Als Caroline Link im Frühjahr überraschend einen Oscar für Nirgendwo in Afrika erhielt, vollzog die deutsche Filmkritik eine ebenso überraschende Wende. Der prestigeträchtige Preis adelte im Nachhinein einen Film, der bei seinem Erscheinen eher verhalten aufgenommen worden war. Plötzlich hatte Caroline Link alles richtig gemacht, und die Kritik vergaß die Skepsis, die sie der Oscar-Preisträgern in früheren Jahren entgegengebracht hatte.
Als Katja Riemann in Venedig unlängst als beste Darstellerin für ihr Spiel in Margarethe von Trottas Rosenstraße ausgezeichnet wurde, zeigte sich die Kritik unbeeindruckt. Sie erwog keine Rehabilitierung, sondern erinnerte sich höchstens aufs Neue an ihr liebstes Feindbild. Weil Katja Riemann in den Zeiten der deutschen Beziehungskomödie einige Male zu häufig im Kino zu sehen war, fungiert sie als Metonymie für das deutsche Kino der frühen neunziger Jahre, die alle Verachtung und Abscheu gegenüber dieser Epoche auf sich zog. Man muss Katja Riemann nicht sonderlich mögen und noch weniger Filme wie Stadtgespräch oder Nur aus Liebe, um festzustellen, dass sich der Riemann-Reflex der deutschen Kritik ins Pathologische übersteigert hat.
Das nur vorweg.
Interessanterweise ist nämlich nach dem Start von Rosenstraße ein anderer Streit entfacht als die Frage, ob man pro oder contra Riemann ist. Der Historiker Wolfgang Benz, Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung der TU Berlin, hat in der Süddeutschen Zeitung gegen Margarethe von Trotta den Vorwurf der Geschichtsklitterung erhoben. Rosenstraße erzählt von einer bislang kaum bekannten Episode deutschen Protests gegen die Naziherrschaft. Ende Februar 1943 wurden in Berlin jüdische Männer, die bis dahin unter dem Schutz der "Mischehe" lebten, an ihrem Arbeitsplatz verhaftet und im vormaligen Wohlfahrtsamt der jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte interniert. Während den Gefangenen die Deportation in ein Vernichtungslager drohte, versammelten sich die deutschen Ehefrauen vor dem Haus, riefen den Bewachern "Mörder" entgegen und verharrten so lange in der Rosenstraße, bis ihre Männer nach einer Woche wieder freikamen. Benz wirft der Regisseurin nun mit Bezug auf Wolf Gruners 2002 erschienene Studie zu den Vorgängen in der Rosenstraße vor, die historischen Tatsachen verfälschend dramatisiert zu haben, weil zum einen die jüdischen Männer aus den "Mischehen" nicht für den Abtransport vorgesehen waren, sondern als Pfand im Austausch gegen dritte, und weil zum anderen Joseph Goebbels, an den Katja Riemann sich im Film hilfesuchend wendet, in der Frage "Rosenstraße" keine Entscheidungsgewalt besaß. Vor diesem Hintergrund hält es Benz für unredlich, "im Vorspann den Eindruck zu erwecken, das Gebotene sei authentisch und habe sich so zugetragen".
Margarethe von Trotta hat darauf nur erwidert, dass weder sie noch Herr Benz wissen könne, was damals wirklich geschehen ist, und verwies darauf, dass der Satz aus dem Vorspann lediglich die "Ereignisse in der Rosenstraße" meine: die Frauen, die dort warteten, bis ihre Männer zurückkehrten.
Es geht im "Rosenstraßenkampf" also weniger um die große Frage nach der Autonomie von Kunst, sondern vielmehr um die interpretatorische Kleinarbeit, darum, was der Satz: "Die Ereignisse in der Berliner Rosenstraße vom 27. Februar bis 6. März 1943 haben tatsächlich stattgefunden" meint und was nicht. Will man sich auf eine solche Haarspalterei einlassen, dann spricht für Margarethe von Trotta, dass in dem Eingangs-Satz kein Bezug zum Film hergestellt wird. Weder ist von "diesen Ereignissen" die Rede, noch behauptet ein "so" zwischen "haben tatsächlich" und "stattgefunden", dass der Film zeigen will, was in Wirklichkeit geschah. Zudem, es wird immer penibler, könnte man anbringen, dass nur von Ereignissen "in der Rosenstraße" gesprochen wird, und dass diese Ortsangabe die Villa, in der das Treffen mit Goebbels stattfand, eben ausschließt. Im Sinne von Wolfgang Benz ließe sich wiederum anführen, dass die wenigsten Zuschauer den inkriminierten Satz mit solch philologischer Aufmerksamkeit lesen werden.
