Hakenkreuz-Fahne. Geschichte, in diesem Fall: die Ansicht des "Dritten Reichs" durch einen Heranwachsenden, bleibt dem Film von Dennis Gansel äußerlich. Nazi-Deutschland ist eine Zimmerdekoration für den Traum, den der Kapitalismus seit je an die in ihm Unterprivilegierten ausgibt: Auch du kannst es schaffen!
Schaffen soll es Friedrich Weimer (Max Riemelt), der Kohle schippt und Fahrrad fährt durch den vom Krieg schon gezeichneten Berliner Wedding. Alle von der Gemüsefrau bis zum kleinen Bruder mögen Friedrich, und beim Boxen ist er eine Wucht. Das Talent erkennt der Boxfreund Vogler (Devid Striesow), der Friedrich aber merkwürdigerweise nicht für einen Boxverein, sondern für eine "Nationalpolitische Erziehungsanstalt" gewinnen will. Wer gut boxt, wird in Mathe und Latein schon nicht ganz schlecht sein, auch wenn er mit 14 die Schule verlassen hat? Bereits hier schlägt der gute Wille Funken, mit dem das Drehbuch seine Aufsteigergeschichte auf Gleise setzt, die eine Spur zu breit sind. Was Napola mit seinem boxenden Friedrich erzählen will, ist die Geschichte von Sylvester Stallones Rocky: der Underdog, der es allen zeigt. Das erklärt, warum das Boxen, Paradebeispiel des Jeder-kann-es-Schaffen, eine so große Rolle spielt. Es erklärt aber nicht, was das alles mit dem Leben auf einer Napola zu tun hat, die schließlich Nachwuchs für Armee und Staat heranziehen sollte, und keine Boxer. Aber wenn man sich seine Emporkömmlinge schon selbst träumen kann, dann hätten wir unseren Aufsteiger ungern roh wie Rocky, sondern lieber gut durchgebildet wie Friedrich.
Der geht seinen Weg, und lächelt, lächelt, lächelt, seit er auserkoren ("det is´ die Elite"), was vermutlich die Verführtheit anzeigen soll. Verführt ist Friedrich nicht durch Ideologie, denn das wäre ja der historische Film, sondern durch die Aussicht dazuzugehören. "Da brauchst du dir um Geld keine Sorgen zu machen". Den Eintrittspreis in die besseren Kreise, also: die Verleugnung seiner kleinbürgerlichen Familie, entrichtet Friedrich kaltschnäuzig, indem er dem opponierenden Vater mit Denunziation droht, damit der ihm seinen Aufstieg lässt. Auf der Napola angekommen lächelt Friedrich weiter und freundet sich an mit dem zart besaiteten Gauleiter-Sohn Albrecht Stein (Tom Schilling), der da ist, wo Friedrich hin soll: oben. Dass man da nicht nur Johann zum Chauffeur sagt, erfährt Friedrich auf Wochenendausflug bei Gauleiters, wo der arme Albrecht das Kunststück vollbringt, in vier Szenen vier mal gedemütigt zu werden. Friedrich wird derweil als Adoptivsohn in Stellung gebracht: "Für dich bin ich der Heinrich", sagt Gauleiter Stein (Justus von Dohnanyi).
Und er sagt es noch einmal in der krudesten Szene des gesamten Films, was zeigt, wie sehr es Gansel um sein bürgerliches Wunschträumen geht und wie wenig um den Konflikt des jungen Menschen im Nazi-Staat. Die Napola-Schüler müssen nachts in den Wald, um entlaufene Kriegsgefangene zu jagen, die sich gestellt als Kinder entpuppen. Räuber und Gendarm mit scharfer Munition, aber schön beaufsichtigt von den Erwachsenen inklusive Gauleiter. Was hier alles zusammenkommt, kann einem Tränen in die Augen treiben. Ein wenig Volkssturm-Verzweiflung mit sadistischem Befehlsgehabe an Menschlichkeitsschmus: Fertig ist die Schlachteplatte. Dem selbst geschossenen Russen fallen pittoresk Schneeflocken ins Auge. Was einen anderen nicht daran hindert, noch vor dem Sterben dem Mullbinden stopfenden Albrecht "Spassiba" entgegenzuhauchen, als hätte er den Film gesehen und wüsste, dass Albrecht und die anderen, die gerade auf ihn geschossen haben, die Guten sind und nur die Erwachsenen schuldig. Edel ist der Russe, hilfreich und tot. Und noch in diesem Gemisch aus Angst, Erregung und Kitsch besteht der Gauleiter, der wieder mal seinen Sohn zusammenstaucht, Friedrich gegenüber auf dem Du: "Für dich bin ich der Heinrich."
Am Ende wird das Aufsteigermärchen ein wenig trüb. Albrecht sinkt im pathetischen Freitod dahin, und Friedrich übt Verzicht. Er schlägt beim entscheidenden Kampf nicht zu, wo der K.o. nahe ist, sondern lässt sich schlagen - die mit Schulleiter und Gauleiter prominent besetzten Ränge immer im Blick. Das habt ihr nun davon, denkt sich Friedrich beleidigt. Das hast du nun davon, denkt sich die Elite und schmeißt ihn von der Schule, nachdem er sich nackt ausziehen musste: "Die Unterhose gehört auch uns". Merke: Wenn man sich´s mit der Oberschicht verscherzt, ist´s mit der Großzügigkeit vorbei.
Und was merkt man noch? Die Moral ist billig zu haben, was sich etwa an den überaus schlichten Charakteren zeigt. Der Gauleiter ist seinem Sohn gegenüber zu keiner menschlichen Regung fähig, weshalb es wenig glaubhaft wirkt, dass er Friedrich am Ende in einem Brief eine Mitschuld an dessen Tod geben soll. Als Albrecht ertrinkt, ist Friedrich der einzige, der die Hand aufs Eis legt - seine Klassenkameraden wie die Witzfigur des Sportlehrers stehen in Reih und Glied, weil der Film sie dazu verdonnert hat, "böse Nazis" zu sein.
Friedrich wird mit kurzer Hose ins Schneetreiben vor der Burg entlassen. Die Musik, die hell und traurig zugleich tönt, kann alles bedeuten, das gleiche gilt für Friedrichs Gesichtsausdruckspalette von Stolz bis Wehmut. Dass der Traum vom Aufstieg böse ausgeht, rettet Friedrich den moralischen Sieg. Er begehrt nicht gegen etwas auf, sondern verweigert sich den Spielregeln des Aufstiegs, und sein Glück ist, dass die Spielregelaufsteller in diesem Fall Nazis sind, denen er sich damit gleich mitverweigert. Solches Lavieren ist die bevorzugte Bewegung in Napola. Die Stiefel etwa knarzen und die versammelte Schülerschar erhebt sich derart zackig, dass man überlegt, ob nur die Filmfiguren oder nicht auch der Geräuschemacher das Militär-Gedonner recht aufregend findet.
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