Ruhig Blut, Rut

Medientagebuch "Den Willy, den hat man geliebt" - Oliver Storz´ Fernsehfilm zur Guillaume-Affäre

Zu den Dingen, die der jugendlich-ungestüme Helmut Rahn in Sönke Wortmanns Jubiläumsfilm Das Wunder von Bern noch lernen muss, gehört die einfache Meteorologie. Demzufolge gibt es zwei Arten von Wetter: Fritz-Walter-Wetter und den Rest. Fritz-Walter-Wetter ist, wenn´s regnet. Hat es im Finale gegen die Ungarn dann ja auch, und so war das Aufbruchssignal fürs Wirtschaftswunder gesetzt. Heißt es zumindest im Abspann.

Im Abspann von Im Schatten der Macht, dem zweiteiligen Fernsehfilm über die Guillaume-Affäre und den Brandt-Rücktritt, stand dagegen: "Dieser Film ist frei nach den Fakten, soweit diese geklärt sind, gestaltet. Die Dialoge sind naturgemäß fiktiv, wenn auch nicht unwahrscheinlich." Tumber hat sich selten ein Film dazu bekannt, dass er nicht dokumentieren, sondern unterhalten will.

Dabei ist gegen Unterhaltung prinzipiell nichts einzuwenden, nur müssen sich Im Schatten der Macht oder Das Wunder von Bern fragen lassen, worin der Zugewinn solcher Historien-Spiele besteht. Solange es nur darum geht, die geschichtlichen Markennamen für ein wenig Fernsehdramatik zu missbrauchen, kann man problemlos darauf verzichten.

In diesem Sinne war Im Schatten der Macht vollkommen überflüssig. Oliver Storz, der für Regie und Buch verantwortlich zeichnete, trug die Erzählung vom Fall Brandts als Hymne auf Willy vor. Die Tatsache, dass Brandt eine Symbolfigur und damit mehr war als jeder andere Kanzler, nutzte der Film zur hemmungslosen Überhöhung. "Seine Art Mensch zu sein, schließt Politik aus", erklärt ein Briefe schreibender Walter Scheel (Felix von Manteuffel) Gattin Mildred. Und dem Betroffenen selber: "Den Willy, den hat man geliebt."

Der Mensch Brandt wandelt sich im Film vom anfänglichen Opfer einer Intrige des schmierigen BND-Chefs Nollau rasch zum maßgeblichen Akteur der Szenerie, dem noch der Spion Guillaume (gespielt von Brandts jüngstem Sohn Matthias) aus dem Gefängnis Unterstützerbriefe schreiben will. Spätestens als die Entscheidung zum Rücktritt - und damit zum Liebes-Entzug - gefallen ist, entrückt Storzens Brandt ins Gottgleiche. Das Umfeld wird nurmehr mit richterlicher Skepsis beobachtet, wie es sich unter Zuneigungsbekundungen windet. So erübrigt sich alle Kritik: Weil Brandt die Maßstäbe definiert, kann ihn keiner an anderen messen. Folglich muss selbst die betrogene Gattin einsehen, dass es einen Vertrauensbruch zwischen Eheleuten nicht geben kann, wenn der Mann Willy Brandt heißt und sein Sexualleben von der Boulevardpresse ausgeschlachtet wird. Die private Schwäche verschwindet in der Staatsmannhaftigkeit. Für die Hintergangene (Barbara Rudnik) bleibt nur der Rat von Mildred Scheel: "Ruhig Blut, Rut." Derart entwarf Im Schatten der Macht im Hang zur Gut-Böse-Verkürzung ein Bild von Willy Brandt, das an jenes verklärte JFK-Image erinnert, in dem die Spuren eines tatsächlichen Lebens lange getilgt sind.