Es nützt beiden Seiten vermutlich wenig, wenn man nach Ansicht von Rosenstraße zu dem Schluss kommt, dass der Film die Debatte nicht wert ist - wenngleich dieser Befund die Annahme nahe legt, dass die Erinnerung an den Film Rosenstraße in ein paar Jahren aus kaum mehr als der grundlegenden Tatsache bestehen wird: dem vehement-friedlichen Protest, durch den die Frauen aus der Rosenstraße dem Nazi-Regime trotzten. Wo Steven Spielberg für Schindlers Liste eindrückliche Bilder gefunden hat, erscheint Rosenstraße ästhetisch hochgradig disparat.
Zehn Jahre hat Margarethe von Trotta an dem Projekt gearbeitet, fast genauso lang liegt ihr letzter Kinofilm Das Versprechen zurück, aber das Ergebnis wirkt dürftig, ja lieblos. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass der Stoff durchaus eine Herausforderung bildet. Während die Biographie Schindlers oder auch die des Pianisten von Polanski reich an Stationen und Aktionen ist, bestehen die Rosenstraße-Ereignisse ja aus nichts als tagelangem Warten. Das ist auch eine Erklärung dafür, warum Margarethe von Trotta ihrer Rahmenhandlung soviel Platz gegeben hat.
Der Film beginnt mit dem Blick auf einen Friedhof, von dem aus sich das Teleobjektiv der Kamera den Häuserlandschaften New Yorks nährt. Dort lebt die jüngst verwitwete Ruth Weinstein (Jutta Lampe) mit ihren Kindern, und die Hartnäckigkeit, mit der sich die Trauernde gegen eine Heirat ihrer Tochter Hannah (Maria Schrader) mit dem Nicaraguaner Luiz (Fedja von Huet) sträubt, bringt Hannah auf die Spur der Vergangenheit. Ihre Mutter wurde von einer Deutschen gerettet, erfährt sie von einer Tante, und also begibt sich Hannah nach Berlin, um nach den Wurzeln des familiären Schweigens zu forschen. Sie trifft auf die 90-jährige Lena Fischer (Doris Schade), die einst das von der deportierten Mutter getrennte Kind Ruth aufnahm und zu den Widerständigen der Rosenstraße gehörte. Lena Fischer liefert auch den Schlüssel zur Verbitterung von Hannahs Mutter: Deren Vater war ein Deutscher, der im Gegensatz zu den tapferen Frauen der Rosenstraße unter dem Druck der Nazis einknickte, sich scheiden ließ und damit die Mutter und das Kind Ruth dem herrschenden Judenhass schutzlos aussetzte.
Im Gegensatz zu anderen Historienfilmen, die eine Rahmenhandlung lediglich als Verankerung in der Gegenwart betrachten, durchdringt bei Rosenstraße die Jetztzeit das Historische permanent. Was sonst kaum mehr als eine Regieanweisung ist, erhält hier ein dramatisches Eigenleben. Und daran scheitert Margarethe von Trotta. Bleiern sitzt Jutta Lampe in den abgedunkelten Räumen ihrer Wohnung und spricht rare Worte im hohen Bühnenton, hölzern wirkt Maria Schrader, gerade auch weil die Rahmenhandlung in der Gegenwart kein eigenständiger Film sein will, sondern immerfort ein Mehr an Realitätssinn im Vergleich zum Gewesenen für sich behauptet. Selten hat man eine so uninspirierte Liebeserklärung gesehen wie die zwischen Hannah und Luiz, die sich an ihren Computern gegenüber sitzen.
Überhaupt der Computer. Maria Schrader, die eine ähnliche Rolle bereits in Dany Levys Meschugge spielte, ist mit allen Klischees der Gegenwart ausgestattet, die sich für eine Dokumentation der Vergangenheit bewaffnet hat. Andauernd muss sie auf ihren Laptop einhacken, Emails versenden oder mit New York telefonieren, allerdings nur um festzustellen, dass in ihr - und dem Zuschauer ergeht es nicht anders - kein Platz ist für die Problemchen des Heute.
Die Stereotypisierung setzt sich in der Vergangenheit fort: Nazis brüllen, deutsche Väter sind Generäle, und bis auf die junge Lena Fischer (Katja Riemann) erfährt man über keine der Figuren mehr als zwei Sätze. Das größte Ärgernis von Rosenstraße besteht aber neben den prätentiösen Dialogen ("Vater hatte einen Horror vor Juden, die auf einmal ihre jewishness entdecken") in der betulichen Inszenierung. Nie gelingt es der Kamera, vergessen zu machen, dass sie da ist. Wenn Katja Riemann vergnügt auf ihren tanzenden Bruder Arthur (Jürgen Vogel) schaut, kann man die dem Kameraschwenk vorausgegangene Regieanweisung "Und jetzt schau mal vergnügt" geradezu hören.
Insofern hat Wolfgang Benz Recht, wenn er Rosenstraße als "Klamotte" bezeichnet. Zumindest aus filmkritischer Sicht.
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