Spannend, wenn dieses aus der Mode gekommene Tatort-Kriterium zu Beginn erwähnt werden darf, war die NDR-"Tatort"-Folge "Das Gespenst" die ersten zehn Minuten lang. Der Anfang wie vor zwei Wochen in Stuttgart: Landebahn, unter dem Bauch einer anfliegenden Maschine, große Welt, wenn auch nur Flughafen einer deutschen Landeshauptstadt. Das Limitierte zeigte sich danach in den immer wieder gleichen, in den Weitwinkel gepressten Ansichten des Flughafens von Hannover. Es landet eine Maschine, undurchsichtig, auf welchen Passagier es zu achten gilt, eine nervöse Frau im Halteverbot, die schließlich den Polizisten, der sie kontrolliert, erschießt.
In Hannover ermittelt Charlotte Lindholm, die von Maria Furtwängler gespielt wird. Furtwängler ist so beliebt, dass die Menschen lieber sie als den tatsächlich kandidierenden, einstigen Tatort-Kommissar Peter Sodann als Staatsoberhaupt sehen würden. Die aktuelle Folge zeigte, wie mit diesem vulgärpolitischen Mandat gespielt wird und vor allem worin seine Grenzen liegen.
In einer der ersten Szenen erleben wir Lindholm privat, und zwar als so genannte moderne Frau, was nichts anderes bedeutet, als seinen Mann zu stehen und dabei auch noch gut auszusehen. Hier geht alles zusammen: Frau Lindholm renoviert die Wohnung selbst, der – of course – jüngere Lover schneit mit belegtem Brötchen herein und wird, nun ja, beinahe vernascht, und irgendwo sitzt immer dieses Kind, das man nie für das Kind von Frau Lindholm hält und das man auch nie selbst sein möchte, weil es eigentlich nur dazu da ist, zu zeigen, dass Frau Lindholm auch "alleinerziehende Mutter kann", wie wir vom politischen Campaigning sagen.
Dieses Bild ist so verlogen wie eine von Ursula von der Leyen präsentierte Ausstellung der Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft über "Erfolgsfrauen", dass man einige Lust verspürt, augenblicklich zu Bischof Mixa zu werden: Wenn der Begriff "Rabenmutter" je eine Berechtigung gehabt hat, dann für dieses ewig Gut-gelaunte-Kind-Vorgezeige. Nie gibt es Probleme, immer ist irgendeine Mutter da, die im richtigen Leben auch die richtige Mutter von Maria Furtwängler ist und außerdem eine rüstige Seniorin. Oder ein trotteliger Mitbewohner. Und wenn die Kinderbetreuung sich selbst organisiert – wir reden von Westdeutschland! –, dann kann die Supermutter problemlos 48 Stunden durchermitteln. Dieses Kind ist reines Kalkül, Imagearrangement eines Drehbuchs, das seine Figur gesellschaftlich aufhübschen will. Mit Gefühlen hat das alles nichts zu tun.
Die andere Seite am Staatstragenden der Lindholm-Figur wurde diesmal betont durch die alte Schulfreundin, die sich aus, wer schätzt sie nicht, idealistischen Motiven dem Terrorismus verschrieben hat. Und ein bisschen auch dem Bundesverfassungsschutz, aber naturgemäß ist der Idealismus am Ende größer. Das scheint ein spannender Kontrast, die beiden kennen sich von früher, was ist aus ihnen geworden, warst du nicht, Charlotte, die Wilde, Idealistische, hast im Supermarkt Raider geklaut, als es noch so hieß, und jetzt arbeitest du für die Polizei?
Aber es ist natürlich Unsinn. Denn so sehr Bekanntschaften von Opfern und Tätern und Kommissaren ein Thrill für Drehbuchautoren sein mögen: Man sieht es als Zuschauer einfach nicht. Karoline Eichhorn taucht in dieser "Tatort"-Folge zum ersten Mal auf, und damit ist es völlig egal, ob sie die verloren geglaubte Zwillingsschwester, die beste Freundin oder irgendjemand im Leben von Charlotte Lindholm ist – die angenommene emotionale Tiefe stellt sich doch nicht her.
Darüber hinaus ist der Konflikt bei Weitem nicht so scharf inszeniert, wie er es sein könnte: Wir, die es gewohnt sind, uns mit Charlotte Lindholm zu identifizieren, kriegen doch keine Selbstzweifel an der Aufrichtigkeit unseres Tuns, nur weil da so eine verschüchterte, selbst ernannte Weltverbessererin auftaucht. Lindholm verfügt über genau das Maß an scheinbar gesundem Menschenverstand, das ausreicht, um in entwickelten Bürokratien als Rebellin dazustehen. Zumal sich der Konflikt zwischen Lindholm und ihrer leider terroristischen Schulfreundin mit der schrulligen Mutter, die immerfort regressiv Marmelade kocht, letztlich auf den Streit um einen Pubertätslover reduziert: Guido Rammershofen! Das kriegt dieser "Tatort" tatsächlich hin – dass die großen Fragen, die auch heranwachsende Generationen beschäftigen (Idealismus – soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein?) heruntergebrochen werden auf: Guido Rammershofen.
Doch sehr an den Haaren herbeigezogen:
Dass eine Frau, die eine in einer Wanne liegende Frau, die sie von früher kennt, mit einer Waffe bedroht, zu eben dieser Frau in eben diese Wanne steigt.
Vorhersehbare Dialoge:
Auf das Bekenntnis: "Ich habe gerade in die Wanne gepinkelt" mit "Ich auch" zu antworten.
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