Besonders erschütternd aber wirkte, auf welche billige Weise der Film das tat. Klaus Doldingers Synthesizer-Musik umklimperte nahezu jede Szene und wirkte dabei, als hätte Doldinger sie vor 20 Jahren als Auftrag für eine Kaufhausuntermalung komponiert. Für die bemerkenswerteren Momente wurde das Saxophon herausgeholt, das der Einsamkeit der Macht den Blues blies. Herrje.

Die Inszenierung von Oliver Storz war nicht minder klischiert. Wenn nicht der Regen gegen die Fenster- beziehungsweise Autoscheiben trommelte, dann strahlte das Kunstlicht herein und zwar nicht zu knapp, weswegen es eigentlich nur zwei Stimmungen gab - Sintflut oder Götterdämmerung. Als es aufs Ende zuging, spielte Herbert Wehner auf der Mundharmonika Guten Abend, gute Nacht, bevor er noch mal unterzuckerte, weil der Schmidt am Telefon war. Der historische Matthias Brandt durfte auch vorkommen und als neue Generation spät nachts noch Rock´n´Roll im Fernsehen gucken. Seinen idealen Zuschauer vermutete Im Schatten der Macht offensichtlich auf der geistigen Höhe von Jörg Gudzuhns blöd-berlinerndem Leibwächter, der im BND-Verhör irgendwann kapiert, was gespielt wird: "Ihr wollt an den Willy ran." Diese Form des Volksmunds, an den der Stammtisch sein erbostes "Genau!" heften kann, präsentierte der Film häufiger. Einmal etwa sagt Willy, der Mensch: "Eines Tages zählt nur, wie fehlerfrei sich einer im Fernsehen aufführt" - dem Visionär ist nichts zu schwer! Das Büro von Genscher sieht bei Storz aus wie ein Bunker, während der FDP-Politiker aussieht wie Dieter Pfaff, der ihn spielt, und also nicht annährend so wie der echte Genscher. Letzteres gilt auch für Michael Mendl als Brandt oder Jürgen Hentsch als Wehner, die immerhin stimmlich an ihre Vorbilder erinnerten.

Storz bezeugte somit sein Verhältnis zur historischen Genauigkeit bereits durch die Besetzungsliste. Es handelt sich um eine Art ästhetischen Relativismus, der auch Wortmann nicht fremd ist: Wer das Faktische, "soweit dieses geklärt ist", nur für eine Version unter vielen hält, kann getrost seine Geschichte erzählen. Während das Dokumentarische auf eine größtmögliche Ähnlichkeit aus ist, gerade bei der Auswahl der Schauspieler, kann Storz, der Geschichte dramatisch nachstellen will, besetzen, wie es bei Prestigeprojekten üblich ist - die großen Namen zuerst. Man kann sie ja immer noch mit Schminke aufs Vorbild trimmen. Oder durch Marotten: das "S-t" von Günter Gaus, die Pfeife von Herbert Wehner, das Zigarette-Halten von Helmut Schmidt. Bei Storz endet dieser Versuch allerdings in der Karikatur, entpuppt sich die Imitation des hinter den Kulissen vermuteten Dramas als Schmierentheater. Man kann sich vieles vorstellen, das spannender wäre als solches Wichtiggetue im Halbdunkel. Etwa die Wirklichkeit oder Breloers Wehner-Dokument.

Im Schatten der Macht war eine weitere Etappe auf einer Fahrt, die mit Das Wunder von Bern begann und deren Ziel die Mythisierung der Bundesrepublik ist. Im Zug der Geschichte, in den die Helden von Bern für ihre Siegestournee durch Deutschland stiegen, sitzt nun "der Willy" auf Wahlkampf-Reise und bekommt von Guillaume schwedische Journalistinnen zugeführt. Johanna Gastdorf, die bei Wortmann die Heimkehrer-Gattin spielte, fungierte bei Storz als Frau des Spions. Das sind so Wahrnehmungsverwirrungen. Am Ende glaubt man, Brandt sei nur zurückgetreten, weil es an diesem Tag im Film mal nicht regnete: Eben kein Fritz-Walter-Wetter.


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