Im Franchisewesen der zeitgenössischen Blockbusterproduktion ist der Zusammenschluss von Filialen zu einer größeren Unternehmung durchaus üblich. So kann man sich die First-Avenger-Reihe wie eine Mall vorstellen, in der Einzelhändler des Superheldenbusiness (Ironman, Black Panther und so weiter) ihre Fähigkeiten betreiben. Die Verbindung ist zwar eher modular, aber sie dient zwangsläufig einem greater good (noch mehr Welt retten, noch bösere Bösewichte besiegen).
In dem Sinne wäre es interessant zu fragen, warum sich Dokumentarfilme nicht auf ähnliche Weise zusammenlegen lassen sollten. In dieser Woche kommen mit Comrade, Where Are You Today? von Kirsi Marie Liimatainen und Krieg und Spiele von Karin Jurschik zwei Filme in die Kinos, deren Verbindung aufschlussreich sein könnte. Auch wenn sie auf den ersten Blick fernzuliegen scheint: Liimatainen kramt in der Erinnerung der internationalen Solidarität, während Jurschick den Techniken moderner Kriegsführung nachspürt.
Schreiende Jungs
Beide Filme gehen von ihrem Autorinnen-Ich aus, wobei Jurschicks persönliches Involviertsein nicht zwingend ist. Das Ich ist hier nur eine Erzählinstanz, die ein kulturgeschichtliches Essay organisiert, zumeist mit der professionellen Sprecherstimme der Schauspielerin Lena Stolze. Das Ich verstärkt Meinungen (etwa mit der Information, dass es die Autorin bei einem Games-Event nicht lange ausgehalten hat – was die Bilder von trancehaft spielenden und aggressiv schreienden Jungs sowieso vermitteln) und konturiert die Recherche.
Und es hat Sinn für faits divers, die lakonisch arrangiert werden. Zu Beginn besucht die Filmemacherin einen Hobbybastler, um ihre Geschichte historisch zu grundieren. „1982 hat Herr Oepke den deutschen Höhenrekord für Modellkunstflug aufgestellt. Damals noch in der DDR. Doch Herr Oepke ist mit der Zeit gegangen.“ Er arbeitet jetzt mit Drohnen.
Krieg und Spiele ist auf eine ausgewogene Mischung solcher Schlenker mit medial bekannten Positionen aus. So darf der Politikwissenschaftler Herfried Münkler seine in ihrer lustvoll performten Eitelkeit durchaus faszinierende Eloquenz zur Schau stellen und über die Asymmetrie von Kriegen und das postheroische Zeitalter reden, zwei Claims, die er auf den Debattierfeldern der Republik längst abgesteckt hat. Jurschiks mahnender Film zielt auf den Zusammenhang von Games-Industrie und Kriegsführung, auf die Einübung mörderischer Telearbeit am Joystick. Viel Raum nimmt Dave Anthony ein, Miterfinder der Call-of-Duty-Spiele, der vom neuen Transfer zwischen Militär und Unterhaltungsindustrie berichtet, bei dem Leute wie er als Berater für Sicherheitspolitik angesprochen werden.
Krieg und Spiele resultiert in einer erratischen Spekulation über die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz, wenn die Big-Data-Erklärerin Yvonne Hofstetter am heimischen Computer vorführt, welche Datenbilder das menschliche Auge nicht lesen kann, Computer aber wohl. Jurschiks Film will vehement ein Desiderat seiner journalistischen Gebietsvermessung aufzeigen – den Mangel an Technologiekritik. Die ideelle Leerstelle, die ob der rasenden technischen Entwicklung in Krieg und Spiele auftaucht, kann man sich durchaus als Echokammer jener historischen Reise vorstellen, die Liimatainen in Comrade, Where Are You Today? antritt.
Die Finnin versucht, die Fäden eines Knotenpunkts ihrer Biografie wieder aufzunehmen – 1988 gehörte sie zu einem der letzten Jahrgänge internationaler Studentinnen an der FDJ-Hochschule „Wilhelm Pieck“ in Bogensee. Ein Ort, der heute so verwittert ist wie die Ideen, die dort gelehrt wurden. Comrade ist schon investigativ-ästhetisch ein Gegenstück zu Krieg und Spiele. Während dort die Totalität der Datensammlung keine Unsichtbarkeiten mehr zu gestatten scheint, setzt Liimatainen bei der Suche nach ihren Mitstudierenden von einst bei Vornamen an, die der Tarnung dienten, weil Kommunist zu sein in Chile, Libanon oder Südafrika eine mitunter klandestine Angelegenheit war.
Vier frühere Kommilitonen tut die Regisseurin schließlich auf, bei „Duma“, dem ANC-Kämpfer aus Johannesburg, mündet die filmische Suche in ein Detektivspiel, das die melancholische Erinnerung an den Umschlagpunkt 1989/90 bekräftigt: an Mandela, der aus dem Gefängnis freikommt, und eine DDR, die in der Realisierung ihrer sozialistischen Idee zwar versagte, aber immerhin einen Raum zur Verfügung stellte für weltweit verstreute Alternativmodelle zur kapitalistischen Weltordnung.
Suspendierte Kommunisten
Liimatainens Film funktioniert auch deshalb komplementär zu Krieg und Spiele, weil er sich an der globalen Peripherie bewegt, wo Jurschik ins Zentrum vorstößt, dahin, wo Entwicklung gemacht wird. Die Kameraden von einst, die Liimatainen trifft, sind sich treu geblieben, auf bezeichnende Weise aber unbehaust; sie nennen sich selbst „suspendierte“ oder „heimatlose“ Kommunisten. Im Libanon ist die Politik religiös kodiert, in Bolivien stößt der Film auf indigene Kritik an Präsident Morales, die der doch gerade repräsentieren sollte.
Im bigger picture, das derart beide Filme entwerfen, ist der Verlust an politischer Gestalt, die Liimatainens melancholische, von dauernder Filmmusik manchmal etwas stark anemotionalisierte Spurensuche beklagt, genau das Vakuum, vor dem Jurschicks Ermittlung am Ende ratlos sitzt: Die Linke, die sich im Bogensee der sterbenden DDR ihrer internationalen Verbreitung versichern konnte, gibt es nicht mehr. Sie fällt aus als Korrektiv des technologischen Fortschritts. Wo die Kameraden hin sind, fragt sich dann nicht mehr nur ein finnisches Arbeiterkind mit stolzer Familientradition, sondern auch ein pensionierter US-Militär, der in den Tüftlern aus dem Silicon Valley entpolitisierte Menschen fürchtet.
Info
Krieg und Spiele Karin Jurschik D 2016, 90 Minuten
Comrade, Where Are You Today? Kirsi Marie Liimatainen D/FIN 2016, 110 Minuten
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